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MUSKELKRAFT

Reifen und Räder (1)


Die mindestens 5.000 Jahre lange und gut dokumentierte Geschichte des Rads soll hier nicht behandelt werden – sondern nur der spätere Einsatz dieser Erfindung in Form von Fahrzeugen, die direkt und indirekt durch menschliche Muskelkraft fortbewegt werden.

So soll der griechische Philosoph und Politiker Demetrios von Phaleron um 300 v. Chr. einen Muskelkraft-Wagen entwickelt haben, der nach dem Prinzip der Tretmühle funktioniert hätte. Über solche Technologien werde ich weiter unten noch zu sprechen kommen. Ebenso ist aus der römischen Geschichte aus der Zeit um 200 n. Chr. ein Wagen bekannt, der mit der Muskelkraft von Sklaven bewegt wurde, die sich in seinem Inneren befanden.


Eine etwas seltsame Form von Muskelantrieb begegnet uns in dem Entwurf eines selbstfahrenden, von Hand betätigten Wagens des italienischen Ingenieurs Giovanni da Fontana, den dieser um 1410 herum gebaut haben soll.

Er wird über ein Endlos-Seilzugsystem mit Rollen und Zahnrädern vorwärts bewegt.

Im Jahr 1447 tauchen in Deutschland sogenannte Muskelkraftwagen auf. So berichtet die Chronik der freien Reichsstadt Memmingen am 2. Januar: „Dem Mittwoch nach dem Neüen Jarsthag ging ein Rechter wagen zum Kalchtor herein bis zum Marckht, und wider hinaus ohne Ross, Rindter und Leyet, er war wol verdeckht, und sass der meister So In gemacht darin.“

In einem Skizzenbuch des italienischen Bildhauers, Malers und Architekten Francesco di Giorgio Martini aus Siena von 1470 finden sich detaillierte Entwürfe von Wagen, welche die Fahrgäste mittels vier Kurbeln, jede für eines der Räder des Fahrzeugs, selbst antreiben. Martini nennt sein Fahrzeug, das sogar ein Lenkrad besitzt, ein Automobil – was die wahrscheinlich früheste Verwendung des Begriffes ist, mit dem die heutigen Autos bezeichnet werden.

Auch der ebenfalls italienische Schriftsteller und Ingenieur Roberto Valturio, dessen berühmtes 12-bändiges Werk De re militari (Über die Kriegskunst) 1472 erscheint, entwirft einen Wagen, der durch äußere Energie angetrieben wird – allerdings durch den Wind, weshalb er auch im Kapitelteil der windbetriebenen Fahrzeuge aufgeführt wird (s.d.).

Ende des 15. Jahrhunderts skizziert Leonardo da Vinci seine Vorstellung eines Fahrrades mit Pedalen und Antriebsmöglichkeit – und dies wie so oft bei ihm, viele Jahrhunderte vor ihrer tatsächlichen Umsetzung.

Hautsch-Wagen Grafik

Hautsch-Wagen (Grafik)


Der Zirkelschmied Hans Hautsch (auch als Johann Hautsch bekannt) fährt 1649 in einem selbst gebauten, prunkvollen vierrädrigen Triumphwagen (Trionfo) durch Nürnberg, wobei das Fahrzeug pro Stunde eine Strecke von 2.000 Schritten zurücklegt, was einer Geschwindigkeit von ca. 1,5 km/h entspricht. Den spärlichen Quellen zufolge soll der Wagen durch ein Uhrwerk angetrieben worden zu sein – wahrscheinlicher ist jedoch, daß ein Knabe im Inneren eine Kurbel bedient hat.

Hautsch soll seinen Wagens bereits 1650 für 500 Reichstaler an den späteren König Prinz Karl Gustav von Schweden  verkauft haben, eine Zweitausführung ging nur kurze Zeit später an einen weiteren Adligen, der diesen am Hof zu Dänemark für Paraden und königliche Anlässe nutzte.


Im Jahre 1693 beschreibt der französische Gelehrte Antoine Frédéric Ozanam einen von M. Richard, einem Arzt in La Rochelle, gebauten mechanischen Wagen, der auf vier Rädern läuft und mittels zweier Pedale abgetrieben wird. Es soll mehrere Jahre in Paris im Gebrauch gewesen sein.


Eine besondere Form der muskelbetriebenen, rollenden Forbewegung erfolgt mittels Rollschuhen, die im Grunde ja zwei winzige, an die Füße geschnallte Wagen darstellen. Es gibt unbestätigte Berichte über eine Londoner Theateraufführung im Jahr 1743, bei der Rollschuhe unbekannter Urheberschaft verwendet worden sein sollen - doch verläßlich nachgewiesen ist erst die Konstruktion des Musikinstrumentenbauers, Violinisten und Kunstrukteurs Jean-Joseph Merlin (auch John Joseph Merlin) aus dem belgischen Huy, der seine um 1760 entwickelten Geräte als ,Patins á roues alignées’ (Schuhe mit Rollen in einer Reihe, auch: skaites) bezeichnet. Ihr Ziel ist eine Nachahmung des Schlittschuhlaufs auf Parkett oder Bühne, wobei die Ausfertigung als Schlittschuh mit zwei Metallrädchen an den Kufen eine Frühform der heutigen Inline-Skater darstellt.

Der geschäftstüchtige Belgier darf seine Erfindung sogar am englischen Königshof vorführen – was allerdings in einem Fiasko endet, als Merlin während eines Maskenballs ungebremst in einem übermannshohen Kristallspiegel kracht. Er ist damit nicht nur der erste urkundlich erwähnte Inline-Skater, sondern auch das erste registrierte Unfallopfer aufgrund fehlender Bremstechnik.

Im Bereich des Uhrenbaus beteiligt sich Merlin zusammen mit dem englischen Uhrmacher James Cox übrigens auch an der Entwicklung der ersten atmosphärischen Uhr (s.d.).

Muskelkraft-Schwimmbagger Grafik

Muskelkraft-Schwimmbagger
(Grafik)


Aus dem Jahr 1761 stammt wiederum eine Grafik, auf der ein ganz eigenes muskelbetriebenes Fahrzeug aus Holland zu sehen ist. Dabei handelt es sich um einen von Männern angetriebenen Schwimmbagger, bei dem diese ihre Arme und Beine nutzen, um die Schaufeln des Baggers zu fördern und das Gefährt vorwärts zu bewegen.

Ebenfalls 1761 soll der Stellmacher Michael Kassler in Braunsbebra bei Leipzig ein nicht lenkbares Laufrad aus Holz hergestellt haben -  was anderen Quellen zufolge wohl vom Leipziger Mechaniker Christian Hoffmann aus dem Jahr 1817 stammt.

1769 erscheint im London Magazine die Beschreibung nebst Abbildung eines Reisewagens von John Vevers, der ohne Pferde fortbewegt wird. Ähnlich wie bei Richards Wagen stellt dieser eine Art Kutsche dar, welche der Herr mittels Zügel steuert, die an einer Lenkstange befestigt sind, während der Diener, der hinten in einem Kasten steht, den Antriebmechanismus in Bewegung zu setzen hat.

Im Journal de Paris vom 27. Juli 1779 folgt die Darstellung eines Fahrzeugs, das die Herren Blanchard und Mesurier in Anwesenheit von vielen Mitgliedern der Französischen Akademie und einer großen Schar an Zuschauern auf dem Place Louis XV zeigen (heute Place de la Concorde). Der französische Ballonfahrer Jean-Pierre Blanchard hat zusammen mit seinem Partner eine Art Tandem entwickelt, bei dem die beiden Fahrer hintereinander sitzen, wobei dem vorderen die Steuerung, und dem hinteren die Erzeugung der Triebkraft zufällt. Später stellt der Erfinder sein Fahrzeug auch in Versailles Louis XVI., Marie Antoinette und ihrem Hofstaat vor.

Im Jahr 1789 sollen zwei französische Erfinder eines der ersten dreirädrigen Fahrzeuge kunstruiert haben, das durch Pedale angetrieben wird - was allerdings nicht bestätigt ist. Ebenfalls in diesem Jahr werden in Paris die ,patin de terre’ genannten Rollschuhe des Bildhauers der belgischen Akademie Brügge Lodewijik Maximilian Van Lede bekannt, die aus Eisenplatten mit Holzrädern bestehen.

1791 entwickelt der Franzose Comte Mede de Sivrac in Paris eine weitere nicht lenkbare Laufmaschine, die genau wie das Modell von Kassler aus zwei durch einen starren Holzrahmen verbundenen Rädern besteht und Célérifère (= Schnelltragende) oder Vélocipède genannt wird. Es gibt allerdings Quellen, die diese Behauptung inzwischen als widerlegt bezeichnen und statt dessen den Journalisten und Autor populärwissenschaftlicher Werke Baudry de Saunier bezichtigen, sie hundert Jahre später als Falschmeldung in Umlauf gebracht zu haben.


Bestätigt ist hingegen ein Privileg für eine sogenannte Schnellkutsche (Celerifer) an Jean-Henri Sievrac aus dem Jahr 1817 – sowie zeitgleich die erste lenkbare Schnellaufmaschine, die der gelernte Physiker und Großherzoglich-Badische Forstmeister Baron Karl Friedrich Christian Ludwig Freiherr Drais von Sauerbronn konstruiert hat.

Die Karlsruher Zeitung berichtet am 1. August 1817, daß Drais die erste Fahrt auf seiner ca. 22 kg schweren und lenkbaren Fahrmaschine von Mannheim nach Schwetzingen gemacht habe (~ 7 km), wobei er für für den Hin- und Rückweg nur eine knappe Stunde benötigt und damit eine Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa 15 km/h erreicht.

Buster Keaton auf Laufrad

Buster Keaton auf Laufrad

Das Patent von Drais (damals: Großherzogliches Privileg) datiert von 1818. Die sogenannten Draisinen gelten seitdem als die Vorfahren unserer modernen Fahrräder – auch wenn ihr Verbot auf den Bürgersteigen von London, New York und 1819 sogar Kalkutta die stärkere Verbreitung diesen frühen Individualverkehrs um mindestens fünfzig Jahre verzögert hat.

Auch in den deutschen Staaten ist der Draisine nur ein kurzer Erfolg als Postfahrzeug vergönnt, während sich das Gerät als ,hobby horse’ in angelsächsischen Ländern trotz der Verbote so großer Beliebtheit erfreut, daß in Großbritannien und den USA sogar ,Reitschulen’ eröffnen, die den Umgang mit der Draisine lehren.

Wie man sich mit der Laufmaschine fortbewegt, zeigt Buster Keaton in seinem Film ,Our Hospitality’ von 1923, der in den 1830er Jahren spielt.

Vielleicht weniger bekannt ist, daß Drais bereits 1813 auch zwei Wagen mit vier Rädern entwickelt hat, die zunächst über eine Tretmühle, und später über eine Kurbelwelle zwischen den Hinterrädern angetrieben werden. Als Anlaß zur Konstruktion der pferdelosen Fahrmaschinen gelten die ab 1812 steigenden Haferpreise – sowie die katastrophale Ernteausfälle infolge des Tambora-Vulkanausbruches, der 1816/17 zu Hungersnot und Pferdesterben führte.

International berühmt wird Drais im Jahr 1842, als er in Karlsruhe mit Genehmigung der Staatseisenbahn eine vierrädrige Eisenbahn-Draisine mit Fußtrommel-Antrieb erprobt. Er gilt damit als Urheber der drei- oder vierrädrigen, von Muskel- oder Motorkraft betriebenen Schienendraisinen, die als Bahndienstfahrzeuge zur Inspektion von Eisenbahnstrecken sowie zum Transport von Arbeitern und Werkzeug verwendet werden.

Drais Version setzt sich aus nachvollziehbaren Gründen auch gegen ein 1837 in Wien erfundenes, zweirädriges Schienenfahrzeug durch, das auf einer Schiene lief und mit den Füßen abgestoßen werden mußte. Am bekanntesten wird die Handhebeldraisine, eine Bauform, die sich insbesondere bei amerikanischen Bahnverwaltungen weit verbreitet. Die Vorwärtsbewegung geschieht, indem ein an einer Säule montierter pumpschwengelähnlicher Hebel periodisch auf und ab bewegt wird, dessen Kraft über eine Kurbelschwinge dann auf die Räder übertragen wird. Dieser Typ ist ein häufig eingesetztes Requisit amerikanischer Filme – und wird von Jules Verne in seinem Roman Reise um die Erde in 80 Tagen in die Literatur eingeführt.


Im Jahr 1815 baut ein J. Garcin in Frankreich einen Schienenrollschuh mit drei Kupferrollen, von denen die Mittlere größer als die anderen beiden ist. Er beantragt 1828 (?) das Patent für seine Cingar genannte Innovation, die sogar eine Fersenbremse besitzt, hat damit aber keinen kommerziellen Erfolg. Auch eine spätere, kurze Wiederbelebung auf der Weltausstellung in Paris 1867 ist nicht erfolgreich, da zu diesem Zeitpunkt schon alle Inline-Rollschuhen obsolet sind und die Quad-Skates von Plimpton den Markt dominieren (s.u.).

Passagier-Draisine

Passagier-Draisine


Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts finden in herrschaftlichen Parks drei- und vierrädrige, durch Muskelkraft betriebene Wagen Verwendung, die über Pedale vom Personal vorwärts bewegt werden.

Sie benötigten wegen der beträchtlichen Masse jedoch viel Kraft, was eine schnelle Ermüdung ihrer menschlichen Motoren zur Folge hat. Die hier abgebildete Draisine mit Passagier gab es im Pariser Tivoli zu mieten, sie befindet sich heute in der Fürstenberg-Sammlung in Donaueschingen (das Foto stammt von Lesseps).


Im Jahre 1818 läßt sich der Erfinder Denis Johnson aus London ein eigenes Draisinen-Design patentieren und ist damit der erste Fahrrad-Hersteller Großbritanniens, der eine weiterentwickelte Version baut. Indem mehrere Teile aus Metall hergestellt sind, ist das Fahrgerät leichter als sein kontinentales Vorbild.

Besondere Berühmtheit erlangt Johnson, als er 1819 das Design einer Damenversion der Draisine vorführt, das sich durch einen besonders niedrig gelegten Rahmen auszeichnet, der es Frauen leichter macht, das Gefährt auch in ihrer bodenlangen Kleidung zu nutzen – allem Spott der streng konservativen zum Trotz. Neben dem eher allgemeinen Namen Velocipede wird das Tretrad als hobby-horse (o. Ladies’ Walking Machine) bekannt.

Der Hype wird allerdings schon im gleichen Jahr wieder abgewürgt, als Londoner Chirurgen eine Gesundheitswarnung vor der fortgesetzten Nutzung der Velocipede veröffentlichen. Das einzige existierende und hier abgebildete Original befindet sich im Besitz des Canada Science and Technology Museum in Ottawa.


In Berlin tauchen zu dieser Zeit bei dem Stück Der Maler oder die Wintervergnügungen Rollschuhe auf der Ballettbühne auf - während das erste Rollschuh-Patent einem M. Petitbled aus Frankreich im Jahr 1819 erteilt wird.

Rollschuh von Petitbled

Rollschuh von Petitbled

Petitbleds Erfindung hat drei Inline-Rollen, die entweder aus Holz, Metall oder Elfenbein hergestellt sind. Eigentlich dafür gedacht, die Bewegungen des Eislaufens zu simulieren, erweist sich die Rollenkonstruktion aber als ungeeignet: Die Fahrt ist rauh, die Räder rutschen auf harten Oberflächen und Stoppen und Drehen sind fast unmöglich - so daß die Entwicklung als finanzieller Flop endet.


Ebenso wenig Erfolg hat Robert John Tyers, ein Fruchthändler in London, der sich im Jahr 1823 seine Volito (o. Volitos, Rolito) genannten Inline-Skates patentieren läßt. Die an Schuhen oder Stiefeln anzubringende Vorrichtung besitzt fünf Holzräder ungleicher Größe, wobei auch hier das mittlere das größte ist, sodaß der Skater nie auf mehr als zwei Rädern zugleich voranrollt. Verwendet werden sollen die aus Holz und Metall bestehenden Rollschuhe von Eisläufern, wenn es kein Eis gibt.

Sich drehen kann man, indem man sich nach vorne oder hinten neigt. Zudem gibt es vorne und hinten Haken als rudimentäre Bremsen. Doch obwohl in Haymarket, London, Vorstellungen mit den Skates gegeben und diese auch bei dem Ballett Nathalie ou la Laitiere suise in Bordeaux verwendet werden, verfängt die Idee beim Publikum nicht.


Im Jahr 1825 entwickelt der Kleinuhrmacher August Löhner aus Wien mechanische Räderschuhe, die mit Riemen an den Stiefeln befestigt werden und die vorne ein, und hinten zwei Räder besitzen. Mit ihrem einfallenden Haken als Rücklaufsperre werden die drei-Rollen-Skates häufig als die ersten Rollski bezeichnet.

Löhner hat damit aber ebenso wenig Erfolg wie der ebenfalls aus Wien stammende Ernst Wessely, der 1827 das Patent auf die Erfindung eines weiteren Laufschuhs erhält.

Das Interesse an der neuen Fortbewegungsmethode nimmt trotzdem zu, und ab 1840 wird in einer Bierhalle bei Berlin auf Skates serviert.

Einen Durchbruch bei der Verbreitung der Rollschuhe bringt die nach der Uraufführung in Paris 1849 europaweit aufgeführte Oper Le Prophète des deutschen Komponisten und Dirigenten Giacomo Meyerbeer (eigentlich Jakob Liebmann Meyer Beer) über die Geschichte des Täuferreichs von Münster, bei welcher eine Eislaufszene mittels Rollschuhen mit je zwei Reihen parallel angeordneter Rollen simuliert wird, die von Louis Legrange aus Paris konstruiert worden sind. Obwohl noch die Lenkbarkeit fehlt, beginnen nun überall junge Leute damit, auf Gehwegen Rollschuh zu fahren.

MacMillan- o. McCall-Rad

MacMillan- o. McCall-Rad


Breits 1839 schließt der schottische Schmied Kirkpatrick MacMillan den Bau eines Holzfahrrads mit Hebelantrieb ab, das mit Eisen umrandete Holzräder besitzt und etwa 26 kg wiegt.

Vorne besitzt es ein lenkbares 30 Zoll Rad, während an der Rückseite ein 40 Zoll Reifen angebracht ist, mit dem die Pedale über Pleuelstangen verbunden sind. Es ist vermutlich der erste Einsatz dieser Antriebstechnik.


Ein ähnliches Rad wird 1845 von dem Böttcher Gavin Dalzell aus Lesmahagow, Lanarkshire, gebaut – und 1869 beschäftigen sich gleich sechs Erfinder mit der Idee, den Antrieb zum Hinterrad zu verlegen, darunter auch der schottische Stellmacher Thomas McCall aus Kilmarnock, der zwei Versionen eines zweirädrigen Velocipede baut, dessen Hinterrad-Kurbel ebenfalls durch Hebel und Stangen bewegt wird.

Um die Sache rankt sich aber eine seltsame Geschichte. Als in den 1880er Jahren ein reicher Mais-Händler namens James Johnston eine Kampagne beginnt, um das ,erste echte’ Fahrrad seinem o.g. Onkel Kirkpatrick MacMillan zuzuschreiben, übernimmt er auch die Designs von McCall, datiert sie auf 1839 und behauptet, daß sie von MacMillan stammen würden. Warum dann allerdings McCall selbst in den 1890er Jahren auf Geheiß von Johnston Repliken seiner eigenen Maschinen baut und als Produkte von MacMillan ausgibt, kann nur durch die Tatsache erklärt werden, daß er das Geld nötig hatte.


Die Balancierangst der noch unsportlichen Bevölkerung läßt die Mechaniker auf drei- oder vierrädrige Muskelkraft-Maschinen zurückgreifen, auch wenn diese einen höheren Rollwiderstand besitzen.

Besonderen Erfolg hat damit Willard Sawyer aus Dover, der bereits in den 1840ern mit dem Bau solcher Vehikel beginnt und 1851 mit seinem Quadricycle mit Fußhebelantrieb zur ersten Londoner Weltausstellung fährt. Später liefert er die Fahrgeräte – auch in Kindergrößen – an Fürstenhöfe in ganz Europa, und in einem Katalog aus dem Jahr 1863 zeigt er sogar ein Modell, das sechs Personen befördern kann. Ein Exemplar steht heute im Canada Science and Technology Museum in Ottawa.

Das hier abgebildete Quadricycle-Modell, das vermutlich aus dem Jahr 1852 stammt, hat Sawyers Schwiegersohn und ,Azubi’ Thomas Kelsey gebaut, der zwischen 1867 und 1874 in Margate auch selbst ein Fahrradunternehmen betreibt. Bei dieser Ausführung wird ein Frontantrieb mit Hinterradlenkung verwendet um zu verhindern, daß die Beine des Radfahrers in Kurven mit den Rädern in Berührung kommen.


Bereits im Frühjahr 1846 wird zudem eine muskelbetriebene Fahrmaschine bekannt, welche sich der Lehrer Kröner in Markersdorf bei Chemnitz selbst gebaut hat, da ihm sein Arzt nach einer überstandenen schweren Krankheit den Rat gegeben hatte, möglichst viel zu fahren. Der Kunstwagen wird im Laufe der Zeit mehrmals verbessert, und Kröner unternimmt damit im Jahre 1859 eine Fahrt nach Karlsbad in Böhmen. Im August 1860 besucht der Sohn des Erfinders damit sogar Paris.


Der Schreiner, Orgelbauer und Musikinstrumentenmacher Philipp Moritz Fischer aus Oberndorf (Schweinfurt), der bereits im Alter von neun Jahren mit einer Drais’schen Laufmaschine zur Lateinschule fährt, soll zwischen 1844 und 1853 eine ebensolche mit Vorderradpedalen ausgestattet – und damit das Kurbelveloziped erfunden haben.

Ein Beleg dafür ist allerdings erst in der sogenannten Enderlein-Chronik von 1869 zu finden. Weshalb auch der Franzose Pierre Lallement als Erfinder des Pedals gilt, das einen neuen Aufschwung für das Fahrrad mit sich bringt, da sich die 1862 an der Achse des vorderen Laufrades montierte Tretkurbel als sehr praktisch und wirksam erweist. Dazu mehr unter den pedalbetriebenen Geräten (s.d.).

Singer Extraordinary

Singer Extraordinary


Ab dem Jahre 1851 wird ein ganz besonderes Hochrad hergestellt, das auch den dazu passenden Namen Singer Extraordinary trägt. Das hier abgebildete Exemplar stammt von 1879 und wird heute im Coventry Transport Museum in Großbritannien ausgestellt, ein weiteres Modell ist im Musée de la Moto et du Vélo von Claude Reynaud im französischen Domazan, nahe Avignon, zu bewundern.

Das besondere an diesem Rad, das von den 1875 gegründeten Singer Works in Coventry hergestellt wird und als Versuch gilt, das Fahren der gewöhnlichen Penny Farthing-Fahrräder sicherer zu machen, ist sein ungewöhnlicher Hebelantrieb. Zudem ist die Vordergabel rückwärts gerichtet, was bedeutet, daß der Fahrer nicht direkt über der Nabe des 127 cm durchmessenden Vorderrads sitzt.


Das erste pedalbetriebene Quadracycle wird 1853 in New York auf der Exhibition of the Industry of All Nations World vorgestellt. Die Bauform bietet eine Lösung für das Problem der Stabilität bei niedriger Geschwindigkeit und verbreitet sich typischerweise als Mehrsitzmodelle. Das hier abgebildete Foto eines 2-Personen-Gefährts stammt aus dem Washington des Jahres 1886 – man beachte im Hintergrund das Weiße Haus.


Ebenfalls im Jahr 1853 erhält der Engländer Joseph Gidman aus Prescot einen vorläufigen Patentschutz für Rollschuhe mit den neu erfundenen Kugellagern (GB-Nr. 1176). Es dauert danach allerdings fast 30 Jahre, bis diese tatsächlich bei Rollschuhen verwendet werden.

Bereits 1859 werden in London die sogenannten Woodward Skates mit vier vulkanisierten Gummirädern pro Schuh erfunden, die ähnlich den Volitos größere mittlere Räder besitzen, aber auf einem Holzfußboden eine wesentlich bessere Haftung als Eisenräder aufweisen. Diese Rollschuhe werden von Jackson Haines, dem Begründer des modernen Eiskunstlaufs, für Ausstellungen verwendet.

Reuben Shaler wiederum, ein Erfinder aus Madison, Connecticut, entwickelt 1860 einen besonderen Rollschuh, mit dem das Problem der Manövrierbarkeit gelöst werden soll. Sein Skate hat vier Räder, die durch Stifte auf einem Bügel befestigt sind und Ringe aus Gummi oder Leder haben, um eine höhere Haftung zu erreichen. Shalers Patent soll das erste Rollschuh-Patent sein, das durch das US-Patentamt erteilt wird (noch nicht verifiziert). Besonders beliebt sind die Rollschuhe jedoch nicht.

Anderson-Patent Grafik

Anderson-Patent (Grafik)

Bereits 1861 folgt das Patent über Zweirad-Inline-Skates von Albert Anderson aus Bridgeport in Connecticut, bei denen zwei Räder unterschiedlicher Größe zum Einsatz kommen: unter der Ferse ein kleines, und von der Fußspitze ein großes (US-Nr. 33.689). Es ist aber nichts darüber bekannt, daß es zu einer Umsetzung gekommen sei.

Dies geschieht erst im Jahr 1863, als der amerikanische Geschäftsmann und Erfinder James Leonard Plimpton aus New York einen Rollschuh als ,Erdschlittschuh’, zum Patent anmeldet, der zwei getrennte Achsen und einen Stopper besitzt (US-Nr. 37.305).

Der Parlor Skate besitzt zwei jeweils nebeneinander angebrachte Holzräder, die sich durch besseren Halt und leichtere Steuerbarkeit auszeichnen, da sie nicht direkt und starr, sondern über Gummiegelenke an der Sohle befestigt sind. Lenken tut man, indem man sich zur Seite neigt. Die Hartgummilager laufen zudem nicht nur runder, sie haben nebenbei auch einen dämpfenden, federnden Effekt.

Das einzige Problem ist die vorzeitige Abnutzung der Räder, weshalb Plimpton ein Schmiersystem entwickelt, das aus einer Endlosschnecke besteht und den Verschleiß der Räder begrenzt, indem es das Schmierfett genau auf die Reibungspunkte lenkt. Plimpton macht ein Vermögen mit seiner Erfindung – was es ihm auch erlaubt, als erster in New York City einen Rollschuhpalast zu eröffnen, dem 1866 eine Rollschuhbahn im umgebauten Atlantic House Ballroom in Newport, Rhode Island, folgt. Bald gibt es solche Bahnen auch ein anderen Städten, 70 allein in London, und 40 in Paris. Außerdem gründete er die New York Roller Skating Association (NYRSA), um Rollschuhlaufen als amerikanischen Zeitvertreib zu fördern.

Im selben Jahr ersetzt er die bisherigen Zehen- und Fersenklammern durch Riemen und Schnallen. Und da nun auch seine Patente auslaufen, beginnen diverse andere Hersteller mit der Produktion zu niedrigen Preisen von bis zu 3 $ das Paar.

Hochrad

Hochrad


In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt sich aus dem Velocipèd auch das Hochrad, welches sich durch eine besondere Höhe des Vorderrades auszeichnet, mit dem es bei gleicher Pedalkurbeldrehzahl eine größere Geschwindigkeit erreicht. Nachteilig sind die schwierige Beherrschbarkeit, daß man nicht einfach anhalten kann, sondern immer gleich absteigen muß, und die wegen des hochliegenden Schwerpunkts häufigen Stürze.

Einigen Quellen zufolge soll das neue Fahrrad-Design mit gespannten Drahtspeichen im Jahre 1869 von dem Engländer William Nagle erfunden worden sein, wofür ich aber noch keine Belege gefunden habe. Ein weiteres System wird von dem Franzosen Eugene Meyer erfunden und in einem Rennen im selben Jahr 1869 verwendet. Auch sein Entwurf hat gespannte Speichen, läßt sich aber nicht patentieren, da Meyer schon einige seiner Räder verkauft hat, bevor er die Patentanmeldung einreicht. Erfolgreich ist hingegen William H. J. Grout in Großbritannien, der im Dezember 1870 ein Rad mit radialen Speichen patentiert.

Ebenfalls durch ein Patent vom August 1870 bestätigt sind die Verbesserungen an den Rädern und dem Antriebszahnrad durch die Briten James Starley und William Hillman, die sich in dem Fahrradmodell Ariel nierderschlagen, dessen Vorderrad mit 100 cm etwa doppelt so groß ist wie das Hinterrad mit 56 cm.

Der Erfinder und Geschäftsmann Starley, der oft als der Vater der Fahrradindustrie beschrieben wird, hatte 1861 zusammen mit Josiah Turner eine Nähmaschinenfabrikation gegründet und beginnt bereits 1868 mit der Herstellung von Fahrrädern, die auch ständig verbessert werden. Die gemeinsam mit Hillman gegründete Firma Ariel bringt das gleichnamige Hochrad 1870 auf den Markt. Im Jahre 1874 liefert Starley dann das letzte Stück des Puzzles, indem er eine Methode zum Aufbau von Rädern entwickelt, deren Speichen den Nabenflansch an einer Tangente verlassen, woraus steifere und stärkere Räder resultieren, die besser als ihre Vorgänger in der Lage sind, den Antriebskräften zu widerstehen.

Der in Großbritannien neben bicycle oder high wheel gebräuchliche Name penny-farthing ergibt sich übrigens aus dem Größenverhältnis von Vorder- und Hinterrad, das in etwa dem der damals gebräuchlichen Penny- und Farthing-Münzen entspricht und erstmals gedruckt in den Bicycle News vom 7. März 1891 verwendet wird. In den 1870er und 1880er Jahren gilt das Hochradfahren als eine Modesportart der Oberschicht – neben Tennis und Bergsteigen.


Die Entwicklungen im Bereich der Rollschuhe gehen im Jahr 1867 weiter, als der Brite William Brown aus Birmingham das Patent für Rollschuh-Räder erhält, bei denen versucht wird, die beiden Lagerflächen einer Achse, die feste und die bewegliche, auseinander zu halten. 1876 wird zudem erstmals ein Stopper patentiert. Ab 1877 arbeitet Bown eng mit Joseph Henry Hughes zusammen, der sich zu diesem Zeitpunkt die Elemente eines einstellbaren Kugel- oder Rollenlagersystems patentieren läßt, das bereits dem bei heutigen Skate- und Skateboardrollen verwendeten System ähnelt.


Das erste offizielle Fahrrad-Langstreckenrennen der Geschichte findet im November 1869 auf der 123 km langen Strecke von Paris bis Rouen statt. Gewinner wird der Radrennfahrer James Moore mit einer Zeit von 10:45 Stunden. Schon im Mai 1868 hatte er das dritte Radrennen überhaupt im Parc de Saint-Cloud, einem westlichen Vorort von Paris, gewonnen.


Daß Fahrräder immer wieder auch militärisch genutzt werden, belegt die Illustration eines Experiments der niederländischen Armee, das 1870 mit einem verlängerten Tandem-Fahrrad samt Anhänger durchgeführt wird.

Otto Dicycle Grafik

Otto Dicycle (Grafik)

Möglicherweise handelt es sich dabei um miteinander verbundene Modelle des sogenannten Otto Dicycle, das von dem gebürtigen Berliner Edward Carl Friedrich Otto entworfen, 1879 patiert und ab 1881 durch die im Vorjahr gegründete Firma Birmingham Small Arms Co. (BSA) in Großbritannien hergestellt wird. Oder eben einen Vorläufer davon...


Anfang der 1870er Jahre soll in Tokio die ebenfalls muskelbetriebene Rikscha erfunden worden sein – allerdings von einem Europäer. Der Geschichte zufolge kommt der anglikanische Geistliche Reverend M. B. Bailey als erster auf die Idee, einen Stuhl auf einen Handwagen zu setzen und diesen ,Fahrstuhl’ dann als öffentliches Verkehrsmittel zu nutzen.

In Großbritannien selbst werden in den 1870er Jahren dreirädrige Lieferfahrräder entwickelt, um die Erzeugnisse der Bäcker, Lebensmittelhändler und Apotheker zu transportieren. Über ihre Nachfahren, die modernen Lastenfahrräder, werde ich in einem gesonderten Absatz berichten (s.d.).


Im Jahr 1876 folgt das von James Starley entwickelte Coventry Lever Tricycle, das zwei kleine Räder auf der rechten Seite und ein großes Antriebsrad auf der linken Seite verwendet, und dessen Antrieb durch Handhebel erfolgt – in Rücksicht auf die Zielgruppe der Frauen, deren übliche Bekleidung kaum für einen Pedalbetrieb geeignet ist. Das Patent darauf erhalten Starleys Sohn und sein Neffe.

Schon ein Jahr später entwickelt Starley ein neues Fahrzeug mit Drehkettenantrieb, das er Coventry Rotary Tricycle nennt – und das gemeinsam mit einem weiteren Patent über ein Differentialgetriebe, das ebenfalls 1877 erteilt wird, bald darauf zu dem Salvo Quadricycle führt, bei dem sich die Antriebsräder bei Kurvenfahrten mit unterschiedlichen Drehzahlen drehen.

Bereits 1879 werden in Coventry zwanzig Arten von drei- und mehrädrigen Fahrzeugen produziert, während 1884 – dem Jahr, aus dem vermutlich das hier abgebildete Coventry Rotary tricycle stammt – schon über 120 verschiedene Modelle berichtet wird, die von 20 Herstellern gebaut und vermarktet werden. Das erste Dreirad mit Vorderradlenkung wird 1881 von der Leicester Safety Tricycle Co. gefertigt und im Folgejahr für 18 £ auf den Markt gebracht. Das Unternehmen soll zur gleichen Zeit auch eine Klapp-Dreirad entwickelt haben.

Humber tandem tricycle

Humber tandem tricycle


Der Wagenbauer und Schmied Thomas Humber aus Sheffield, der bereits 1868 in Nottingham mit dem Bau eigener Räder beginnt, erhält 1878 gemeinsam mit Matthew Doubleday das Patent für die Erfindung eines verbesserten Dreirads, dessen Produktion daraufhin auch umgehend in Angriff genommen wird (GB-Nr. 3126).

Das Humber tandem tricycle mit großen Vorderrädern und einem kleinere Hinterrad zur Lenkung, das hier in einem Foto aus dem Jahr 1886 gezeigt wird, ist eines der schnellsten seiner Art. 1884 läßt sich Humber zudem ein ,safety bicycle’ patentieren (GB-Nr. 6767) und startet die Herstellung eines Tricycle in moderner Anordnung mit Frontdirektlenkung und Hinterradantrieb, das als Humber-Cripper bekannt wird – nach der ersten Person, die damit ein Rennen fährt, einem Robert Cripps.


Im Jahr 1880 wird von G. W. Pressey das American Star Bicycle erfunden, das sich zum einen durch ein kleines Vorderrad auszeichnet, welches das bei anderen Hochrädern häufige auftretende Problem des nach vorne Kippens vermeidet, und das zum anderen durch einen ungewöhnlichen Ratschenantrieb vorwärts bewegt wird.

Anstelle einer Kurbel sammelt ein Paar unabhängiger Tretvorrichtungen die Energie der Fahrerbeine, wobei die Leistung von jedem Fußtritt über einem Lederriemen und einen Sperrklinkenmechanismus auf das Hinterrad übertragen wird. Hierbei kann der Befestigungspunkt des Riemens verschoben werden, um mehrere Übersetzungsverhältnisse zu schaffen – und für einen kurzen Anstieg des Drehmoments lassen sich die beiden Tretvorrichtungen auch gleichzeitig drücken.

Das Rad, das zudem eine Handbremse besitzt, wird zwischen 1881 und 1894/1895 von der Firma H. B. Smith Machine Co. in Smithville, New Jersey, hergestellt. Es wird auch – sehr bald nach dem sie entwickelt worden sind – mit Luftreifen ausgestattet und zu Preisen zwischen 75 $ und 120 $ verkauft (zu einer Zeit als eine durchschnittliche Person pro Jahr 500 $ verdient), was größere kommerzielle Erfolge verhindert. Das Star-Fahrrad ist aber schnell, eine großartiges Stunt Bike, gewinnt viele Bahnrennen und wird Mitte der 1880er Jahre sogar für Fahrrad-Polo verwendet. Insgesamt sollen rund 7.300 Stück an den Mann gebracht worden sein.

Ein Folgemodell mit dem Namen American Eagle, das von 1889 bis 1892 hergestellt wird, besitzt ebenfalls einen Lederkupplungsmechanismus mit Hebeln und Ratschen und hat drei Gänge. Es ist 150 cm hoch und kann eine Geschwindigkeit von 49 km/h erreichen. Von diesem Rad werden gut 2.700 Exemplare produziert.

Lenning-Patent Grafik

Lenning-Patent
(Grafik)


Zwischen 1880 und 1900 sind in England und Frankreich als Promenierspaß zudem sogenannte ,Sociables’ beliebt, drei- oder vierrädrige Fahrräder, die auch oft als 2-Sitzer gestaltet sind.

Im Jahre 1885 bringt die Hamburger Firma Lenning ein sogar fünfrädriges Modell auf den Markt, dessen Patent auf Hugo Herbst und G. A. Lenning aus Hamburg zurückgeht. Es besitzt Sattel für fünf Fahrer sowie einen bequemen Sitzplatz für einen Passagier. Leider ließ sich bislang außer der Abbildung aus dem Reichspatent nichts weiteres darüber finden.


Als erster Mensch, der die Welt auf einem Hochrad umrundet, gilt der britische Autor und Abenteurer Thomas Stevens, der im April 1885 von Liverpool aus startet und über Deutschland, Österreich usw. bis zum Osmanischen Reich radelt. Nachdem er den Winter in Teheran verbringt, will er weiter nach Russland fahren, was ihm jedoch verwehrt wird. Später wird er in Afghanistan inhaftiert und an der Weiterfahrt gehindert, worauf er mit dem Zug nach Konstantinopel zurückkehrt und mit dem Schiff nach Indien reist, von wo aus er weiter nach Hongkong und zu einem Abstecher nach China fährt. Mitte Dezember 1886 erreicht Stevens nach einer Fahrt von rund 22.000 km das Ziel seiner Reise, die Stadt Yokohama in Japan.


Eine alternative Form des Hochrads ist übrigens das Tallbike, das Ende des 19. Jahrhunderts eingesetzt wird, um Straßenlaternen mit Gasbetrieb zu entzünden. Der Sitz dieser Konstrukts, das mit einem Zünder für die Gaslampen ausgestattet ist, befindet sich zumeist in einer Höhe von mehr als 2 m. Einige Modelle haben auch zwei Sattel, von denen sich der untere auf normaler Höhe befindet.

Die Arbeiter fahren damit zu jeder Lampe, lehnen sich mit dem Rad dagegen, zünden sie an und fahren dann zur nächsten. Nach Beendigung der Fahrt benötigen sie allerdings einen Assistenten, der ihnen beim absteigen hilft. Hier abgebildet ist ein 1898 von der Firma Record Manufacturing Co. gebautes Modell namens Giraffe Lamplighter’s Bicycle, das bei einer Auktion von Sotheby’s in Chicago im September 2001 für sagenhafte 24.000 $ an den Käufer geht. Ein weiteres Exemplar kann man im Metz Bicycle Museum bestaunen.

Swing Bicycle Grafik

Swing Bicycle (Grafik)


Aus dem Jahr 1887 stammt ein monströses Beispiel für das Prinzip, daß größere Räder eine glattere Fahrt erlauben. Das Swing Bicycle wird von Nathaniel Brown aus Emporia in Kansas gebaut.

Die Fortbewegung erfolgt, indem die Fahrer durch ein nach unten ziehen der Hebel ihren Transportkorb wie ein Pendel zum Schwingen bringen, was die Maschine (angeblich) vorangetrieben habe. Um Kurven zu fahren, muß ein Bediener härter ziehen als der andere. Brown erhält dafür ein Patent (US-Nr. 356.028).


Um 1876 rollen die ersten Skater in der Hasenheide in Berlin, und schon bald gibt es in der noch jungen Reichshauptstadt Dutzende von Bahnen zum angenehmen Zeitvertreib. Der wahre Siegeszug der Rollschuhe beginnt dann mit der Massenproduktion im großen Stil in den 1880er Jahren in den USA, von wo aus sie sich schnell in anderen Ländern verbreiten.

Einen beträchtlichen Einfluß hat Levant M. Richardson aus Chicago, Illinois, der sich im Jahr 1884 das Patent für den Einsatz von Stahlkugellagern in Skate-Rollen sichert, was die Reibung stark reduziert und es den Skatern ermöglicht, ihre Geschwindigkeit mit minimalem Aufwand zu erhöhen (US-Nr. 308.990). Hinzu kommt ein wirtschaftliches Element: Buchsbaum für Holzräder wird aus Persien und der Türkei importiert, wobei die Preise aufgrund der zunehmenden Nachfrage von 30 $ auf 120 $ pro Tonne steigen.

Die außerdem auch noch leichteren neuen Rollschuhe verursachen eine neue Begeisterungswelle und schon 1885 wird der Kanadier George Berry zum ersten offiziellen ,world speed rollerskating champion’ gekürt. Richardson gründet seinerseits 1898 die sehr erfolgreiche Firma Richardson Ball Bearing and Skate Co., welche die meisten professionellen Skate-Rennfahrer jener Zeit mit ihren Rollschuhen ausstattet.

 

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