allTEIL C

MICRO ENERGY HARVESTING


Muskuläre Systeme (III)


Nahe am Herzen befindet sich mit der Lunge ein weiteres Organ, dessen Bewegungen der Energieerzeugung dienen können, wie es bereits im weiter oben geschilderten Fall des Ratten-Zwerchfells im Labor von Prof. Wang am Georgia Tech geschehen ist. Beim Menschen umfassen die Vorschläge hingegen Geräte, die sich außerhalb des Körpers befinden und durch die Lungenkontraktionen – d.h. den menschlichen Atem – betrieben werden.


In der britischen Presse erscheint im März 2011 beispielsweise die Meldung, daß der indische Student Kancharla Sampath Reddy vom Arjun College of Technologies in Hyderabad eine interessante Erfindung vorgestellt habe: ein Mobiltelefon-Ladegerät, das um die Brust geschnallt von den Lungenbewegungen des Menschen aktiviert wird.

Dabei bringt die Expansion und Kontraktion des Körpers beim Atmen in dem kleinen Gerät einen mit einem Getriebe verbundenen Generator zum drehen, dessen elektrische Energieabgabe 3 - 5 V beträgt. Den Marktwert des Ladegeräts gibt der Erfinder mit rund 150 Indischen Rupien an (~ 2 €). Die Bauanleitung für ein vergleichbares Teil war bereits 2007 auf instructables.com unter dem Titel Breath powered USB charger veröffentlicht worden.


Im Oktober 2011 berichten die Fachblogs über eine Vorrichtung, die von Forschern der University of Wisconsin-Madison (UW) um Prof. Xudong Wang konstruiert worden ist und einen Luftstrom niedriger Geschwindigkeit verwendet, wie er von dem normalen menschlichen Atmung verursacht wird, um ein Mikroband aus Kunststoff in Schwingung zu versetzen, das aus dem piezoelektrischen Material Polyvinylidenfluorid (PVDF) hergestellt ist. Auf der Abbildung ist ein simuliertes Gerät zum Ernten von Energie zu sehen.

Das Team hatte berechnet, daß der in der Regel weniger als 2 m/s schnelle Atem kleine Vibrationen in dem Material verursachen wird, sollte es gelingen, dieses dünn genug zu machen. Damit könnte 1 µW elektrischer Energie erzeugt werden, das für im Gesicht implantierte Sensoren oder andere Geräte nützlich sein könnte.

Um das PVDF-Material Mikrometer-dünn zu machen, ohne daß es dabei seine piezoelektrischen Eigenschaften verliert, verwenden die Wissenschaftler einen Ionen-Ätzprozeß. Mit weiteren Verbesserungen soll die Dicke des biokompatiblen Materials bis auf Submikron-Ebene gesteuert werden, was zur Entwicklung eines praktischen Geräts im Mikromaßstab führen könnte, welches Energie aus dem Luftstrom der Nase einer Person erntet.

Bei Versuchen erreicht die Vorrichtung Leistungsstufen im Millivoltbereich, bei einer maximalen Luftstromgeschwindigkeit aber auch bis zu 6 V. Nun sucht man nach Wegen, um die Effizienz des Geräts zu verbessern.

Prof. Wang, der seine wissenschaftliche Produktivität auf vorbildliche Art auf seiner Homepage dokumentiert, befaßt sich in der Folgezeit mit verschiedenen Technologien des Micro Energy Harvesting. Im Jahr 2012 sind es piezoelektrische Zinkoxid-Nanodrähte (ZnO), und ab 2015 triboelektrische Nanogeneratoren (TENGs), z.B. zur Rückgewinnung von Reibungsenergie aus rollenden Reifen. Darüber findet sich mehr im Kapitelteil der Straßengeneratoren. Auch zur Triboelektrizität selbst folgt noch ein eigenes Kapitelteil (s.u.).

Im Jahr 2018 stehen neben einer effektiven Gewichtskontrolle durch ein implantiertes, selbstversorgendes Gerät sowie der Wundheilung durch elektrische Felder auch der Einsatz von luftstromgetriebenen triboelektrischen Nanogeneratoren für die selbstversorgte Echtzeit-Atemüberwachung auf seinem Programm.

Besonderes öffentliches Interesse findet dabei das Thema der Gewichtskontrolle, die durch eine In-vivo-Stimulation des Vagusnervs umgesetzt wird, bei der ein flexibler und biokompatibler triboelektrischer Nanogenerator auf der Magenoberfläche implantiert wird und biphasische elektrische Impulse erzeugt, für deren Energie die natürliche Peristaltik des Magens sorgt.

Die elektrischen Signale stimulieren wiederum die vagalen afferenten Fasern, um die Nahrungsaufnahme zu reduzieren und das Gewicht zu kontrollieren. Die Methode wird erfolgreich an Ratten demonstriert, wo in nur 15 Tagen ein durchschnittlicher Gewichtsverlust von 38 % erreicht wird (‚Effective weight control via an implanted self-powered vagus nerve stimulation device‘).

Auch das Thema Wundheilung der Haut bekommt viel Presse, denn allein nur in den Vereinigten Staaten sind mehr als 6,5 Millionen Menschen von diabetischen Fußgeschwüren, venösen Hautdefekten und nicht heilenden chirurgischen Wunden betroffen, was Gesundheitsausgaben von geschätzt mehr als 25 Mrd. $ pro Jahr verursachen (‚Effective Wound Healing Enabled by Discrete Alternative Electric Fields from Wearable Nanogenerators‘).

Elektrischer Verband

Elektrischer
Verband

Zwar ist seit Jahrzehnten bekannt, daß elektrische Stimulationen die Heilung von Hautwunden wirksam unterstützen, doch sind die praktischen Anwendungen durch die schwerfälligen elektrischen Systeme immer noch weitgehend eingeschränkt. Wang stellt nun gemeinsam mit der Chirurgie-Professorin Angela Gibson von der UW School of Medicine and Public Health einen selbstversorgten elektrischen Verband vor, bei dem ein tragbarer triboelektrischer Nanogenerator die mechanische Verschiebung durch Hautbewegungen in Elektrizität umgewandelt und ein diskretes elektrisches Wechselfeld zur Beschleunigung der Wundheilung erzeugt.

In anderen Quellen wird ein Verband beschrieben, der fest mit einem Band verdrahtet ist, das um den Oberkörper des Patienten getragen wird und die Nanogeneratoren enthält, die Energie aus der Bewegung des Brustkorbs des Trägers gewinnen, wenn sich dieser beim Atmen ausdehnt und zusammenzieht.

Aus den In-vitro-Studien geht hervor, daß die beschleunigte Wundheilung der Haut auf die durch das elektrische Feld geförderte Migration, Proliferation und Transdifferenzierung von Fibroblasten zurückzuführen ist. Bei Ratten schließt sich eine rechteckige Hautwunde über die gesamte Dicke innerhalb von drei Tagen, verglichen mit zwölf Tagen bei einem natürlichen Heilungsprozeß.

Im Jahr 2021 wird dieser Ansatz durch die Entwicklung eines piezoelektrischen Wafers auf interne Einsätze erweitert. Bislang die elektrischen Geräte zur Wundheilung oft nicht in weiches Gewebe implantiert werden, denn wenn ein Implantat zu hart und starr ist – oder wenn es aus giftigen Materialien besteht – wird es vom Immunsystem des Körpers als Fremdkörper behandelt und infolgedessen von Narbengewebe umhüllt, was seine Funktionalität einschränkt.

Als Lösung stellen die UW-Wissenschaftler ein pflasterartiges gewebestimulierendes Implantat vor, das aus einem piezoelektrischen Wafer besteht, der Kristalle der ungiftigen Aminosäure Lysin enthält, die sich durch einen Selbstorganisationsprozeß zwischen zwei Lagen eines flexiblen, biokompatiblen und biologisch abbaubaren Polymers namens Polyvinylalkohol (PVA) anordnen. In die Brust und die Beine von Ratten implantiert, reichen die regelmäßigen Muskelbewegungen der Tiere aus, um eine meßbare elektrische Leistung zu erzeugen.

Spätere Bluttests zeigen, daß die Wafer, als sie sich schließlich im Körper der Ratten auflösen, keine schädlichen Auswirkungen haben (‚A self-powered implantable and bioresorbable electrostimulation device for biofeedback bone fracture healing‘ bzw. ‚Wafer-scale heterostructured piezoelectric bio-organic thin films‘, beide im Netz einsehbar).

FED

FED

Das Team entwickelt zudem eine Alternative, um gebrochene Knochen elektrisch zu stimulieren, wozu bislang extern gespeiste Elektroden chirurgisch in die Wunde implantiert und nach der Heilung des Knochens auch wieder chirurgisch entfernt werden müssen. Das neue Fraktur-Elektrostimulationsgerät (Fracture Electrostimulation Device, FED) ist ein selbstversorgendes elektrisches Pflaster, das chirurgisch an der Bruchstelle des Knochens angebracht wird, aber nach getaner Arbeit unschädlich vom Körper absorbiert wird.

Das FED besteht aus einem biokompatiblen Polymer, auf dem sich ein triboelektrischer Dünnschicht-Nanogenerator befindet, der die mechanische Energie, die durch Körperbewegungen erzeugt wird, in elektrischen Strom umwandelt, der über Elektroden an den Knochen weitergeleitet wird (‚A self-powered implantable and bioresorbable electrostimulation device for biofeedback bone fracture healing‘).

In Labortests ermöglicht das Gerät Ratten, sich innerhalb von sechs Wochen von einem Schienbeinbruch zu erholen, was deutlich schneller ist als die Genesungszeit einer unbehandelten Kontrollgruppe. Allerdings sind die Ratten während des sechswöchigen Zeitraums relativ aktiv, so daß der Nanogenerator durchgehend etwa 4 V erzeugen kann. Im Gegensatz dazu wird Menschen normalerweise geraten, Gliedmaßen mit gebrochenen Knochen ruhig zu stellen – weshalb an andere interne mechanische Energiequellen gedacht wird, wie z. B. Blutdruckänderungen.

Auch über die atmungsbasierten Systeme wird bereits im Mai 2018 ausführlich berichtet. Dabei geht es zum einen um einen luftstrombetriebenen triboelektrischen Nanogenerator für die selbstversorgte Echtzeit-Atemüberwachung durch Umwandlung der mechanischen Energie der menschlichen Atmung in elektrische Ausgangssignale. Der Betrieb des TENG basiert auf der luftstromgetriebenen Vibration eines flexiblen nanostrukturierten Polytetrafluorethylen (n-PTFE)-Dünnfilms in einem Acrylrohr.

Geplant ist ein kostengünstiges und bequemes System zur Überwachung der Atmung, die als eines der wichtigsten Lebenszeichen des Menschen gilt. Auf der Grundlage des TENG-Geräts wird daher ein intelligentes drahtloses Überwachungs- und Warnsystem entwickelt, welches das TENG-Signal nutzt, um als Reaktion auf Änderungen des Atemverhaltens einen drahtlosen Alarm auszulösen oder ein Mobiltelefon anzuwählen und Warnungen zu senden (,Air-Flow-Driven Triboelectric Nanogenerators for Self-Powered Real-Time Respiratory Monitoring’).

Im Oktober 2019 folgen Berichte über eine weitere Anwendung des Systems als Mensch-Maschine-Schnittstelle (Human Machine Interface, HMI). Die derzeitigen HMI-Interaktionsmethoden, deren entscheidende Erfassungskomponenten auf der Interaktion von körperlichen Bewegungen und Sprache beruhen, sind jedoch für einige behinderte Personen nicht geeignet, die ihre Absichten nur schwer durch Gesten, Bewegungen der Gliedmaßen oder Sprache ausdrücken können.

Als Lösung eine atembasierte Interaktionsmethode vorgeschlagen, bei der ein TENG mit einer einzigen Elektrode als selbstversorgter Sensor dient, um Steuerbefehle durch Atmung für die HMI-Interaktion zu liefern. Der TENG basiert auf einem flexiblen dünnen Film aus Polyethylenterephthalat (PET) mit Nanodrahtstruktur, der die mechanische Energie der Atmung aufnehmen und entsprechende elektrische Signale erzeugen kann (‚Breath-based human–machine interaction system using triboelectric nanogenerator‘).

Im Nachgang zum Thema Corona wird im Januar 2022 ein TENG für die Atmungsmessung (triboelectric nanogenerator for respiratory sensing, RS-TENG) präsentiert, der in eine Gesichtsmaske integriert ist und diese mit einer Atmungsüberwachungsfunktion ausstattet. Der Ausgang des RS-TENG für den Atemfluß kann bis zu 8 V bzw. 0,8 μA erreichen, variiert aber stark mit dem unterschiedlichen Atemstatus.


Anzumerken ist an dieser Stelle, daß sich auch andere Teams mit den oben erwähnten Technologien beschäftigen. So zum Beispiel die University of Electronic Science and Technology of China (UESTC) in Chengdu, die im April 2019 eine Studie zur Entwickelung eines atmungsgesteuerten TENG auf der Grundlage eines Ce-dotierten ZnO-PANI-Nanokompositfilm veröffentlicht, der eine multifunktionale Überwachung der menschlichen Atmung ermöglicht (‚A facile respiration-driven triboelectric nanogenerator for multifunctional respiratory monitoring‘).

Weitere Beispiele: Im September 2021 erscheint von der University of California, Los Angeles der Bericht (‚Triboelectric Nanogenerators for Self-Powered Breath Monitoring‘), in dem ein Überblick über die bestehenden tragbaren Atemüberwachungsgeräte auf TENG-Basis gegeben wird.

Und im August 2022 berichten Forscher der China University of Petroleum (East China) in Qingdao über ihre Entwicklung eines TENG aus mehrwandigen Kohlenstoff-Nanoröhrchen für die selbstversorgte Erkennung von ausgeatmeten Gasen und die Diagnose von Krankheiten, der sowohl als Energiequelle als auch als Sensor für das verwendet werden kann (‚Multifunctional respiration-driven triboelectric nanogenerator for self-powered detection of formaldehyde in exhaled gas and respiratory behavior‘).


In Bezug auf die Heilung gebrochener Knochen durch elektrische Stimulation wird im Juni 2020 über Arbeiten an der University of Connecticut berichtet, wo ein Team um den Biomediziner Thanh Nguyen ein elektrifiziertes Gerüstmaterial entwickelt hat, das an einer Knochenbruchstelle implantiert drahtlos mit Strom versorgt wird und nie entfernt werden muß. Damit werden integrierte und potentiell giftige Batterien oder eine fest verdrahtete externe Stromquelle obsolet.

Das neue Material besteht aus Nanofasern eines ungiftigen und biologisch abbaubaren piezoelektrischen Polymers, das als Poly(L-Milchsäure) oder PLLA bekannt ist. Die gerüstartige Mikrostruktur unterstützt die Heilung, indem sie Knochenzellen einen Platz zum Einwandern bietet, während deren Vermehrung durch das elektrische Feld angeregt wird, welches durch extern angelegte Ultraschallimpulse ausgelöst wird.

Die Idee ist, daß der Arzt oder sogar der Patient selbst nach der Implantation in regelmäßigen Abständen mit einem externen Handgerät Ultraschallimpulse an das Material senden würde, die das Gerüst in Schwingungen versetzen, die wiederum ein schwaches, aber therapeutisches elektrisches Feld erzeugen. Und während sich die stimulierten Knochenzellen des Körpers innerhalb des Gerüsts vermehren, würde es sich allmählich und unschädlich auflösen.


Zurück zur allgemeinen Chronologie:


Ebenfalls im Jahr 2011 wird der brasilianische Designer João Paulo Lammoglia für sein Designkonzept Aire mit einem Red Dot Award ausgezeichnet.

Das Gerät, das ein wenig wie eine Darth-Vader-Halbmaske in weiß aussieht, enthält kleine Turbinen, die mit dem Atem des Nutzer angetrieben werden.

Dem Designer zufolge kann man die Atemmaske bei jeder Gelegenheit tragen, während man ein Buch liest, beim Joggen, Schlafen usw. - um mit der so erzeugten Energie seine Gadgets aufzuladen. Es ist anzunehmen, daß es bei dem Design bleibt, denn bislang ist von einer praktischen Umsetzung noch nichts zu sehen.


Ein klein wenig mehr Kraft als beim Atmen steckt möglicherweise in dem Druck eines Fingers auf einen Schalter. Auch für diese Umsetzung der Technologie gibt es bereits verschiedene praktische Beispiele:

So stellt die im Jahr 2001 als Spin-Off der Siemens AG gegründete Firma EnOcean GmbH aus Oberhaching bei München ab 2002 Funkschalter für Lampen her, die das Kabel überflüssig machen, das den Schalter normalerweise mit der Lampe verbindet. Statt dessen bewegt sich eine kleine Spule durch ein Magnetfeld, sobald jemand den Schalter drückt. Die dadurch erzeugte Energie reicht aus, um per Funk eine kurze Botschaft an den Empfänger in der Lampenfassung zu schicken – worauf die Glühbirne bzw. die LED-Leuchte erstrahlt, oder eben ausgeht.

Energiewandler eco 200

Energiewandler
eco 200

Die Technik der ,batterielosen Funksensorik’ - wie der Fachbegriff lautet - lohnt sich vor allem in großen Bürokomplexen wie beispielsweise dem 55-stöckigen Hochhaus Torre Cristal in Madrid, das die Firma Anfang 2008 mit 4.200 Schaltern ausstattet, wobei viele Kilometer Kupferkabel eingespart werden können.

Hierzu noch einige Hintergrundinformationen: Der Begriff Enocean bezeichnet inzwischen einen vor allem in der Überwachung und Steuerung von Haus- und Gebäudetechnik genutzten herstellerübergreifenden Standard für batterielose Funksensorik, der sich von anderen Systemen vor allem durch das Prinzip des Energy Harvesting unterscheidet, durch welches die Sensoren und Schalter überwiegend batterielos arbeiten. Dabei gilt die EnOcean GmbH als Erfinder der Grundlagentechnologie und Halter der entsprechenden Patente.

Zur Weiterentwicklung der Technologie wird im April 2008 die Non-Profit-Organisation Enocean Alliance mit Sitz San Ramon, USA, gegründet, ein Zusammenschluß von zwischenzeitlich mehr als 250 Unternehmen (Stand 2016). Im Jahr 2012 erfolgt die Regelung der Enocean-Technologie durch den internationalen Standard ISO/IEC 14543-3-10.

Im Mai 2010 wird die Firma EnOcean, deren Funksensoren und -aktoren inzwischen in über 100.000 Gebäuden installiert sind, für ihre Entwicklung auf dem Gebiet der thermoelektrischen Wandler (insbesondere das Modell ECT 300) mit dem IDTechEx Energy Harvesting Award 2010 ausgezeichnet. Daneben wird die seit 2005 bestehende Zusammenarbeit mit Texas Instruments (TI) ausgebaut.

2011 stellt das Unternehmen auf der ISH zudem den weltweit ersten selbstversorgten CO2-Sensor vor, der seine Energie aus der Bewegung, dem Licht oder den Temperaturdifferenzen in seiner Umgebung beziehen kann. Im März 2014 sind die Funkkomponenten von EnOcean weltweit bereits in über 250.000 Gebäuden im Einsatz.


Ein weiteres Beispiel ist Fernbedienung der japanischen Firma NEC Electronics, die im November 2009 in die Presse kommt.

Fernsteuerungs-Prototyp von NEC

Prototyp der
NEC-Fernsteuerung

Die in Zusammenarbeit mit der ebenfalls japanischen Soundpower Corp. entwickelte Fernbedienung kommt gänzlich ohne Batterien aus, da die beim Tastendruck entstehenden schwachen Vibrationen mittels eines piezoelektrischen Generators zur Energieversorgung genutzt werden. Bereits mit dem Prototyp ist es möglich, die elementaren Funktionen eines TV-Geräts, wie Ein- und Ausschalten, Lautstärke und Kanalwechsel zu steuern.

Zum Einsatz kommt ein vibrationsbasierter Generator von Soundpower, einem Piezoelektrik-Speziaunternehmen, das auch in einen Test in Tokio involviert ist, bei dem entsprechende Bodenplatten in Bahnhöfen die Schritte der Fahrgäste zur Energiegewinnung nutzen sollen. Ich habe darüber bereits im Kapitel Muskelkraft geschrieben. Soundpower beschäftigt sich außerdem mit der Nutzung von Schallwellen beim Sprechen zur Stromerzeugung (s.u.).

Trotz umfangreicher Recherche ließ sich aber nichts über eine tatsächliche Umsetzung der selbstversorgenden Fernbedienung finden.


Wesentlich häufiger und andauernder als Lichtschalter oder Fernbedienungen werden allerdings die Tasten von Computer-Keyboards oder die Apps etc. auf Touchscreens gedrückt. In einer 1999 erschienenen Studie von M. Nagurka et al. an der Marquette University in Milwaukee, Wisconsin, in der es eigentlich um ein besseres Verständnis für das taktile ,Gefühl’ von Keyboards geht, wird berechnet, daß es etwa 1,5 mJ erfordert, eine Buchstabentaste zu drücken, während die großen Enter- und Leer-Tasten 2,5 mJ benötigen. Woraus sich vielleicht einiges recyclen ließe, wie einige Unternehmen meinen.

Im Jahr 1999 erhält die Firma Compaq Computer Corp. aus Houston in Texas das Patent für ein Verfahren, um mit der Energiezufuhr aus den Tastatur-Eingaben die Laptop-Batterien aufzuladen. Als Erfinder wird Adrian Crisan aus Cypress genannt (US-Nr. 5.911. 529, angemeldet 1997).

Compaq kann bereits einen Prototypen vorweisen, bei dem jede Taste einen daran befestigten, winzigen Magneten besitzt, der den Bruchteil eines Gramms wiegt. Dieser wird durch eine Spule bewegt, wenn die Taste gedrückt wird, und induziert dabei einen kleinen Strom, der vorübergehend in einem Kondensator gespeichert wird. Ist dieser nach wiederholten Anschlägen geladen, überträgt er seine Energie an die Batterie, um deren Funktionsdauer zu verlängern. In einer zweiten Ausführungsform sind an der einzelnen Taste gleich mehrere Magneten montiert, um die Leistungsfähigkeit der Tastatur zu verbessern.

Für die kommerzielle Verwertung ist das System zu diesem Zeitpunkt aber bei weitem noch nicht bereit, da es ja auch eingesetzt werden soll, um die Größe der Primärbatterie zu reduzieren, was zu leichteren tragbaren Computern führen soll. Kritiker bemängeln allerdings, daß eine Energiebeschaffung auf diesem Weg kaum sinnvoll sei und belegen dies mit einer Berechnung:

Ein durchschnittlicher Roman enthält eine halbe bis eine Million Zeichen, deren Eingabe etwa ein Kilojoule erzeugt. Wird viel umgeschrieben, könnten auch 2 – 3 kJ daraus werden. Damit ließe sich ein Laptop etwa 15 Sekunden lang betreiben, sodaß man alle zehn Sekunden einen komplette Roman schreiben müßte, um das Gerät ununterbrochen in Betrieb zu halten. Es bleibt also abzuwarten, ob die Leistung derartiger Syteme auf signifikante Werte gesteigert werden kann.


Trotz dieser rechnerischen Einschränkung beschäftigen sich auch andere Seiten damit, Laptops mittels Tippen, und Kameras durch das Drücken des Auslösers mit Strom zu versorgen. In einer im Juni 2011 erschienenen Veröffentlichung beschreibt ein Team um die Professorin Madhu Bhaskaran vom Royal Melbourne Institute of Technology (RMIT), wie ein piezoelektrischer Film in Verbindung mit den beweglichen Teilen elektronischer Geräte verwendet werden kann, um deren Batterien aufzuladen.

Das Team präsentiert eine Nanoindentor-Spitze als ein Werkzeug, um die Erzeugung elektrischer Energie aus piezoelektrischen Dünnfilmen zu beschreiben. Dabei wird solche direkte Wechselwirkung im Nanometer-Maßstab zum ersten Mal für die kontrollierte in-situ-Charakterisierung von Spannung und Strom dieser Dünnfilme genutzt. Die quantitativen Ergebnisse zeigen, daß die Nanostrukturierung verbesserte Materialien für integrierte Energy-Harvesting-Systeme im Mikrometer-Maßstab ergibt.

Die Leistung, die von der aktuellen Generation Piezo-Folien geerntet wird, beträgt 250 W/mm2 bei einer Kraft von 5,0 mN. Um eine ,ewige’ Batterie zu konstruieren oder bestehende Batterien zu ersetzen, müßte dies um das Zehnfache gesteigert werden. Bhaskaran arbeitet zwar noch mindestens bis 2013 im Rahmen eines Postdoc-Programms des Australian Research Council an der Erforschung piezoelektrischer Dünnfilme, scheint bislang aber nichts mehr darüber publiziert zu haben.


Das japanische Spezialchemie-Unternehmen Kuraray Co. Ltd. stellt bereits im November 2010 einen neuen Polymerfilm vor, der Spannung erzeugt, wenn er gebogen wird, wobei die Stärke der Spannung vom Grad der Biegung abhängig ist. Der Film sollte eigentlich als Sensor für medizinische Geräte und verschiedene Eingabegeräte verwendet werden, scheint es bislang aber nicht zum Produkt geschafft zu haben. Auch auf der Homepage des Unternehmens ist nichts mehr darüber zu finden.


Von der US-Firma Kaba Access Control aus North Carolina stammt ein im Februar 2011 erstmals präsentiertes, selbstbetriebenes Türschloß mit programmierbarer elektronischer Zugangskontrolle.

Die patentierte Powerstar-Technologie der E-Plex 2000-Serie (später: PowerPlex 2000) sorgt dafür, daß das Schloß mit jeder Betätigung der Türgriffs nach unten einen Generator antreibt, der die notwendige Elektrizität liefert, die in einem Kondensator gespeichert wird. Dadurch entfällt die Notwendigkeit, jemals irgendwelche Batterien ersetzen zu müssen. Darüber hinaus gibt es keine Verdrahtung an oder durch die Tür.

Im Nachhaltigkeitsbericht des Unternehmens 2013 wird die Innovation als Higlight bezeichnet – und im Firmenreport 2015 noch immer als Initiative. Von einem Produkt hingegen ist bislang nichts zu sehen.


Im April 2011 veröffentlichen Forscher der University of Auckland in Neuseeland einen Bericht über eine besondere Klasse von veränderlichen Kondensator-Generatoren, die als dielektrische Elastomer-Generatoren (DEG) bekannt sind und großes Potential als tragbare Energy-Harvesting-Systeme zeigen. Die DEGs ermöglichen die Herstellung leichter, weicher, formschlüssiger und stiller Energie-Ernter mit hervorragenden mechanischen Eigenschaften, die gut zu menschlichen Muskeln passen.

Das Team des Biomimetics Laboratory um Thomas McKay, das sich mit der Schaffung neuer Technologie durch Biomimikry befaßt, betont, daß das Potential der kostengünstigen und tragbaren DEGs bisher durch den Bedarf nach einer sperrigen, starren und teuren externen Schaltung begrenzt war. Die Neuentwicklung betrifft daher einen super-dünnen, weichen DEG, dessen dehnbare Schaltungselemente in der Membran selbst integriert sind.

Mit einem 10 cm großen Prototypen, der aus preiswerten Gummi-Membranen und dem als Montagepaste bekannten Kohlenstoff-Fett ,Carbon Grease’ besteht und in einem Acrylglas-Rahmen montiert ist, werden bei einem Wirkungsgrad von 12 % immerhin schon 10 mW erreicht. Dabei kostet der kolbenartigen Generator nur 3,70 $, zu denen 20 $ für das Acrylglas hinzu kommen.


Nur wenige Monate später, im Oktober 2011, ist aus dem Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF in Darmstadt zu hören, daß sich hier Forscher um William Kaal mit elektroaktiven Elastomeren (EAE) beschäftigen. Wie Piezokeramiken gehören elektroaktive Elastomere zu den sogenannten ,smart materials’, die sich bei Anlegen eines elektrischen Feldes mechanisch verformen.

Da Elastomerbauteile klassischerweise genutzt werden, um in stark schwingenden technischen Systemen große Bewegungen auszugleichen und zu dämpfen, wird überlegt, ob diese nicht ,intelligent’ gemacht werden können, um sich aktiv zu verformen, Massen zu heben und zum Schwingen anzuregen. Sie könnten dann viel effektiver störende Schwingungen bekämpfen, indem sie Gegenschwingungen erzeugen – oder auch aus den Schwingungen, die sie dämpfen, elektrische Energie gewinnen.

Elektrode und Elastomer

Elektrode
und Elastomer

Als Demonstrator wird ein neuartiger Stapel-Aktor entwickelt, der die speziellen Eigenschaften der elektroaktiven Elastomere nutzt und völlig neue Anwendungsbereiche erschließen soll, insbesondere im Bereich des Energy-Harvesting mit kleinen Amplituden, wo mechanische Umgebungsenergie aus Vibrationen in elektrische Energie gewandelt wird. Aber auch Bewegungen, wie sie beispielsweise von durch wiederholten Druck hervorgerufen werden, wollen die Forscher zur Energiegewinnung nutzen.

Der Demonstrator hat 50 aktive Schichten von je 140 µm Schichtdicke und einer Grundfläche von 60 x 60 mm. Wird ein elektromagnetischer Schwinger auf den Stapelaktor gestellt, wandelt er die Vibrationen in Strom um. Mit einer Ansteuerungsspannung von 1,5 kV sind quasistatische Dehnungen von mehreren Prozent möglich, was durch eine Verringerung der Schichtdicke weiter verbessert werden soll. Zudem wird bereits am Aufbau eines größeren Systems gearbeitet.

Im Juni 2012 folgt ein weiterer Bericht, aus dem auch einige Details der obigen Umsetzung bekannt werden. Demnach werden die eigentlich starren und die Verformung des Elastomers behindernden Metallelektroden mit mikroskopisch kleinen Löchern versehen, in die das Elastomer ausweichen kann, sobald es durch eine elektrische Spannung verformt wird. Die obige Abbildung zeigt im Vordergrund die gitterförmige Elektrode und im Hintergrund das wellige Elastomer. Zudem werden in diesem Jahr numerische Beschreibungen der elektroaktiven Elastomere durchgeführt.

Obwohl die Stapelaktor-Technologie weitgehend ausgereift sei, müssen nun Dauertests zeigen, wie langzeitbeständig die intelligenten Aktoren sind, bevor an eine industrielle Massenproduktion gedacht werden kann.

Einer Meldung vom Mai 2015 zufolge beschäftigt sich inzwischen auch das Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM) in Berlin mit den elektrisch leitenden Elastomeren. Im Rahmen des bereits im Oktober 2013 gestarteten MATFLEXEND Projekts der Europäischen Kommission, das vom IZM geleitet wird, sollen in erster Linie neue Materialien erforscht werden, die kapazitiv-mechanisches Energieernten auf Basis von High-k-Dielektrikum-Kompositen und elektrisch leitenden Elastomeren als variable Kondensatorelektroden ermöglichen.

Die Ziele des bis Ende September 2016 laufenden EU-Projekts sind flexible Energiewandler und -ernter sowie ebenfalls flexible Akkus dafür. Als Anwendungen werden tragbare Elektronik in Form intelligenter Textilien oder Schuheinlagen, autonome elektrochemische Sensoren sowie Chipkarten entwickelt, die aufgeladen werden, wenn man sie biegt. Darüber hinaus denken die Forscher auch an Anwendungen in Fluß- oder Meeresströmungen sowie bei Meereswellen, wo die Elastomere bis zu 1 kW erreichen sollen. Überraschenderweise verschwindet dieser letzte Hinweis innerhalb kürzester Zeit wieder aus den Quellen, sodaß sich inzwischen nichts mehr darüber recherchieren läßt.

In jedem Fall erinnert dieser Ansatz an die Arbeiten, die schon in den später 1990er Jahren bei SRI International in Menlo Park, Kalifornien, erfolgt sind, als dort ein gummiartiges Material mit dem Namen Electroactive Polymer Artificial Muscle (EPAM) entwickelt wurde, das durch zyklisches Auseinanderziehen und anschließende Kontraktion Elektrizität erzeugt und im Bereich der Wellenenergie genutzt werden sollte. Ich habe darüber sowohl im Kapitel zur Muskelkraft, als auch in der Länderübersicht Wellenenergie/USA berichtet (s.d.).


Wie im April 2013 zu erfahren ist, beschäftigt sich auch Prof. Carmel Majidi an der Carnegie Mellon University, der dabe mit  360.000 $ von dem Air Force Office of Scientific Research (AFOSR) finanziert wird, mit dem Einsatz von Elastomeren im Bereich der Soft-Robotik – einer neuen Domäne in der Robotik, in welcher die Roboter aus weichen Materialien hergestellt sind und dadurch mehr die Funktionalitäten und Eigenschaften aufweisen, die in natürlichen Organismen auftreten.

Besonderes Interesse besteht dabei an Materialien, die in der Lage sind durch eine elastische Verformung Energie aus ihrer Umgebung zu ernten. Über praktische Umsetzungen durch das Majidi-Team habe ich bislang nichts finden können.


An dieser Stelle sei auch auf das im April 2006 als Spin-off der Penn State University von Ralph Russo und Prof. Qiming Zhang gegründete Unternehmen Strategic Polymer Sciences Inc. (SPS) in State College, Pennsylvania, hingewiesen, das mit gepulsten Leistungskondensatoren hoher Energiedichte startet, die z.B. in Waffensystemen verwendet werden, welche sehr hohe Energiestöße oder große Energiemengen benötigen, die in Millisekunden freigesetzt werden. Ein weiteres Feld ist die Entwicklung von Technologien, die auf einer Weiterentwicklung der elektroaktiven Polymere (EAP) basieren.

Die Aktoren und Sensoren der Firma beruhen auf elektromechanischen Polymeren (Electrical-Mechanical Polymers, EMP), die Zhang Anfang 2000 im Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Entdeckung einer neuen Klasse von ferroelektrischen Materialien gefunden hatte. Das EMP ist ein piezoelektrisches Polymermaterial in Form einer nur 200 µm dünnen, leichten und flexiblen Folie, die sich ausdehnt, wenn ein elektrisches Feld angelegt wird – bzw. eine elektrische Ladung erzeugt, wenn sie verformt oder von einer Fingerspitze gedrückt wird.

Nach der Seed-Föderung durch die Ben Franklin Technology Partners of Central and Northern Pennsylvania in Höhe von 50.000 $ im Mai 2007 kann die Firma in einer Finanzierungsrunde A im Mai 2008 von Ben Franklin, der Life Sciences Greenhouse of Pennsylvania, Wilson Sonsini Goodrich & Rosati und Chengwei Capital insgesamt 3 Mio. $ einwerben. Im Jahr 2010 kommt ein Zuschuß von 1 Mio. $  vom Department of Energy dazu, um Hochleistungs-Energiespeicher für Elektrofahrzeuge zu entwickeln – sowie weitere 3 Mio. $ vom National Institute of Health für die Entwicklung medizinischer Geräte.

Nachdem die Firma Ende 2013 ihren Namen in Novasentis Inc. ändert und den Hauptsitz nach Burlingame in Kalifornien verlegt, bekommt sie in einer Finanzierungsrunde B im Juni 2014 von Chengwei Capital sowie Samsung Ventures zusätzliche 10,41 Mio. $.

Im April 2016 vereinbaren Novasentis und die KEMET Electronics Corp., ein weltweit führender Anbieter von elektronischen Komponenten, eine Zusammenarbeit, um auf Basis der EMP-Folie die nächste Generation haptischer Aktoren für tragbare Geräte zu konstruieren. KEMET wird hierzu das Herstellungsverfahren für die Endmontage entwickeln. Ein Produktions-Prototyp soll im Sommer 2016 bereitstehen, die Produktion selbst dann im Frühjahr 2017 beginnen - was sich aber nicht belegen läßt. Sicher ist, daß die Firma in einer weiteren Finanzierungsrunde im Februar 2018 nochmals gut 9 Mio. $ einnimmt - und 2019 von der KEMET übernommen wird.

Heute konzentriert sich das Unternehmen auf ultradünne, leichte und flexible haptische Aktoren für Anwendungen wie AR/VR, intelligente Uhren, Armbänder, intelligente Kleidung usw.


Die Energiegewinnung über intelligente Materialien wird seit einigen Jahren auch von Forschern des französischen Institut National des Sciences Appliquées de Lyon (INSA) und der Université de Lyon verfolgt. Hier konzentriert man sich auf elektrostriktive Polymere, die als Untergruppe der Elektroaktiven Polymere (EAP) gelten, und auf ihre potentielle Fähigkeit, mechanische Energie zu ernten. Die ersten Veröffentlichungen der Wissenschaftler um P. J. Cottinet stammen aus dem Jahr 2010.

Im Februar 2016 berichtet die Gruppe von einem bedeutenden Durchbruch, als sich das Hinzufügen eines Weichmachers als effiziente Methode erweist, die mechanische Energie-Ernte-Leistung dieser Materialien merklich zu verbessern.

Die Arbeit der Gruppe konzentriert sich weitgehend auf den piezoelektrischen Effekt, obwohl die elektrostriktiven Polymere von Natur aus nicht-piezoelektrisch sind. Allerdings läßt sich bei ihnen ein pseudo-piezoelektrischer Effekt induzieren, wenn sie einem groß angelegten Gleichstrom-Feld ausgesetzt werden. Dies soll nun ausgenutzt werden, um die Entwicklung praktischer mechanischer Energie-Ernter auf Basis der elektrostriktiven Polymere anzugehen.

Viren-Elektrode Grafik

Viren-Elektrode
(Grafik)


Vom Mai 2012 datiert eine Veröffentlichung von Wissenschaftlern aus dem Lawrence Berkeley National Laboratory des US-Energieministeriums um Seung-Wuk Lee, denen es erstmals gelingt, Strom aus den piezoelektrischen Eigenschaften eines biologischen Materials zu erzeugen (‚Virus-based piezoelectric energy generation‘).

Daß hierarchisch organisierte natürliche Materialien wie Knochen, Kollagenfibrillen und Peptid Nanoröhrchen piezoelektrische Eigenschaften aufweisen können, ist bereits seit 1962 (,Generation of electric potentials by bone in response to mechanical stress’, von C. A. L. Bassett & R. O. Becker), 1983 (,Piezoelectric properties of biological polymers’, von E. Fukada) bzw. 2010 bekannt (,Strong piezoelectricity in bioinspired peptide nanotubes’, von A. Kholkin et al.).

In dem aktuellen Bericht wird ein aus genveränderten Viren konstruierter, briefmarkengroßer Generator beschrieben, der die ausgeübte Kraft eines Fingerdrucks in elektrische Energie umwandelt. Hierfür werden die für Menschen harmlosen Bakteriophagen des Typs M13 genutzt, deren Wirt E. coli-Bakterien sind. Die stäbchenförmigen, 880 nm langen und 6,6 nm dicken Viren replizieren sich rasant schnell in Bakterien und formieren sich, wenn es sie in großen Mengen gibt, selbständig zu einem geordneten Film. Bedeckt werden sie jeweils von etwa 2.700 Mantel-Proteinen mit einem Dipol.

Um die piezoelektrischen Eigenschaften der Viren zu bestätigen, leiten die Wissenschaftler mit einem Piezokraftmikroskop Strom auf einen nano-dünnen Film von Viren, wobei sich zeigt, daß sich die Mantel-Proteine in Reaktion darauf bewegen und drehen. Um den Effekt zu stärken, werden mittels Gentechnik am negativen Dipol-Ende der Mantel-Proteine 1-4 negativ geladene Aminosäuren hinzugefügt, was die elektrische Spannung der Viren tatsächlich erhöht.

Eine weitere Steigerung wird erreicht, indem die aus einzelnen Virenschichten bestehenden Filme übereinander gelegt werden. Dabei wird die stärkste piezoelektrische Wirkung bei 20 übereinander liegenden Schichten von Viren mit vier zusätzlichen negativen Aminosäuren beobachtet.

Für den Bau des 1 cm2 großen biologischen piezoelektrischen Generators werden mehrere Schichten der genveränderten Bakterien zwischen zwei vergoldeten Elektroden plaziert, die mit einem kleinen LCD-Bildschirm verbunden sind. Bei Druck erzeugt der Virengenerator eine Spannung von bis zu 400 mV und eine Stromstärke von bis zu 6 nA, was ausreicht, um pro Fingerdruck die Zahl 1 kurz auf dem Bildschirm aufleuchten zu lassen.

Ob sich die Innovation auch umgekehrt als Speichermedium verwenden läßt, ist noch ungeklärt – ebenso wie belastbar und andauernd die Viren Strom erzeugen können. Zudem sind die piezoelektrischen Vorgänge bei Biomaterialien auf molekularer Ebene noch nicht geklärt, weil deren Verhalten nicht den klassischen Theorien entspricht, die auf der Grundlage von ganz anders gearteten kristallinen Strukturen gebildet worden sind.

Das Team von Lee befaßt sich auch in den Folgejahren mit dem Energy Harvesting. Im August 2018 erscheint der Bericht ‚Diphenylalanine Peptide Nanotube Energy Harvesters‘, in dem es um die Entwicklung unidirektional polarisierter, ausgerichteter Diphenylalanin-Nanoröhrchen geht, aus denen piezoelektrische Energie-Harvester auf Peptidbasis hergestellt werden.

Bei einer Kraft von 42 N erzeugen diese eine Spannung von bis zu 2,8 V, einen Strom von bis zu 37,4 nA und eine Leistung von bis zu 8,2 nW. Damit lassen sich mehrere Flüssigkristallbildschirme versorgen.

Im April 2019 folgt die Studie ‚Vertical Self-Assembly of Polarized Phage Nanostructure for Energy Harvesting‘ mit der Beschreibung, wie mit Hilfe der Gentechnik und des schablonenunterstützten Selbstmontageprozesses vertikal ausgerichtete und polarisierte piezoelektrische Nanostrukturen aus vorsynthetisierten biologischen piezoelektrischen Nanofasern, M13-Phagen, hergestellt werden.

Durch Kontrolle der Ausrichtung, Polarisationsrichtung, Mikrostrukturmorphologie und Dichte der Nanomaterialien weisen die resultierenden, vertikal selbstorganisierten Energiesammler auf Phagenbasis (PEH) dreimal höhere piezoelektrische Konstantenwerte auf als bisher. Bei einer Kraft von 17 N zeigt der PEH ein Potential von bis zu 2,8 V, einen Strom von 120 nA und eine Leistung von 236 nW. Darüber hinaus erzeugen fünf integrierte PEH-Geräte eine Ausgangsspannung von 12 V und einen Ausgangsstrom von 300 nA, einfach mit einem Fingerdruck. Das resultierende Gerät kann z.B. Leuchtdioden-Hintergrundbeleuchtung auf einem Flüssigkristalldisplay betreiben.

Unter dem Titel ‚Biomolecular Piezoelectric Materials: From Amino Acids to Living Tissues‘ erscheint im Februar 2020 eine Zusammenfassung der Fortschritte in der Forschung zur Piezoelektrizität in verschiedenen biologischen Materialien, darunter Aminosäuren, Peptide, Proteine und Gewebe. Hier wird auch der Ursprung der Piezoelektrizität in den verschiedenen biologischen Materialien behandelt.

Die bislang jüngste Studie des Teams in diesem Zusammenhang wird im August 2021 veröffentlicht. Diesmal geht es allerdings darum, durch Glutamat veränderte M13-Bakteriophagen zu nutzen, um genau definierte chemische und physikalische Strukturen mit triboelektrischem Potential zu erzeugen. Dabei zeigt sich, daß stärker negativ geladene Phagen höhere triboelektrische Potentiale erzeugen und die elektrischen Ladungen schneller verbreiten können als weniger negativ geladene Phagen.

Im vorliegenden Fall wird ein PEH hergestellt, der bei einer mechanischen Krafteinwirkung ~ 76 V und ~ 5,1 μA erzeugen kann, was ausreicht, um 30 Leuchtdioden mit Strom zu versorgen (‚M13 Virus Triboelectricity and Energy Harvesting‘). Über Viren-Batterien berichte ich im Kapitel zur Energiespeicherung (s.d.)


Über den o.e. KAIST-Wissenschaftler Prof. Keon Jae Lee wird im Dezember 2013 berichtet, daß er gemeinsam mit seinem Kollegen Prof. Yoon Sung Nam einen flexiblen piezoelektrischen Nanogenerator zur Energiegewinnung entwickelt habe, der ebenfalls auf genveränderten M13 Viren basiert, sowie auf der Synthese eines hochpiezoelektrischen anorganischen Materials namens Bariumtitanat (BaTiO3 o. BTO). Damit soll es möglich sein, einen Hochleistungs-Nanogenerator herzustellen, der in der Lage ist, kommerzielle LCD-Bildschirme und LED-Lampen alleine durch Fingerbewegungen zu betreiben.

Spermbots Grafik

Spermbots
(Grafik)


Ebenfalls zu den biologisch betriebenen Systemen gehören die sogenannten Spermbots, an deren Entwicklung Wissenschaftler am Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden (IFW Dresden) um Prof. Oliver G. Schmidt arbeiten. Sie bestehen aus kleinen Röhren und werden von einzelnen lebenden Spermien angetrieben. Die Steuerung ihrer Geschwindigkeit geschieht durch Veränderung der Temperatur, und um sich in eine gewünschte Richtung zu bewegen, lassen sich die Bio-Roboter zudem magnetisch steuern.

Die als sicherere Alternative zu künstlichen Nanomotoren gedachten Spermbots, über die erstmals im Januar 2014 berichtet wird, sind robust genug, um eine spezielle Samenzelle zu einer Eizelle zu führen. Die weitere Entwicklung der Technologie soll Eltern, die versuchen ein Kind zu bekommen, eine Alternative zur in-vitro-Befruchtung bieten. In perfektionierter Form könnten die Spermbots aber auch als sicheres Mittel zur gezielten Arzneimittelabgabe oder sogar zur Genmanipulation verwendet werden.

Die Idee dazu war den Forschen fünf Jahre zuvor gekommen, als sie bemerkten, daß Samenzellen mit ihren starken biologischen Geißel-Motoren von ähnlicher Größe wie die Mikroröhrchen sind, die sie im Labor fertigen können. Sie beginnen mit Samenzellen von Stieren zu arbeiten, die in der Größe den menschlichen ähnlich sind. Spermazellen sind ideale Kandidaten, um in Biobots verwandelt zu werden, da sie leicht verfügbar, harmlos und beim Schwimmen durch Körperflüssigkeiten sehr effizient sind.

Der erste Schritt zur Herstellung der Spermbots besteht darin, dünne, konische Magnetröhrchen aus einem Titan- und Eisen-Film zu erzeugen, die fähig sind, Samenzellen einzufangen. Aus einem etwa 22 x 22 mm großen Chip können rund 200.000 gut definierte Mikrotubuli produziert werden. Diese sind so aufgerollt, daß ein Ende größer ist als das andere, mit einem Durchmesser, der etwas größer ist als der Kopf einer Bullenspermie.

Werden lebende Samenzellen in eine Lösung in einer Petrischale gegeben, welche diese Mikrotubuli enthält, schwimmen die Spermien herum, bis sie zufällig in die Röhrchen hineindringen. Einmal drinnen, sind sie mechanisch eingesperrt und treiben die Röhrchen mit bis zu 100 µm/s voran, wenn sie sich bewegen, was etwa der zweifachen Körperlänge des Spermbots entspricht.

Spermbot mit Spiralenantrieb

Spermbot mit
Spiralenantrieb

Nun arbeiten die Forscher daran, daß der Spermbot sein Spermium magnetisch wieder freigibt, sobald er die gewünschte Position erreicht. Alternativ soll es auch möglich sein, die Spermien zu befreien, indem die Röhrchen durch Veränderung der Temperatur entrollt werden, kurz bevor sie das Ei erreichen. Die ausgedienten Metallfilme können dann mit wenig oder gar keiner Gefahr per Magnetfeld aus dem Körper entfernt werden. Auch im Vergleich zu magnetischen Nanopartikeln sind magnetische Mikrotubuli nicht so gefährlich. Sie können schließlich nicht in die Zellen dringen, weil sie ja größer sind als die Zelle selbst.

Bevor Experimente und klinische Studien mit menschlichen Spermien beginnen, plant das Team, die assistierte Befruchtung mit Tieren zu versuchen.

Einer Meldung vom Februar 2015 zufolge sind die Spermbots des IFW Dresden derweil beträchtlich weiterentwickelt worden – und werden inzwischen mittels eines 3D-Druckers hergestellt. Mit diesem entstehen aus einem Photopolymer winzigste Kunststoffspiralen, die zusätzlich mit einer Metallschicht überzogen werden, um ihnen magnetische Eigenschaften zu verleihen, damit sie von einem rotierenden magnetischen Feld gesteuert werden können.

Dieses übernimmt nun aber auch die Antriebsfunktion, indem es den Metallwendel um einen Samenschwanz wickelt und diesen dann gesteuert vorantreibt, bis er die Wand eines Eies erreicht, worauf die Helix ihre Drehrichtung umkehrt, um sich von der Spermie zu lösen – was allerdings noch nicht immer klappt.

Gemeinsam mit seiner Kollegin Mariana Medina-Sánchez veröffentlicht Schmidt im Dezember 2015 den Bericht ‚Cellular Cargo Delivery: Toward Assisted Fertilization by Sperm-Carrying Micromotors‘ – und im März 2018 bekommt der Physiker Schmidt für seine herausragende Forschung den renommierten Leibniz-Preis. Im Juni 2019 folgt mit ‚Modeling of Spermbots in a Viscous Colloidal Suspension‘ eine Studie über die Simulation der hydrodynamischen Effekte und der Schwimmgeschwindigkeit der Spermien in einem heterogenen, viskosen Medium.


Eine kurze Recherche zeigt, daß im Jahr 2014 auch ein Team um Islam S. M. Khalil von der Deutschen Universität in Kairo (GUC) und Sarthak Misra von der Universität Twente in den Niederlanden an einem 322 nm langen Mikroroboter mit der Form eines Spermiums arbeitet, der mit schwachen Magnetfeldern kontrolliert wird und den daher passenden Namen MagnetoSperm trägt. Biologische Komponenten werden hier allerdings keine eingesetzt.

Interessant in diesem Zusammenhang ist auch eine noch etwas weiter zurückliegende Veröffentlichung vom November 2012, in welcher Kathrin E. Peyer und Bradley J. Nelson vom Institut für Robotik und Intelligente Systeme (IRIS) der ETH Zürich gemeinsam mit Li Zhang von der Chinese University of Hong Kong in Shatin die biologischen Vorbilder für magnetisch schwimmende Mikroroboter für biomedizinische Anwendungen untersuchen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf einem Schraubenantrieb, der von E. Coli-Bakterien inspiriert ist.


Im März 2014 kündigt die Firma Royal Philips eine ‚Weltneuheit‘ an, den Philips Hue tap, einen Lichtschalter, der mit kinetischer Energie betrieben wird – einfach durch Antippen mit dem Finger – und daher weder Batterien noch eine Netzstromquelle benötigt. Gedacht ist die selbstversorgende Steuerung für die ‚intelligenten’ Philips Hue-Lampen.


Vom September 2014 datiert die Meldung, daß eine Forschungsgruppe um Aidin Delnavaz und Jérémie Voix an der École de technologie supérieure (ÉTS) in Montreal, Kanada, einen Kinnriemen aus piezoelektrischem Faserverbundwerkstoff (Piezoelectric Fiber Composites, PFC) entwickelt hat, der die Energie von Kieferbewegungen ernten kann (‚Flexible piezoelectric energy harvesting from jaw movements‘).

PFC ist eine Art von piezoelektrischen smart material, das aus integrierten Elektroden und einer Klebstoffpolymermatrix besteht. Das Gerät soll beim essen, sprechen oder Kaugummi-kauen Strom für kleine implantierbare Systeme erzeugen.

Kieferbewegungen haben sich als einer der aussichtsreichsten Kandidaten herausgestellt, um aus menschlichen Körperbewegungen Strom zu produzieren. Die Forscher schätzen, daß allein vom Kauen während der Mahlzeiten durchschnittlich etwa 7 mW (später: 3,8 mW) Leistung erzeugt werden könnten. Ihr Kinnriemen-Versuchsmodell ist aus einer einzigen Schicht PFC hergestellt und mit elastischen Seitenbändern an einem Paar Ohrenschützer befestigt. Es können auch andere Arten von am Kopf getragenen Geräten verwendet werden, wie taktische Helme, Sporthelme oder Kopfhörer. Um eine maximale Leistung zu gewährleisten, wird das Testgerät eng angelegt.

Energie-Kinnriemen

Energie-Kinnriemen

Im Zuge der Tests, bei denen die Versuchspersonen für 60 Sekunden zu kauen hatten, beträgt die maximale Energiemenge, die von den Kieferbewegungen geerntet werden kann, 10 18 µW. Bis die Leistung des Gerätes ausreichend ist, um elektrische Geräte mit Strom zu versorgen, ist es daher noch ein langer Weg. Dessen erster Schritt besteht darin, die PFC-Schichten zu multiplizieren. 20 Schichten mit einer Gesamtdicke von 6 mm beispielsweise sollten 200 µW erreichen – genug, um z.B. einen intelligenten Gehörschutz zu versorgen. Die einzelne PFC-Schicht kostet dabei rund 20 $.

In den Jahren 2018 und 2019 wird des Projekt ‚In-Ear Energy Harvesting for Wearables Technologies from Jaw-Joint Deformation‘ mit 31.000 $ vom kanadischen Natural Sciences and Engineering Research Council gefördert, woraus der im November 2020 veröffentlichte Bericht ‚Mobile In-Ear Power Sensor for Jaw Joint Activity‘ resultiert. Über eine kommerzielle Umsetzung ist bislang allerdings nichts bekannt.


Ein früherer, ähnlicher Ansatz stammt übrigens von Olfa Kanoun, seit 2007 Professorin für Meß- und Sensortechnik an der TU Chemnitz, die dort auch eine Forschungsgruppe zum Thema Energy Harvesting leitet. Zudem veröffentlicht sie das Buch ,Energy Harvesting: Grundlagen und Praxis energieautarker Systeme’. Im Jahr 2008 kommt sie mit ihrem Team in die Presse, als von einem Generator berichtet wird, der die beim Sprechen und Kauen erzeugten Vibrationen des Wangenknochens in Strom umwandelt, um damit beispielsweise die Knopfzellen von Hörgeräten nachzuladen.

Auf der Suche nach einer geeigneten Energiequelle hatten die Forscher zunächst nach der Stelle des menschlichen Körpers gesucht, die die meiste Energie abgibt, und zu ihrer Überraschung festgestellt, daß nicht - wie erwartet - aus den Vibrationen bei Laufbewegungen, sondern aus den Bewegungen des Kiefers beim Kauen und Sprechen die meiste Energie geerntet werden kann. Zudem wird beim Kiefer die Energie dort gewandelt, wo sie auch gebraucht wird.

Zu den Herausforderungen, die nun bewältigt werden müssen, gehört die Größe, da der elektromechanische Wandler nur etwa so groß wie ein Stecknadelkopfes sein darf, damit er in ein Hörgerät hinein paßt. Ein anderes Problem ist das Energiemanagement, das nötig ist, damit der Generator die unregelmäßigen Kieferbewegungen in eine konstante Spannung wandelt.

Bislang gibt es den Generator noch nicht, doch den Berechnung zufolge soll sich die Lebensdauer einer Batterie damit um ein Zehntel verlängern lassen. Davon ausgehend, daß ein herkömmliches Hörgerät pro Jahr etwa 60 Batterien verbraucht, brächte der Kaugenerator eine Ersparnis von etwa sechs Stück. Ist das Konzept fertig, wollen die Chemnitzer das System zusammen mit einem Industriepartner umsetzen. Wozu es aber nicht gekommen ist, denn danach war nie mehr etwas darüber zu hören.

KiCoPen

KiCoPen


Üblicherweise mit den Fingern – wengleich einige Menschen dafür auch die Zähne nehmen – werden die Kappen von Kugeschreibern, Markern oder anderen Stiften abgezogen. In beiden Fällen geschieht es jedoch unter Einsatz der Muskeln.

Die im September 2014 kursierende Meldung über einen neuen Insulin-Injektions-Stift für die weltweit über 370 Mio. Diabetespatienten betrifft eine Produktentwicklung der britischen Firma Cambridge Consultants, die das tägliche Management der Krankheit zu einer einfachen und präzisen Aufgabe machen soll.

Der KiCoPen, der auf den Industriedesigner Adam Haynes zurückgeht, ist so konzipiert, daß er die injizierte Dosis genau erfaßt und die Information zusammen mit einem Zeitstempel an eine zugehörige Smartphone-App sendet. Dies geschieht ohne Batterie, da der Stift die benötigte Energie für seinen Einzelchip quasi selbst erzeugt – wenn seine Kappe abgezogen bzw. wieder aufgesteckt wird. Leider wird nicht mitgeteilt, welche technische Lösung hierbei verwendet wird. Eine weiterentwickelte Ausführung des KiCoPen gewinnt ein Jahr später den Red Dot Design Award.


Im Dezember 2016 stellen Wissenschaftler um Nelson Sepúlveda an der Michigan State University (MSU) in East Lansing eine neue Technologie vor, die durch Fingerwischen angetriebenen Telefone ermöglichen könnte. Der sogenannte biokompatible Ferroelektret-Nanogenerator (FENG), besteht aus einem energieerzeugenden folienartigen Gerät, nicht dicker als ein Stück Papier, das Strom erzeugt, sobald man es berührt, streicht oder drückt.

Der FENG enthält eine komplexe Mischung von Materialien. Es beginnt mit einem Siliziumplättchen, auf das Schichten aus Silber, Polymid und Polypropylen als Ferroelektret aufgebracht werden, innerhalb derer überall Ionen eingefügt sind, so daß jede Schicht geladene Teilchen abgibt, wenn sie durch menschliche Bewegungen zusammengedrückt wird. Da die Folie je nach Aufgabe zugeschnitten werden kann, ist das Gerät nicht nur flexibel und leicht, sondern auch sehr vielseitig.

Eine Version wird erfolgreich zum Betreiben einer flexiblen Tastatur verwendet, eine kleinere handtellergroße Version zum Betreiben einer Bank mit 20 LEDs und eine weitere in der Größe eines Fingers zum Betreiben eines LCD-Touchscreens. Besonders interessant ist, daß der FENG seine Leistung steigert, wenn er gefaltet wird: „Jedes Mal, wenn man es faltet, erhöht sich die erzeugte Spannung exponentiell.“

Das Team arbeitet auch daran, die Energie, die durch den Aufprall der Ferse auf den Boden entsteht, zu nutzen und an ein Gerät wie ein drahtloses Headset zu übertragen. Indem eine große Fläche mehrmals gefaltet wird, hat sie mehr Energie und ist klein genug, um in einen speziell angefertigten Schuhabsatz zu passen. Der Bericht trägt den Titel ‚Flexible and biocompatible polypropylene ferroelectret nanogenerator (FENG): On the path toward wearable devices powered by human motion‘.

Die FENG-Technologie kommt im Mai 2017 nochmals in die Presse, nachdem Sepúlveda und sein Team erkannt hatten, daß sich ihre Technologie auch für das Erkennen und Abspielen von Geräuschen eignet. Der ultradünne, flexible und skalierbare Energieumwandler erweist sich als bidirektional – und kann nicht nur mechanische Energie in elektrische Energie umwandeln, sondern auch elektrische Energie in mechanische Energie (‚Nanogenerator-based dual-functional and self-powered thin patch loudspeaker or microphone for flexible electronics‘).

FENG Lautsprecher Montage

FENG Lautsprecher
(Montage)

Während es beim Mikrofon die Vibrationen der Schallwellen sind, die zu elektrischer Energie werden, wird der wie eine Flagge aussehende Lautsprecher genau umgekehrt mit elektrischer Energie versorgt, die dann in mechanische Energie in Form von Schallwellen umgewandelt wird. Hierzu wird über ein iPad und einen Verstärker Musik in die Flagge ‚gepumpt‘.

Sehr zu empfehlen ist die auch im Netz veröffentlichte 135-seitige MSU-Dissertation von Wei Li aus dem Jahr 2017 mit dem Titel ‚Ferroelectret nanogenerator (FENG) for mechanical energy harvesting and self-powered flexible electronics‘, die sich detailliert mit flexiblen Nanogeneratoren auf der Basis von nanokristallinem Aluminumnitrid (AlN) und mit einem Polypropylen-Ferroelektret (PPFE) als aktives Material der FENG in den beschriebenen Ausführungen befaßt.

Weitere Publikationen des MSU-Teams in diesem Zusammenhang sind im März 2020 eine Vergleichsstudie ‚Ferroelectret nanogenerators for loudspeaker applications: A comprehensive study‘ – sowie die sehr ausführliche und im Netz einsehbare Veröffentlichung ‚Ferroelectret nanogenerators for the development of bioengineering systems‘ vom Mai 2023.


Anzumerken ist, daß sich auch ein Team der TU Darmstadt und der chinesischen Tongji University um Xingchen Ma mit Ferroelektreten beschäftigen, wie aus ihrer im August 2018 erschienenen Publikation ‚Ferroelectret nanogenerator with large transverse piezoelectric activity‘ hervorgeht. In diesem Fall liegt der Augenmerk auf der Energiegewinnung aus Vibrationen. Worüber weiter unten noch ausführlich gesprochen wird.

Das Team stellt einen piezoelektrischen Energy Harvester vor, der aus speziell entwickelten Ferroelektreten auf der Basis von Fluorkohlenstoffpolymeren besteht und eine Ausgangsleistung von etwa 50 µW erreicht.


In ähnlichem Zusammenhang veröffentlichen Forscher der University of Connecticut um Yang Cao im Oktober 2020 eine Studie mit dem Titel ‚All-organic flexible ferroelectret nanogenerator for wearable electronics‘, in der eine Membran aus expandierten Polytetrafluorethylen (ePTFE) beschrieben wird. Der Kurzschlußstrom beträgt bei leichtem Druck eines Fingers auf eine einzelne Schicht ePTFE-Membran etwa 50 nA, doch es wird kein Anstieg des Stroms und der Spannung durch weitere ePTFE-Schichten festgestellt.

Im Juli 2021 folgt die Publikation ‚All-Organic Flexible Ferroelectret Nanogenerator with Fabric-Based Electrodes for Self-Powered Body Area Networks‘, und im November 2022 der Bericht ‚Ultrathin, all-organic, fabric-based ferroelectret loudspeaker for wearable electronics‘.


Im Juli 2020 publizieren Wissenschaftler der Pennsylvania State University (PSU) um Prof. Geelsu Hwang einen Bericht mit dem Titel ‚Human Oral Motion-Powered Smart Dental Implant (SDI) for In Situ Ambulatory Photo-biomodulation Therapy‘, in welchem sie eine neuartige Energieversorgung für die Phototherapie beschreiben. Studien haben bereits gezeigt, daß eine solche therapeutische Lichtexposition dazu beitragen kann, Entzündungen zu verringern und die Heilung von durch Infektionen geschädigtem Zahnfleischgewebe zu beschleunigen.

Piezo-Zahn Grafik

Piezo-Zahn
(Grafik)

Dabei handelt es sich um ein durch menschliche Mundbewegungen (Kauen und Zähneputzen) angetriebenes Zahnimplantatsystem (Smart Dental Implant, SDI) als ambulantes PBM-Therapiegerät, das aus einer piezoelektrischen Zahnkrone, einen zugehörigen Schaltkreis und LEDs besteht, die eine heilsame Lichtzufuhr in situ ermöglichen. Rine vorläufige Patentanmeldung hatten die Erfinder bereits im Juni eingereicht (US-Nr. 63/380.494).

Eine weitere Veröffentlichung im September 2021 wird der Ausfau genauer beschrieben: Demnach besteht das Implantat aus dem natürlich aussehenden künstlichen Zahn selbst (der Krone), in dessen Inneren sich ein Stahlkörper befindet, der eine Gleichrichterschaltung, eine Batterie und einen Ring aus Nahinfrarot-Mikro-LEDs um die freiliegende Basis enthält. Diese Basis ragt unten aus der Krone heraus und wird mit einer Schraube im Kieferknochen des Patienten befestigt.

Die Krone selbst besteht aus Zahnkunststoff in Kombination mit Nanopartikeln aus dem piezoelektrisches Material Bariumtitanat, das bei mechanischer Belastung eine elektrische Ladung erzeugt. Die Forscher hoffen, daß Bewegungen wie Kauen ausreichen, um eine Ladung zu erzeugen, die in der Batterie gespeichert werden kann. Diese Batterie würde dann in regelmäßigen Abständen die Mikro-LEDs mit Strom versorgen, so daß sie das umliegende Zahnfleischgewebe bestrahlen.


Alles, was größere und stärkere Muskeln anbelangt, wird im Kapitel Muskelkraft behandelt (s.d.).

 

Weiter mit den Pflanzen...