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MUSKELKRAFT

Reifen und RÄder (2)


Ende der 1870er Jahre beginnen mehrere Hersteller damit, sicherere Fahrräder zu konstruieren – und ab den 1880er Jahren gibt es bereits zahlreiche sogenannte Sicherheitsniederräder mit zwei gleich großen Laufrädern auf dem Markt. Als Beispiel sei das Rover Safety Bicycle genannt, das 1885 von Starleys Neffen John Kemp Starley entwickelt wird. Zur Produktion der Rover-Sicherheitsräder wurde zunächst die Starley & Sutton Co. in Coventry gegründet – aus der sich die noch heute bekannte Automobilmarke Rover entwickelt.

Die Einführung des Kettenantriebs, die Entwicklung und 1888 erfolgte Patentierung luftgefüllter Reifen durch John Boyd Dunlop sowie die Siege gegen Hochräder, die in Radrennen errungen werden, verhelfen dem Niederrad zum Durchbruch und zur Ablösung des Hochrads als vorherrschendem Fahrradtyp.


Ein Vierrad-Velocipèddroschke für zwei Passagiere mit zwei hintereinander sitzenden Fahrern wird zu dieser Zeit von der Firma Dumstrey & Jungck in Berlin produziert – sie trägt den Namen Sultan und wird 1889 auf der Fahrradausstellung in Leipzig präsentiert.

Kaiserrad Grafik

Kaiserrad (Grafik)

Hier wird auch eine weitere Erfindung gezeigt, die auf den Deutschen A. v. Wedell zurückgeht, über den sich sonst allerdings kaum etwas finden läßt.

Sein Kaiserrad (o. Gesundheitsvelocipèd) genanntes Gefährt hebt die Einseitigkeit der Muskelbewegungen, wie sie bisher durch das Fahrrad bedingt war, auf, indem der gesamte Muskelapparat des menschlichen Körpers in Tätigkeit versetzt wird, da hier Arme und Beine zusammenarbeiten. Hierfür besitzt das Rad ein an der Gabel angebrachtes weiteres ,Tretlager’ mit parallel stehenden Handkurbeln und eine auf das vordere Laufrad gehende Kette.

Von Wedell ist aber auch in anderen Technologiebereichen aktiv – so hatte er sich beispielsweise im März 1882 einen durch Elektrizität betriebenen Flugapparat patentieren lassen (Nr. 19253).


Bislang so gut wie keine Informationen lassen sich über das als deutsches Mergamobile bezeichnete Holzrad aus dem Jahr 1890 finden, was sehr schade ist, da es sich dabei um ein Rad mit einem ungewöhnlichen Antriebssystem handelt.

Das Fahren erfolgt nämlich nicht über Kurbelpedale, sondern über ein Rollensystem mit Seilen und einem Zentralhebel, der durch gleichzeitiges Treten mit beiden Beinen betätigt wird.

Immerhin schafft es das Mergamobile 1982 auf eine schottische Briefmarke (Staffa Scotland, 2 £). Über weitere Daten würde ich mich freuen.


Als Wendepunkt in der Popularität des Fahrrades, besonders für das Militär, gilt das Wien-Berlin-Rennen von 1893, an dem 117 ,Herren-Rennradfahrer’ teinehmen. Trotz schlechter Straßen, wilden Pisten und hügeligem Terrain sowie heftigen Stürmen, welche die Fahrer und Streckenposten bis auf die Haut durchnässen, schafft es der Gewinner, ein Josef Fischer aus München, nach 31 Stunden, 22 Minuten und 4 Sekunden in Berlin ins Ziel zu rollen – und dies, obwohl er en route seine Maschine auswechseln mußte. Von den 117 gestarteten Fahrern erreichten allerdings nur 38 innerhalb des 50-Stunden-Zeitlimits das Ziel, was u.a. auf die mangelhafte Vorbereitung und das mangelhafte Training vieler der Amateur-Teilnehmer zurückgeführt wird.

Trotzdem läutet das Rennen eine neue Ära ein – denn der Gewinner des Reiter-Offiziersrennens im Vorjahr hatte für die etwa gleiche Strecke zu Pferde noch über 71 Stunden gebraucht. Schon im Frühjahr 1893 beginnt daher das Königliche Militärausbildungsinstitut in Berlin, Radfahrer in militärischen Manövern einzusetzen, und bis Mai 1895 ist das Fahrrad bereits so gut etabliert, daß die Armee ein spezielles Fahrrad-Handbuch heraus gibt.


Ebenfalls im Jahr 1893 wird in Frankreich mit dem Fauteuil-Velociped ein Vorläufer des Liegerades bekannt, und 1895 wird auf dem Genfer Fahrradsalon das Halbliege-Sesselrad des Schweizer Herstellers Challand gezeigt, das unter dem Namen Normal-Bicyclette bald darauf in die Serienproduktion geht. Im selben Jahr entwickelt Ferdinand Krafft in Saarbrücken ein Sitzrad mit patentiertem Vollkörperantrieb, das wegen seiner Windschnittigkeit und des Sitzkomforts beeindruckt. Das Fahrrad mit schwingendem Sitz wird durch Beugen und Stecken der Arme sowie der Beine des Fahrers betrieben.

Mannschaftsfahrrad Grafik

Mannschaftsfahrrad
(Grafik)


Für viele Fachaufgaben werden derweil Multicycles entwickelt, wie beispielsweise das patentierte, vierrädrige Feuerwehr-Mannschaftsfahrrad, welches von der Firma J. Dressler und Co., Aurora-Fahrradwerke in Breslau gefertigt wird (Nr. 84568). Das Fahrzeug ist zur Mitnahme einer Schlauchrolle mit 60 m Schlauch, eines Schlauchrohrs, einer Löschkanne, eines Verbandkastens, einer zusammengerollten Krankentrage, einer Laterne etc. eingerichtet und wird durch drei Fahrer angetrieben.

Das Vierrad ist 2,50 m lang, 1,22 m breit und wiegt ohne Ausrüstung 125 kg, mit derselben kommt es auf 167 kg. Besonderer Wert wird auf die leichte Lenkbarkeit des vorderen Radpaares, verbunden mit Sicherheit gegen seitliches Umkippen bei scharfen Wendungen gelegt.

Laut einem Bericht von 1898 befindet sich das Rad  im Dienste der städtischen Feuerwehr zu Breslau, wo es beweist, daß es den dortigen Anforderungen voll genüge leisten kann. Aufgrund seiner Geschwindigkeit langt das Fahrrad stets mehrere Minuten vor der ersten Spritze auf der Brandstelle an, so daß die allernötigsten Vorkehrungen zur Bekämpfung des Brandes schon vor Eintreffen der letzteren getroffen werden können.

Familienrad

Familienrad


Vom Juni 1896 stammt ein Foto, auf dem ein äußerst effizientes und gut durchdachtes Familienrad zu sehen ist, wie es heute wohl kaum mehr anzutreffen ist.

Im gleichen Jahr stellt die Davis Sewing Machine Co. in Dayton, Ohio, ein Police Patrol Tricycle her, auf dem die erwischten Kriminellen an Hand und Fuß gesichert werden können. Und  natürlich interessiert sich auch das Militär für das Potential der Multicycles als Waffen-Plattformen.

Als Beispiel hierfür sei das Maschinengewehr-Dreirad der britischen Firma Rudge-Whitworth aus Coventry genannt, das auf seinem Zweisitzer-Tandemrahmen zwei aufmontierte Gewehre besitzt.


Ebenfalls 1869 kommt das Improved Bicycle der Firma Peyton & Peyton von Richard und Edward Peyton aus Birmingham auf den Markt, das auch unter dem allgemeineren Namen Vélocipède bekannt wird. Das Zweirad mit Eisenrahmen besitzt – ähnlich wie das o.e. Singer Extraordinary – einen Trethebel-Antrieb mit diagonal gegenüberliegenden 7-Zoll-Kurbeln, die hier jedoch an dem 36 Zoll großen Hinterrad angebracht sind. Je nach Ausstattung kostet es zwischen gut 8 und 16 Pfund.

Von dem Rad wird aber nur eine kleine Zahl hergestellt – was vielleicht der Grund dafür ist, daß eines der seltenen Exemplare bei einer im November 2011 durchgeführten Auktionen zu einem Preis von 39.000 £ an ein Museum in Südfrankreich geht, was den bisherigen Weltrekord für einen Vintage-Fahrrad darstellt.

Bereits 1864 hatte die Firma mit dem Rantoone ein Dreirad auf den Markt gebracht, das vom Fahrer mittels Hand- und Fußhebeln vorwärts bewegt wird, die einzeln oder in Kombination betrieben werden können. Im September 1869 gewinnt dieses Rad die Silbermedaille der International Velocipede Exhibition in London für die höchste Geschwindigkeit.

Facile

Facile

Zwar wird 1883 die Insolvenz des Unternehmens bekannt gegeben, doch bei einem Gläubigertreffen im Folgejahr akzeptieren diese die begrenzte Rückzahlung der Schulden – weshalb Peyton & Peyton auch noch im Jahr 1900 aktiv ist.


Ein weiterer wichtiger Entwicklungsschritt im Jahr 1869 ist die Erfindung des Speichenrades durch den französischen Mechaniker Eugène Meyer (FR-Nr. 86705).

Zudem läßt sich John Beale in diesem Jahr einen (weiteren) Hebelmechanismus zum Antrieb eines Fahrrads patentierten. Die ersten damit ausgestatteten Räder werden 1874 unter dem Namen Facile von der Firma Ellis and Co. in London hergestellt.

Ein Rollschuhmodell, bei dem die Verwendung von nur einem seitlich angebrachten Rad pro Fuß erfolgt, wird 1869 von Thomas L. Lueders (o. Luders) aus Olney in Illinois zum Patent angemeldet (US-Nr. 89.833).

Field-Skate Grafik

Field-Skate
(Grafik)

Die Erfindung wird als Field-Skate (o. Pedespeed) bekannt und ist schon im Folgejahr auch in britischen Magazinen zu sehen.

Beispiele für Rollschuhe mit drei Rädern bilden die Patente von Aurelius Sperry aus Tremont, Illinois (US-Nr. 98.117, erteilt 1869), Cyrus W. Saladee aus Washington, Columbia (US-Nr. 177.566 und 177.568, 1876), sowie Robert Hutton aus Brooklyn, New York (US-Nr. 196.230, 1877). In diesem Jahr meldet Louis G. Gano aus New York Rollschuhe mit vier Rädern an (US-Nr. 188.351), gefolgt von gleichartigen Modellen, die Washington P. Gregg aus Boston, Massachusetts (US-Nr. 233.845, 1880) bzw. Elwood C. Phillips aus Richmond, Indiana, anmelden (US-Nr. 280.236, 1883).

Von 1876 datiert die Patentanmeldung zweirädriger Inline-Skates durch William Lockwood aus Danville, Missouri (US-Nr. 182.835) – während die Parlor-Skates, die sich Hiram L. True aus McConnellsville in Ohio im Jahr 1877 patentieren läßt, mit nur einem Rad ausgestattet sind, das in diesem Falle allerdings unterhalb der Sohle sitzt (US-Nr. 189.285).

Weitere, ähnliche Patente von einrädrigen Rollschuhen stammen von William V. Yost aus West Devatur, Pennsylvania (US-Nr. 363.716, erteilt 1887), von Russell Clinton Leedham aus Salt Lake City, Utah (US-Nr. 504.226, 1893) sowie von Hilmer Carlsson aus Harvard, Illinois (US-Nr. 889.580, 1908).

1886 meldet Thomas Tennent aus San Francisco das Patent für seine Velocipede Skates an, die im Gegensatz zu den bisherigen Modellen mit zwei größeren seitlichen sowie einem kleineren vorderen Rad versehen sind – so sie später tatsächlich auch gebaut werden, allerdings erst 100 Jahre später (US-Nr. 336.600).

Walter Nielson aus New York wiederum patentiert 1892 einen kombinierten Schlitt- und Rollschuh mit 14 Rädern pro Kufe, der außerdem am hinteren Ende einen Bremsklotz aus Leder oder Gummi aufweist. Ein Modell mit sogar 16 Rädern pro Kufe nebst Stoppern an der Spitze wird von dem in New York lebenden Norweger Harry Paulsen angemeldet, allerdings erst 1918 (US-Nr. 1.268.385). (US-Nr. 480.610).

Ritter Road Skates

Ritter Road Skates

Die Dresdner Gummiwarenfabrik Baeumcher & Co. hat im Jahr 1894 die Idee, unter eine stabilen Stahlsohle zwei hintereinander laufende und mit einem pneumatischen Gummireifen versehene Räder zu montieren, die sich in Kugellagern drehen.

Die als Reifenrollschuhe bezeichneten Teile besitzen zum einen Beinschienen mit Riemen, um den Fuß am Rollschuh zu befestigen, und zum anderen wird die Stiefelsohle durch zwei Stahlbacken festgehalten. Die patentierte Erfindung führt zur industriellen Rollschuhproduktion – so ab 1896 z.B. bei der Firma Road Skate Co. in London, welche die Gefährte unter dem Namen Ritter Road Skates herstellt und vertreibt, da ihre Entwicklung einem Schweizer Ingenieur namens Ritter zugeschrieben wird.

Besonders interessant: die Räder sind mit Kugellagern ausgestattet und besitzen sogar ein Bremssystem, das ähnlich wie beim Fahrrad durch das Ziehen einer Schnur ausgelöst wird.

Schon sehr modern wirken dagegen die Patin Bicyclette genannten Rollschuhe von Charles de Choubersky (o. Shoubersky, Kubersky) aus dem selben Jahr, einem berühmten französischen Nachrichtentechniker, Eisenbahnspezialist und Erfinder aus Paris, der diese in seiner Firma Société de Choubersky herstellen und mit großem Erfolg in eigenen Läden verkaufen läßt.

Ein sehr ähnliche Ausführung stammt von Augustus N. Lindsley aus New York, der sich diese 1899, patentieren läßt – ohne daß sich etwas über eine Umsetzung finden läßt (US-Nr. 622.815). Ein späteres Modell mit grundlegend gleicher Bauweise, das zudem auf die Fußgröße des Fahrers einstellbar ist, wird um 1905 von John Jay Young geschaffen und kommt unter dem Namen Young’s Automobile Road Skates auf den Markt.

Aus dem Jahr 1897 datieren die mit zwei bzw. drei Rädern versehenen und extrem gut gebauten Foot Cycle Rollschuhe des amerikanischen Erfinders Taylor E. Daniels aus Chicago (US-Nr. 595.608, erteilt 1897, sowie 616.773, 1898), der diese in seiner Firma Daniels Foot Cycle Co. allerdings nur ein Jahr lang produziert, bevor das Unternehmen im April 1898 wieder abgewickelt wird, aus bislang nicht eruierbaren Gründen.

Chain-Driven Roller Skate Grafik

Chain-Driven Roller Skate
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Frank Irons Gibbs und William Wright aus dem britischen Birmingham folgen 1897 mit einem 2-rädrigem Inline-Rollschuh (US-Nr. 578.081, Priorität: GB-Nr. 24038, 1894), und im Jahr 1900 läßt sich die Firma Peck & Snyder Co. aus New York ein gleichfalls mit zwei Rädern ausgestattetes Modell patentieren (US-Nr. 578.081).

Ein technisch sehr besondere Version, über die ich bislang aber noch keine näheren Details herausfinden konnte, stammt aus dem Jahr 1901.

Unter dem Titel Chain-Driven Roller Skate wird eine Konstruktion abgebildet, bei welcher ein System aus Federn und einem Kettenantrieb für das Vorankommen sorgt und wie ein Vorläufer des weiter unter präsentierten Takypod wirkt.


Im Jahr 1896 wird in den USA das 25. Infanterie-Fahrrad-Regiment in Fort Missoula, Montana, gegründet, um die Praktikabilität von Fahrrädern für militärische Zwecke in bergigem Gelände zu testen.

Das auch als Buffalo Soldiers bekannte Regiment startet zu Fahrten im ganzen Land, verbunden mit intensiven Hindernis-Testläufen, um die Tauglichkeit der Zweiräder als Alternative zu Pferden für den Transport zu prüfen. Die längste Reise fürhrt dabei über 1.900 Meilen bis nach St. Louis in Missouri, die Rückkehr nach Missoula erfolgt dann allerdings mit dem Zug.


Das erste Bauchliegerad – also ein Liegefahrrad, bei dem der Radfahrer mit dem Rücken nach oben liegt – wird 1897 von der US-amerikanischen Firma Darling entwickelt und auf den Markt gebracht. Durch die Position des Fahrers soll der Luftwiderstand vermindert und die Geschwindigkeit des Rades erhöht werden. Durchsetzen kann es sich trotzdem nicht.


Aus dem Jahr 1898 stammt die abgebildete Anzeige für die patentierten Fussfahräder vom Modell Express der Firma Bergmanns Industriewerke aus Gaggenau in Baden, deren Gebrauch darin sehr selbstbewußt als der „vornehmste und gesündeste Sport“ bezeichnet wird.


Um 1900 herum werden in Deutschland auch die ersten Tretautos (für Kinder) hergestellt, die oft realen Automodellen nachgebildet sind. Das erste derartige Fahrzeug soll 1853 in New York auf der Exhibition of the Industry of All Nations World’s Fair vorgestellt worden sein.


Nicht vergessen werden darf, daß es zu dieser Zeit auch diverse Versuche gibt, motorisierte Rollschuhe zu entwickeln. Deren Geschichte, auf die ich hier aber nicht näher eingehen werde, beginnt im Jahr 1905, mit dem Amerikaner Henry Beauford aus Kansas City, der sich unter dem Namen Automobile Skates von einen Benzinmotor unterstützte Skates patentieren läßt. Im selben Jahr stellt auch ein Franzose namens Constantini seine Patin Automobile vor, die mit Vollgummireifen und einem Gewicht von 12 kg das Paar eine Höchstgeschwindigkeit von 90 lm/h erreichen. Immerhin hat der Erfinder damit so großen Erfolg, daß sogar der Schah von Persien drei Paar der 450 Franc (heute umgerechnet ca. 2.000 €) teuren Motorrollschuhe bestellt.


Wie die Rollschuhe jener Zeit auch noch aussehen können, erkennt man gut auf dem Foto von 1909 (oder 1910), auf dem ein junger Mann ein von dem schwedischen Philosophen, Schriftsteller und Erfinder Prof. Edvard Petrini aus Uppsala entwickeltes Modell trägt, das dort als Takypod bekannt wird und auch international patentiert ist (SE-Nr. 22506; vgl. US-Nr. 809.980, angemeldet 1905, erteilt 1906).

Takypod

Takypod

Im Gegensatz zu der Einfachst-Technik der üblichen Ausführungen nutzt diese geniale Version auch das Gewicht des Skaters, wenn es durch periodisches Anheben eines Fußes auf den jeweils anderen übertragen wird. Hierzu besitzt das Fußgefährt einen ausgeklügelten Antriebsmechanismus aus Scherengelenk, Welle und zwei Armen, das die Kraft über eine Kette und eine Freilaufvorrichtung in Vortrieb verwandelt. Damit kann die gleiche Geschwindigkeit wie die eines Fahrrads erreicht werden, Hügel sollen sich ohne großen Aufwand nehmen lassen, und leicht zu transportieren sind die Takypods auch noch.

In der damaligen Beschreibung der Innovation heißt es: „Die Eigenschaften der Takypodernas machen sie besonders geeignet für das Militär, Laternenanzünder, Briefkastenentleerer, Gepäckträger, Laufburschen, Zimmermädchen usw.“

Ein ähnliches Patent geht auf einen Charles A. Nordling aus Suisun in Kalifornien zurück, scheint allerdings nie umgesetzt worden zu sein (US-Nr. 1.070.168, angemeldet 1912, erteilt 1913). Es ist kaum nachvollziehbar, warum diese Schwerkraft-nutzende Erfindung danach über Jahrzehnte wieder in Vergessenheit geriet.


Der Grund, warum ich ein so großes Gewicht auf die Entwicklung der Rollschuhe lege: Noch 1910 gibt es in Berlin mehr Rollschuh- als Fahrradfahrer!


Daneben sind natürlich noch verschiedene andere fahrbare Untersätze zu nennen. Ab 1914 bietet die französische Firma Peugeot das erste in Großserie produzierte Liegerad an, ein Langlieger mit indirekter Lenkung oben, der auf dem um die Jahrhundertwende in den USA entwickelten Brown-Recumbent basiert.


Auf einem Foto, das im Jahr 1920 in Washington gemacht wird, sind die Töchter des damaligen dänischen Botschafters Roger Nielsen, Ruth und Rita, zu sehen, die auf Rollern stehen, welche durch Wippbewegungen der Standfläche vorwärtsgetrieben werden.

Solche Wipproller ermöglichen die Fortbewewegung ohne sich mit dem Fuß auf dem Boden abstoßen zu müssen. In den Nachkriegsjahren sind diese als Kinderroller sehr verbreitet, danach aber viele Jahre lang quasi ,ausgestorben’. Ein Vertreter dieser Rollergattung aus den 1930er Jahren ist z.B. der Wipproller der Firma Wittkop & Co. aus Bielefeld, dessen patentierter Antrieb vom Wippbrett über eine Zahnstange auf das Hinterrad erfolgt.

In der Nachkriegszeit ist der Wittkop Wipproller in Deutschland eine begehrte Alternative zum Kinderfahrrad. Der Antrieb ist aber nicht sehr effizient, sodaß sich der Roller nur als Spielzeug eignet.

Ein Roller aus jener Zeit, der mittels Lenkerhebel über einen mit dem Vorderrad verbundenen Zahnstangenantrieb vorwärts bewegt wird, soll den Modellnamen Bismarck tragen. Leider habe ich bislang noch keine weiteren Details darüber finden können.

Pumproller

Pumproller


Möglicherweise noch älter ist ein Pumproller, der ursprünglich im Metz Bicycle Museum in Freehold, New Jersey, ausgestellt wurde – bis dieses nach dem Tod seines Gründers geschlossen und alle Fahrräder und anderen Gegenstände im Frühjahr 2014 verkauft werden. Mehr ließ sich bislang nicht über dieses Fortbewegungsmittel herausfinden.


Sehr mutig wirkt auch das tragbare Fahrrad von Charles Haskell Clark aus New York City, das leicht in Zügen oder Straßenbahnen mitzunehmen ist und für das er im Jahr 1919 ein Patent beantragt (US-Nr. 1.381.281, erteilt 1921). Sein Stadtfahrrad wird in der Dezember-Ausgabe 1919 des US-Magazins Scientific American vorgestellt.

Als besondere Vorteile der kleinen Rädern werden in dem Patent ihre geringere ,Interferenz’ mit Röcken beschrieben, sowie die Fähigkeit, in Menschenmengen damit leicht ausweichen zu können.

Zwar gilt der amerikanische Erfinder Emmit G. Latta als der erste, der 1887 ein Faltrad zum Patent anmeldet – und eine weitere US-Patentanmeldung für ein Faltrad stammt von Michael B. Ryan aus dem Jahr 1893, doch so minimalistisch wie Clarks Umsetzung ist keine dieser Innovationen.


Der in  Marokko geborene  französische Konstrukteur Charles Mochet entwickelt Anfang des 20. Jahrhunderts diverse pedal- und motorengetriebene Kleinstfahrzeuge. Nachdem er vor dem Ersten Weltkrieg hauptsächlich kleine und sehr leichte Autos baut, konstruiert er später Aufgrund von Befürchtungen seiner Frau, ihren Sohn Georges mit einem normalen Fahrrad fahren zu lassen, ein pedalgetriebenes vierrädriges Fahrzeug für diesen.

Velocar

Velocar

Als sich wenig später ein Bedarf für diese Fahrzeuge entwickelt, stellt Mochet die Fertigung von Automobilen ein, um sich ganz der Konstruktion muskelkraftbetriebener Fahrzeuge zu widmen. Für Erwachsene baut er ein zweisitziges, vierrädriges pedalgetriebenes Fahrzeug, das er Velocar nennt und das aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Situation in Frankreich nach dem Ersten Weltkrieg bis in die 1930er Jahre regen Absatz findet – und ebenso während des Zweiten Weltkriegs, als es kein Benzin gibt.

Im Jahr 1932 konstruiert Mochet gemeinsam mit seinem Sohn Georges dann das erste bekannte und erfolgreiche Liegerad, welches er anfangs als Velo-Velocar und später als Velorizontal bezeichnet. Mehr dazu findet sich weiter unten bei den Zweirädern.


Über oftmals befremdliche Adaptionen in diesen Jahrzehnten berichtet mit Vorliebe das US-Magazin Popular Mechanics. So z.B. im April 1924 mit dem Foto und der Beschreibung eines ,Land-Bootes’, das in Wirklichkeit ein Wagen in Form eines Ruderboots ist, dessen Räder von zwei ruderähnlichen Hebeln betätigt werden.

Von wem oder warum das erstaunliche Land Boat gebaut worden ist, ist unklar, und es soll auch nie mehr als sechs davon gegeben haben. Die Innovation setzt sich leider nicht durch, obwohl sie dem normalen Laufen nachweislich überlegen ist: schon ein einmaliges Ziehen an den Hebeln treibt das Gefährt über eine Entfernung von mehreren Schritten voran, wie berichtet wird.

Stilt Cycle

Cycle


Wie man bequem sitzend in die Pedale tritt – aber trotzdem nicht fährt sondern läuft, macht ein namentlich nicht genannter Erfinder aus Los Angeles vor, über dessen Cycle das Magazin im Juni 1934 berichtet.

Das leicht absurde Stelzenrad besitzt tatsächlich zwei Holzbeine statt Rädern (weshalb es hier eigentlich nichts zu suchen hat, aber wo sollte es sonst hinpassen...?), während der ,Läufer’ - da man ja kaum von einem Fahrer sprechen kann - auf einem Sitz am Ende eines vertikalen Balkens balancierend in die Pedale tritt und seinen Spaziergang dadurch tatsächlich im Sitzen absolvieren kann.

Gebaut worden zu sein scheint das Gerät aus einem sehr hohen Einrad, dessen Rad durch zwei mechanische Beine ersetzt wurde, die sogar Schuhe tragen, wie man erkennen kann.


Das Magazin Modern Mechanix berichtet im August 1934 wiederum von einem Fahrrad für zwei Personen, die allerdings nicht wie beim Tandem hintereinander, sindern viel freundlicher und kommunikativer nebeneinander sitzen.

Das Bicycle Built For Two wird von dem ehemaligen Langstrecken-Rennfahrer Hubert Opperman aus Australien erfunden und gebaut, der dabei auf eine kooperative Zusammenarbeit der Fahrer zählt – denn die beiden verkoppelten Lenker müssen perallel eingeschlagen werden, um das Fahrrad zu lenken.


Bis in die 1950er Jahre weit verbreitet sind auch die sogenannten Holländer, muskelbetriebene Fahrzeuge für Kinder, welche die Bewegungskoordination trainieren und wie Schienen-Draisinen funktionieren. Der Antrieb erfolgt über eine Art Deichsel, die ähnlich wie beim Rudern mit den Armen vor und zurück bewegt wird und über ein Gestänge oder eine Kette auf das Hinterrad wirkt. Die älteren unter uns mögen sich vielleicht noch daran erinnern.


In dieser Übersicht nicht fehlen darf der Kettcar, den der Freizeitgeräte-Hersteller Kettler im sauerländischen Ense-Parsit seit 1962 produziert. In den gut 50 Jahren seitdem hat das Unternehmen weltweit mehr als 15 Millionen der Kinder-Tretfahrzeuge verkauft.


Pedalo


Ebenfalls zu erwähnen ist das 1963 von Ruth Weidenbach aus Geislingen/Steige erfundene Pedalo, ein Spielgerät zur Fortbewegung für Kinder und Erwachsene, das inzwischen seit über 50 Jahren nahezu unverändert von der Firma Holz-Hoerz in Münsingen hergestellt wird. Ab 1970 folgt das Doppel-Pedalo mit etwas längeren Trittbrettern und sechs Rädern, auf dessen Basis im Laufe der Jahre noch diverse weitere Geräte zum Rollen, Balancieren und Trainieren entstehen.


Ähnliche Geräte unter dem Namen Skat Scoota, die aus Plastik-Tretflächen bestehen und abgeknickte Stahlachsen besitzen, kommen ca. 2006 auf den Markt.


Der Künstler Nik Ramage wiederum bietet mit seiner entsprechenden Persiflage Pedal Shoes eine Alternative für alle Personen, die mit dem Gleichgewichtssinn Probleme haben.

Auf einem Video auf der Homepage des Künstlers ist zu sehen, daß sich das Gefährt tatsächlich vorwärts bewegt – allerdings nur gradlinig.


Die Gründung der International Human Powered Vehicle Association (IHPVA) im Jahr 1976 leitet schließlich eine Renaissance im Bereich der (ernsthaften) muskelbetriebenen Fahrzeuge ein.


Diese kurze geschichtliche Übersicht ist indes nicht komplett, wenn nicht auf eine Meldung vom März 2010 hingewiesen wird, der zufolge das Fahrrad schon vor 2.500 Jahren erfunden worden ist – und zwar in China, wie der chinesische Historiker Xu Quan Long herausgefunden hat.

Lu Ban Nachbau

Lu Ban Nachbau

Als Urheber des Ur-Dreirads nennt er den Zimmermann, Ingenieur, Philosophen, Erfinder, Militärstrategen und Staatsmann Lu Ban, der von 507 – 440 v. Chr. lebte. Gemeinsam mit seiner Frau Lady Yun gilt das Paar als die Stammeltern der chinesischen Holzbearbeitungstechnik.

Lu wird in China als der erste und größte Architekt betrachtet, dem auch die Entwicklung der ersten Säge, des Papier-Regenschirms, der Bogenbrücke und sogar die Herstellung von unbemannten Flugobjekten zugeschrieben wird, die als hölzerne Vogel bezeichnet laut Zeitgenossen drei Tage am Stück in der Luft gleiten konnten. Wobei es sich vermutlich im Drachen handelte.

Im Westen wird Ban mehr mit der Erfindung einer durch Gegengewichte ausbalancierten Eroberungsleiter, eines Enterhakens sowie eines Rambocks für Kriegsschiffe in Verbindung gebracht.

Um die Funktionalität des Dreirad-Wagens von Ban zu beweisen, über den Long während seines Studiums der Werke des legendären alten chinesischen Erfinders stolpert, baut er das völlig funktionstüchtige Dreirad entsprechend den historischen Vorgaben nach – muß nach den Fahrversuchen aber zugeben, daß das Gefährt ziemlich langsam ist und sich auch nur durch sehr harte Arbeit bewegen und steuern läßt.


Das Fahrrad bildet aber in jedem Fall eine der lobenswertesten Erfindungen der Menschheit, da der Fahrer die benötigte Betriebsenergie während des Bewegungsprozesses selbst aufbringen kann, ohne zusätzlichen Treibstoff mitzuschleppen. Ich vermute außerdem, daß es heutzutage wesentlich mehr Fahrräder gibt, als alle anderen Transportmittel zusammengenommen.

Hinzu kommt, daß Fahrräder die menschliche Muskelkraft äußerst effizient umsetzen, weshalb die Fortbewegung – zumindest auf ebener Strecke – häufig mit mehr Lust als Anstrengung verbunden ist. Über die weiteren Vorteile spreche ich ausführlich im Kapitel Bio-Logische Technik in Teil B (s.d.).

Inzwischen bildet die Fahrradtechnologie zudem die Basis für viele Adaptionen. Angesichts der riesigen Zahl neuer Designs und Entwicklungen werde ich mich auf ausgesuchte Umsetzungen beschränken müssen, von denen einige sicherlich auch zum Schmunzeln anregen. Aus aktuellem Anlaß werden teilweise auch Fahrzeuge aus dem Bereich der sogenannten Mikro-E-Mobilität (MEM) aufgeführt, sofern sie grundsätzlich auch mit Pedalantrieben oder durch andere Formen der Muskelkraft bewegt werden können.

Beginnend mit den größten Exemplaren habe ich die Präsentation wie folgt unterteilt:

Fahrrad-Busse
Fahrrad-Autos
Dreiräder
Zweiräder
Schienen-Räder
Lasten-Fahrräder
Einräder
Roller und Boards
Rollschuhe
Zusatzantriebe
Tretmühlen

 

Weiter mit den Fahrrad-Bussen...