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Eine bereits angesprochene Sonderform elektrisch
betriebener Einschienenbahnen ist die elektromagnetische Magnetschwebebahn,
die weitgehend auf das 1934 erteilte Reichspatent
des deutschen Elektroingenieurs und Erfinders Hermann Kemper aus
Nortrup zurückgeht, welches den Titel trägt: ‚Schwebebahn mit räderlosen
Fahrzeugen, die an eisernen Fahrschienen mittels magnetischer Felder
schwebend entlang geführt wird’ (Nr. 643316). Kemper,
der bereits im Jahr 1922 mit seiner
Entwicklung begonnen hatte, war es 1934 gelungen,
eine funktionierende Schaltung für das Schweben nach dem Prinzip der
elektromagnetischen Anziehung bzw. Abstoßung zu konstruieren, die regelbar
war. Es ist sogar schon eine Versuchsbahn für Höchstgeschwindigkeiten
im Gespräch, doch der Beginn des Zweiten Weltkrieges verhindert die
weitere Verfolgung des Projekts.
Kemper hat bei der Entdeckung der magnetischen Levitation (Maglev) allerdings einige Vorläufer, die in Deutschland gerne vergessen werden.
Der US-Raketenpionier und Physiker Robert Goddard beispielsweise konzipiert eine Magnetschwebebahn in einem schon 1905 verfaßten Text für Neulinge eines Ingenieurkollegs, und der in Frankreich geborene und in den 1880er Jahren in die USA ausgewanderte Emile Bachelet, ein Student von Goddard, entwickelt im Jahre 1910 eine Magnetschwebebahn, für die er 1912 ein Patent erhält.
Sein Levitating Transmitting Apparatus soll Post und kleine Pakete auf einer Spur befördern, deren Wagen von Magneten angehoben werden. Ein Personenzug mit seiner Technologie soll Geschwindigkeiten von bis 480 km/h erreichen. Sein Prinzip bildet die Grundlage auch einiger heutiger Magnetschwebebahnen: An Stelle der Gleise sind als Spur Aluminiumklötze aufgestellt, die alle 7 bis 8 m von einem torähnlichen Magneten unterbrochen werden. Über diesen Klötzen und unter den Toren schwebt ein Stahlzylinder in Form einer Zeppelingondel, die den eigentlichen Zug darstellt. Die elektromagnetischen Spulen im Inneren der Aluminiumklötze stoßen bei der Einschaltung des elektrischen Stromes den Zug von sich ab und halten ihn in der Luft, während die großen Magnete ihn vorwärts ziehen.
Es ist fast nicht zu glauben, doch es gibt tatsächlich einige Fotos von dem Funktionsmodell, das Bachelet in seinen Bachelet Works in Mt. Vernon, New York, selbst angefertigt hat – wobei eine Aufnahmen aus dem Jahr 1914 besonders interessant ist, denn sie zeigt in ihrer Mitte den zu diesem Zeitpunkt 40-jährigen Winston Churchill, der in London einer Demonstration des Magnetschwebebahn-Modells beiwohnt.
Ein weiterer Plan für ein elektromagnetisches Transportsystem wird 1907 in den USA von einem F. S. Smith aus Philadelphia, Pennsylvania, vorgelegt, der sich dieses auch patentieren läßt (US-Nr. 859.018).
Auch in Rußland beschäftigt man sich mit der Technologie. Im Jahr 1911 erfindet Prof. Boris P. Weinberg (auch: Vainberg) am Technologischen Institut der Stadt Tomsk einen elektromagnetisch schwebenden Zug (Magnitoplan), der durch lineare Synchron-Elektromotoren angetrieben wird. Weinberg baut ein betreibbares Modell, mit dem Lasten von bis zu 10 kg transportiert werden können.
Nach zweijährigen, erfolgreichen Experimenten schlägt er den Aufbau einer experimentellen Strecke vor, auf der Züge mit einer Geschwindigkeit von 800 – 1.000 km/h fahren würden. Doch auch dieses Projekt wird nicht realisiert.
Die hier abgebildete Grafik einer Art ‚Magnetring-Bahn’ stammt aus Rußland aus dem Jahr 1912 und geht möglicherweise auf Weinbergs Konzept zurück.
Außer einer kleinen Grafik habe ich bislang noch keine Details über diesen futuristischen Entwurf finden können. Es sieht jedoch ganz danach aus, als hätte Weinberg auch an ein hohles Rohr mit einen Unterdruck als Fahrspur gedacht, um bei Geschwindigkeiten nahe der Schallgeschwindigkeit den Luftwiderstand zu reduzieren. Für das Beschleunigen und die Verzögerung in Nähe jeder Station soll jeweils ein ungefähr 5 km langer Linearmotor gebaut werden. (Mehr über solche Konzepte im nachfolgenden Kapitelteil). Später baut Weinberg eine Reihe von Magnetschwebebahn-Prototypen, mit denen er die Machbarkeit seiner Idee erfolgreich beweisen kann.
Über die Technologie der Linearinduktionsmotoren habe ich bereits im Kapitelteil Spurgeführte Luftkissenbahnen gesprochen (s.o.). Die Weiterentwicklung dieser Motoren basiert auf den Arbeiten von Prof. Eric Laithwaite, der 1956 sein erstes Patent über diese Technologie erhält. In den 1960er Jahren führen die Ergebnisse zu erneutem Interesse an der Magnetschwebebahn – parallel zu dem Vorschlag des MIT-Wissenschaftlers Henry Kolm, der einen Magnaplane genannten, gigantischen schienengebundenen Zug konstruieren will, der mit 320 km/h gleichzeitig 20.000 Menschen transportieren soll. Tatsächlich wird daraufhin in den USA ein Forschungsprogramm initiiert, das zu einem funktionierenden Prototyp führt, der im Jahr 1967 in Colorado getestet wird. Aufgrund politischer Schwierigkeiten läuft das Programm aus und wird 1975 ad acta gelegt.
Geoffrey Richard Polgreen, Mitarbeiter der Firma General Electric Co., beantragt im August 1959 das Patent für ein Magnetic System of Transportation, in dem er ausführlich einen Maglev-Zug beschreibt. Er muß sich aber lange gedulden, denn es vergehen mehr als fünf Jahre bis zur Erteilung des Patents im November 1964 (US-Nr. 3.158.765).
In Japan laufen Forschungsarbeiten zu Magnetschwebebahnen seit 1962, darüber weiter unten mehr. Aus dem Jahr 1964 in stammt die Abbildung eines fiktiven Maglev-Zuges aus dem japanischen Shonen Magazine, der unter dem Namen Air Express eine überraschende Ähnlichkeit mit dem obigen, allerdings 50 Jahre älteren Konzept aus Rußland hat.
Ebenfalls in den 1960er Jahren soll der sowjetische Flugzeugkonstrukteur italienischer Abstammung Robert Ljudwigowitsch Bartini eine Monorail entwickelt haben, für deren Betrieb er entweder ein Luftkissen oder ein Magnetfeld vorsieht. Der damalige Minister für Eisenbahnverkehr der Sowjetunion B. P. Beschev genehmigt zwar das Projekt, von dem es nur noch das hier abgebildete Modell-Foto gibt, doch realisiert wird es nicht.
An dieser Stelle sei ein kleiner Exkurs eingeflochten, um die beiden
technisch unterschiedlichen Magnetbahnsysteme zu beschreiben, die zur
Auswahl stehen:
Zum einen das Elektromagnetische Schweben (EMS), bei dem die Anziehungskräfte von Elektro- oder Permanentmagnete das Heben und Bewegen des Fahrzeugs bewirken. Da das anziehende Verfahren relativ instabil ist, muß hier eine leistungsfähige aktive Luftspaltregelung eingesetzt werden. Theoretisch ist es auch möglich, die abstoßende Wirkung vom Permanentmagneten zu nutzen, doch ist dabei Instabilität zu hoch, als daß sich diese Methode zum Tragen bzw. Führen entlang des Fahrweges eignen würde.
Die zweite Technik ist das Elektrodynamische Schweben (EDS), das auf dem Prinzip der magnetischen Abstoßungskräfte funktioniert. Während der schnellen Fahrt mittels magnetischer Wechselfelder in supraleitenden Spulen im Fahrweg werden innerhalb des Fahrzeugs Ströme induziert, die ihrerseits ein Gegenfeld für die Tragfunktion erzeugen. Nachteile dieses Verfahrens sind die aufwendige und teure Notwendigkeit, die Spulen mit flüssigem Helium auf Temperaturen von etwa -273°C herunterzukühlen, die dabei enstehenden erheblichen magnetischen Streufelder, sowie der Fakt, daß das Schweben erst ab einer Geschwindigkeit von etwa 100 km/h möglich ist, weshalb für geringere Geschwindigkeiten ein zusätzliches mechanisches Fahrwerk mit Rädern erforderlich ist.
Ebenso gibt es zwei verschiedene Antriebstechniken. Bei der Kurzstatortechnik liegt der Antrieb im Fahrzeug, weshalb die Energiezufuhr entweder über eine Stromschiene erfolgen muß (wobei Reibungs- und Verschleißpunkte entstehen) oder aber im Fahrzeug mitgeführt werden, was das Eigengewicht des Zuges erhöht. Außerdem ist in diesem Fall die maximale Antriebsleistung statisch, weshalb der Fahrweg nicht beliebig große Steigungen aufweisen darf, ohne einen Geschwindigkeitsverlust hinzunehmen. Bei der Langstatortechnik liegt der Antrieb dagegen im Fahrweg, was diesen allerdings sehr teuer macht, da entlang der ganzen Trasse fortlaufende Motorwicklungen installiert werden müssen. Die Vorteile sind das leichte Gewicht der Magnetschwebebahn selbst sowie die gute Anpaßbarkeit des Fahrwegs an das Terrain.
Die amerikanischen Wissenschaftler Gordon T. Danby und James
R. Powell beginnen sich am Brookhaven National Laboratory
des US-Energieministeriums im Jahr 1966 mit
dem Einsatz supraleitender
Magnete auf dem Gebiet des Magnetschwebebahn-Transports
zu beschäftigen und lassen sich verschiedene grundlegende Entwicklungen
patentieren (z.B. US-Nr. 3.470.828 von 1969).
Dabei geht es in erster Linie um eine Null Flux Aufhängung (The
Null Flux Suspension), welche die Leistungsverluste durch induzierte
Ströme in normalen Metallführungen stark reduziert, sowie um einen
hocheffizienten Linear-Synchron-Motor (LSM) zum Vortrieb der Züge,
die zweite Schlüsselerfindung der beiden.
Als Pilotprojekt wird Anfang der 1990er Jahre eine 32 km lange Strecke in Florida vorgeschlagen, die das Besucherzentrum des Kennedy Space Center mit Port Canaveral verbindet und eine zukünftige Erweiterung bis zum Orlando International Airport in Titusville und darüber hinaus erlaubt. Die hierfür notwendigen Mittel werden auf 225 – 300 Mio. $ beziffert. Auch die Machbarkeit eines Maglev-Betriebs in Niederdruck-Röhren wird untersucht, doch die Kosten für den Tunnelvortrieb zu diesem Zeitpunkt von 30 Mio. $ pro Meile und mehr werden als zu hoch betrachtet.
Einige Jahre später gründen die Erfinder ihre Firma MAGLEV 2000 of Florida Corp. (M2000) in Titusville, Florida, um einen Demonstrator ihrer Magnetschwebebahn zu entwickeln und zu bauen, die sowohl für den Personen- als auch den Frachtverkehr gedacht ist und eine Geschwindigkeit von bis zu 560 km/h erreichen soll. Presseartikeln vom Februar 1997 zufolge beginnt die speziell für dieses Projekt gebildete Firma mit der Arbeit an der ersten Etappe einer Hochgeschwindigkeits-Magnetschwebebahn-Trasse am Space Coast Regional Airport in Brevard County, Florida. Das teilweise durch einen staatlichen Zuschuß in Höhe von 6 Mio. $ finanzierte Projekt soll bis zum Jahr 2000 abgeschlossen werden, wobei Gesamtkosten von etwa 32 Mio. $ erwartet werden.
Die Phase I des Projekts umfaßt die Errichtung einer etwa 240 m langen Führungsschiene und die Herstellung eines 18 m langen Prototyp-Fahrzeugs, das mit einer Geschwindigkeit von 100 - 130 km/h darüber hinweg fahren soll, während die Phase II eine 3,6 km lange Strecke in 6 m Höhe vorsieht, auf der ein 30 m langer Prototyp Geschwindigkeiten von 320 km/h erreichen soll. M2000 erhält in den Folgejahren zwar einige weitere Patente zugesprochen (1997: Elektronische Hochgeschwindigkeits-Weiche; 1998: Vorgefertigte low-cost Spurführung; 2000: Water Train für den Ferntransport von Wasser; 2000: MERRI-Methode zur Erweiterung konventioneller Bahnstrecken durch eine Magnetschwebebahn-Führung), doch praktische Umsetzungen gibt es noch immer nicht.
Im Jahr 1999 erscheint ein Bericht der Federal Railroad Administration (FRA), dem auch einige Hintergründe dieser Entwicklungsgeschichte zu entnehmen sind: Als Reaktion auf die Forderung des US-Kongreß (Transportation Equity Act for the 21st Century, TEA-21) suchte die FRA landesweit nach einen oder mehren Korridoren, in denen der Bau eines voll funktionsfähigen und Einnahmen schaffenden Magnetschwebesystems sinnvoll ist. Es werden sieben Projekte in sieben verschiedenen Bundesstaaten als Kandidaten ausgewählt – darunter auch das o.g. Projekt der Firma M2000 in Florida. Mittels Zuschüssen der FRA, kombiniert mit lokalen Finanzquellen, werden die technischen, ökologischen und systemischen Vorteile der sieben Projekte geprüft. Nach ihrer Evaluierung soll dann eines oder mehrere von ihnen für die weitere Entwicklung ausgesucht werden.
M2000 entwickelt zwar eine Magnetschwebebahn der zweiten Generation, die auf den jüngsten Erfindungen von Powell und Danby basiert, und die ursprünglichen Erfindungen bilden die Grundlage für die Magnetschwebebahn in Japan, die in der Präfektur Yamanashi gebaut wird (s.u.), doch in den USA scheint es keinen Schritt weitergegangen zu sein. Weder läßt sich der Bau der Strecke in Florida verifizieren – noch ist sonst etwas Neues über die Firma M2000 bekannt. Außer, daß Powell und Danby im Jahr 2000 für ihre Arbeiten mit der Benjamin Franklin Medaille geehrt werden.
In Deutschland
beginnt die Umsetzung der Technologie im Jahr 1967,
als Stefan Hedrich die Gesellschaft für bahntechnische Innovation gründet,
in der sich Forscher und Firmen für die Weiterentwicklung der Magnetschwebebahn
engagieren. Hedrich hatte im Vorjahr eine ‚Schnellbahn in berührungsfreier
Fahrtechnik’ entwickelt, die 500 km/h schnell fahren kann, und schafft
es auch, 230 Wissenschaftler aus sechs Nationen zusammenzubringen,
um in einer Forschergruppe den Transrapid zu entwickeln,
als dessen geistiger Vater er fürderhin gilt. Im gleichen Jahr 1966 greift
auch ein Entwicklungsteam der Bölkow KG die Erforschung der Magnetschwebetechnik
auf. Nach Entwicklung des Prototyps des Transrapids wird Hedrich übrigens
Berater des Bundesforschungsministers.
1969 gründen die Bölkow KG, die Deutsche Bundesbahn sowie die Strabag Bau AG die Hochleistungs-Schnellbahn Studiengesellschaft mbH (HSB), die mit staatlicher Finanzierung die Chancen der Magnetschwebetechnik und verschiedene Kurzstatorvarianten für ein berührungsfreies Bahnsystem untersucht. In den folgenden drei Jahren wird auch errechnet, daß sich eine Magnetschwebebahn-Verbindung zwischen Hamburg und München wirtschaftlich rentieren würde, und im Mai 1971 präsentiert die Firma MBB in Ottobrunn bei München einen Demonstrator für die Personenbeförderung mit dem sperrigen Namen MBB-Prinzip-Fahrzeug, ein Magnetschwebefahrzeug mit Kurzstator-Linearmotorantrieb. Auf einer 660 m langen Teststrecke erreicht das 5,8 t schwere Gefährt eine Geschwindigkeit von 70 km/h.
1969 stellt Krauss-Maffei ein funktionsfähiges Modell mit dem Namen Transrapid 01 vor, womit auch der Name für alle nachfolgenden Fahrzeuge geboren ist. Im Dezember 1971 folgt der Transrapid 02, der einer eigenen 930 m langen Teststrecke in München-Allach Ende des Jahres eine Geschwindigkeit von 164 km/h erreicht. Für das Folgejahr ist eine Verlängerung der Teststrecke auf rund 2 km vorgesehen, um damit 350 km/h erreichen zu können. Da die Firma wissen will, wie die Magnetschwebetechnik im Vergleich zur Luftkissentechnik abschneidet, entsteht der Transrapid 03 als spurgeführtes Luftkissenfahrzeug (s.d.). Vor allem in Sachen Energieverbrauch siegt jedoch die Magnetschwebetechnik deutlich.
1972 bauen die Firmen AEG-Telefunken, Brown, Boveri & Cie. und Siemens einen Prototyp EET 01 mit supraleitenden Spulen, bei dem das Prinzip des elektrodynamischen Schwebens zum Einsatz kommt. Er wird auf einer 900 m langen Kreisbahn in Erlangen getestet.
Das Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) sorgt dafür, daß sich MBB (Hochleistungsschnellbahn-Gesellschaft) und Krauss-Maffei zu einer Arbeitsgemeinschaft Transrapid-EMS zusammenschließen, die 1973 den Transrapid 04 mit Linearmotorantrieb vorstellt. Gleichzeitig wird auch ein neues Trag- und Führungssystem ausprobiert. Ende 1975 kommt dieser Zug auf 205,7 km/h, wobei es jedoch Schwierigkeiten mit der Eigenschwingung gibt.
Anfang 1973 wird die Dornier GmbH von dem BMFT damit beauftragt, die bisherigen Entwicklungsergebnisse als Entscheidungsgrundlagen für die weitere Entwicklung zusammenzufassen. Etwa zu dieser Zeit beginnt sich auch die Firma Krupp mit der Magnetschwebetechnik zu beschäftigen und führt Experimente mit Permanentmagneten durch, damit zumindest das Schweben keine Energie verbraucht. Das daraus resultierende hohe Gewicht, die damit verbundenen Stabilitätsprobleme sowie die Notwendigkeit seitlicher Führungsräder oder ähnlichem beenden das Engagement des Unternehmens allerdings recht schnell.
Ab dem Jahr 1974 beginnt die Firma Rheinstahl Transporttechnik (später Thyssen Industrie AG Henschel bzw. Thyssen Henschel) in Kassel in Zusammenarbeit mit der TU Braunschweig mit ersten Forschungs- und Entwicklungsarbeiten an der Langstator-Magnetfahrtechnik – die sich in Deutschland letztendlich auch durchsetzen wird. Schon 1975 wird auf dem Kasseler Werksgelände die Funktionsanlage HMB1 ausprobiert, und 1976 folgt das 2,5 t schwere Langstator-LIM-Versuchsfahrzeug HMB 2, das mit vier Sitzplätzen ausgestattet ist und bescheidene 36 km/h erreicht (die daraus entstehende Berliner M-Bahn behandle ich weiter unten).
Ebenfalls 1974 wird zur Untersuchung des Geschwindigkeitsbereichs um 350 km/h der unbemannte Komponentenmeßträger KOMET konstruiert, den sechs Heißwasser-Raketen auf der 1,3 km langen Teststrecke in Manching auf eine Geschwindigkeit von 401,3 km/h beschleunigen.
Da das EMS gegenüber dem EDS inzwischen wesentlich weiter entwickelt ist, entscheidet das BMFT im Jahr 1977, die Förderung von elektrodynamischen Schwebesystemen sowie Kurzstator-Antriebssystemen bis 1979 bzw. 1983 einzustellen – und dreht damit dem Konsortium aus AEG, BBC und Siemens den Geldhahn zu.
1978 tritt auch Thyssen Henschel der Arbeitsgemeinschaft Transrapid-EMS bei, was mit finanziellem Druck erklärt wird. Im gleichen Jahr wird durch den Zusammenschluß von MBB, Krauss Maffei und Thyssen Henschel das Konsortium Magnetbahn Transrapid gegründet und der Bau der voll funktionsfähigen Transrapid-Versuchsanlage Emsland (TVE) beschlossen, um die Technik des elektromagnetischen Schwebens zur Serienreife zu bringen.
Auf der Internationalen Verkehrsausstellung IVA in Hamburg wird 1979 die weltweit erste für den Personenverkehr zugelassene Magnetbahn Transrapid 05 vorgestellt. Auf einer Länge von 908 m werden insgesamt 50.000 Besucher mit 75 km/h über das Messegelände chauffiert. Mitte des Jahres wird auch die Planung der TVE im Emsland zwischen den Orten Lathen und Dörpen aufgenommen (was zufälligerweise ganz in der Nähe der Heimat des Ideengebers Kemper ist), deren Bau 1980 beginnt und in zwei Bauabschnitten erfolgt.
Der für den Hochgeschwindigkeitsverkehr konzipierte Nachfolger Transrapid 06 ist der erste Schwebezug auf der neuen Teststrecke. Doch schon bei einer der ersten Testfahrten im Jahre 1982 entsteht in dem 122 t schweren Fahrzeug ein Feuer, was zu einer Verzögerung der gesamten Magnetschwebetechnik-Entwicklung führt.
Als die bislang weltgrößte Versuchsanlage für Magnetbahnfahrzeuge Ende Oktober 1983 offiziell eröffnet wird, sind zwei Drittel des A-förmig und ca. 5 m über dem Erdboden aufgeständerten Fahrwegs fertiggestellt, an dessen Spitze sich die Tragspulen und der Linearmotor befinden. Die drei installierten Weichen sind riesige, 57 und 130 m lange Anlagen, über deren Länge hinweg der Fahrweg gebogen ist. Bei gerader Stellung darf der Transrapid mit 400 km/h darüber gleiten, doch wenn die Weiche auf Abbiegen gestellt wird (was 20 Sekunden dauert), sind nur noch 200 km/h erlaubt. Ende des Jahres können Teilnehmer eines Hochgeschwindigkeits-Symposiums den Transrapid zwar besichtigen, dürfen aber nicht mitfahren, um den japanischen Teilnehmern nicht zu ermöglichen, die Technik zu erraten, die in dem Zug steckt. Dafür wird der Zug mit einem Rasenmäher aus dem Hangar gezogen um zu zeigen, daß beim Schweben keine Reibung entsteht.
Im Mai 1984 erreicht der Transrapid 06 bereits 205 km/h, doch nur wenige Tage später bricht wieder ein Feuer aus, das sich diesmal jedoch auf Sabotage zurückführen läßt. Wenig später rüsten die Entwickler den Zug für ein weiterentwickeltes, sichereres Trag- und Führsystem um, und in den Jahren 1985 - 1987 wird die Versuchsanlage durch den Bau der Südschleife fertiggestellt, womit ein Rundkurs von 31,5 km Länge für den anwendungsnahen Dauerbetrieb zur Verfügung steht (12 km Gerade mit zwei Wendeschleifen).
Der reparierte und modifizierte Transrapid 06 erreicht im Dezember 1985 eine Geschwindigkeit von 355 km/h – ein neuer Weltrekord für personenbesetzte elektromagnetische Schwebefahrzeuge, den die Bahn Anfang Dezember 1987 mit 406 km/h und im Januar 1988 mit 412,6 km/h selbst übertrifft.
Im Jahr 1988 wird der anwendungsnahe Dauerbetrieb aufgenommen, doch zur Einführung des Transrapid 07 im Juni stellen die Techniker Verschleißerscheinungen am Fahrweg fest (Defekte an Bolzen und am Mörtel), sodaß weitere Fahrten erst nach Abschluß der Reparaturen im Juli 1989 möglich sind. Ende Dezember erreicht der Transrapid 07 eine Geschwindigkeit von 436 km/h, die er im Jahr 1993 mit 450 km/h noch einmal übertrifft.
Ebenfalls im Jahr 1988 sprechen sich Abgeordnete des Deutschen Bundestages dafür aus, ein landesweites Magnetbahnsystem in Form einer großen 8 im Umfang von etwa 30 Mrd. DM aufzubauen. Im Dezember 1989 folgt ein Beschluß der Bundesregierung, eine Transrapidstrecke Flughafen Düsseldorf - Köln/Bonn zu bauen, was nach der Wiedervereinigung jedoch revidiert wird.
Gutachter der Deutschen Bundesbahn und verschiedener Hochschulen testierten dem System im Frühjahr 1991 zwar die Alltagstauglichkeit, doch mit praktischen Umsetzungen tut sich Deutschland schwer, und die verschiedenen Generationen der Magnetschwebebahn kommen nur auf den Teststrecken zum Einsatz. Dies dafür aber über einen Zeitraum von inzwischen mehr als zwei Jahrzehnten. In München scheitert der Bau einer Verbindung vom Hauptbahnhof zum Flughafen nach einer langjährigen Planungsphase ebenso wie eine geplante Flughafenverbindung von Essen nach Köln an der Finanzierung. Auch können die ins Auge gefaßten Strecken Stuttgart – München; Dortmund – Essen – Düsseldorf; Frankfurt am Main – Köln; und Berlin – Hamburg (283 km, ca. 10 Mrd. DM) nicht realisiert werden, trotz diverser Kabinettsbeschlüsse und ähnlichem. Dafür wird die Technologie im Jahr 1999 immerhin als 3 DM Briefmarke mit der Aufschrift Magnetbahn verewigt.
1998 gründen Siemens, Thyssen und Adtranz die Transrapid International (TRI), um das Geschäft voranzubringen, und 1999 wird der Öffentlichkeit ein Transrapid 08 in ICE-Farben präsentiert, der für die geplante Strecke Hamburg – Berlin entwickelt wurde und als Vorserienmodell für eine Maximalgeschwindigkeit von 550 km/h ausgelegt ist. Er wird ab Anfang 2001 auf der Versuchsstrecke getestet.
Nicht vergessen werden darf, daß sich der neue Chef der Bundesbahn Anfang 2000 eindeutig vom gesamten Transrapid-Projekt distanziert. Es ist ein Herr Mehdorn. Danach gibt es nur noch Entscheide gegen den Bau irgendwelcher Strecken. Einzig die Tests laufen weiter.
Mitte 2005 wird der Transrapid auf der Versuchsstrecke im Emsland für den automatischen Betrieb zugelassen, was durch die Modernisierung der Anlage auf den Stand des Transrapidsystems in Shanghai möglich gemacht wird (s.u.). Im Regelbetrieb ist kein Personal mehr notwendig, und die DB AG führt umfassende Funktionsprüfungen mit verschiedenen, künstlichen Fahrplänen durch. Zur Weiterentwicklung der Transrapid-Technik bekommt das Konsortium Siemens, ThyssenKrupp und Transrapid International im August 113 Mio. € aus Bundesmitteln.
Ein sehr bitterer Rückschlag ist der verheerende Unfall im September 2006 auf der TVE, als ein ferngesteuerter Transrapid der Serie 08 mit 30 Personen an Bord mit etwa 200 km/h in einen Werkstattwagen rast, wobei 23 Personen sterben und die anderen teils nur schwerverletzt geborgen werden können. Mit dem Werkstattwagen waren zwei Arbeiter unterwegs, um die Trasse zu säubern – die aber noch rechtzeitig abspringen konnten. Als Unglücksursache wird zuerst menschliches Versagen angegeben, doch es gibt auch Hinweise auf mangelhafte Sicherheitsvorkehrungen. Zwei Fahrdienstleiter kommen vor Gericht, bekommen allerdings nur Bewährungsstrafen, da ihnen keinerlei Vorsatz vorgeworfen werden kann.
Ein Zusammenstoß zweier Transrapid-Züge ist technisch eigentlich ausgeschlossen, doch das Wartungsfahrzeug war nicht in das Sicherheitskonzept eingebunden worden. Bei dem Unfall wird das Fahrzeugteil E1 des Transrapid 08 zerstört, das unbeschädigte Mittelsegment eingelagert und das ebenfalls unbeschädigte Endsegment E2 auf der Abstellanlage am Infozentrum Lathen aufgebaut. Die Betriebserlaubnis für die Versuchsanlage wird aufgehoben und erst im Juli 2008 erneut erteilt.
Der für die Transrapidstrecke in München hergestellte Transrapid 09 wird am 23. März 2007 der Öffentlichkeit vorgestellt (genau zu meinem Geburtstag - und an jenem Tag, an dem das Buch der Synergie zum ersten Mal im Internet freigeschaltet wird!). Der neue Zug ermöglicht einen fahrerlosen Betrieb und nutzt erstmals eine berührungslose Bordenergieversorgung über ein IPS-System (Inductive Power Supply), das auch unterhalb von 70 km/h Geschwindigkeit funktioniert. Breitere und in engerem Abstand montierte Türen sollen das Ein- und Aussteigen der Fahrgäste erleichtern. Bei der Planung des neuen Zuges als Nahverkehrsmittel geht man von mehr Stehplätzen aus, sodaß man die Nutzlast um 50 % steigert. Ein vergrößerter, höherer Innenraum und eine verbesserte Klimatisierung bieten ebenfalls mehr Komfort für die Fahrgäste.
Im Dezember 2008 wird die Stilllegung der Transrapidversuchsstrecke im Emsland zum Juni 2009 angekündigt, wobei der Rückbau 40 Mio. € kosten soll. Landkreis, Land, Bund und Industrie einigen sich zwar auf einen Weiterbetrieb der Versuchsstrecke, und die Bundesregierung bewilligt weitere Mittel bis Ende 2010, um die Erprobung von neuen Fahrbahnträgern zu ermöglichen, doch Ende 2011 wird die Transrapid-Versuchsanlage endgültig stillgelegt und ihr Rückbau eingeleitet. Die Entwicklung des Transrapids ist nahezu ausschließlich aus öffentlichen Mitteln finanziert worden, die bis zum Jahr 2008 insgesamt etwa 1,4 Mrd. € betragen haben.
Der weltweit bislang einzige kommerzielle Regelbetrieb eines Transrapid erfolgt in Shanghai, VR China. Hier findet Ende 2002 nach nur 2 Jahren Planungs- und Bauzeit die Jungfernfahrt eines Zuges über eine 30 km lange Strecke statt, die den neuen Pudong International Airport mit der bestehenden U-Bahnstation Long Yang Road im Stadtzentrum verbindet... und mehr als 1 Mrd. € gekostet hat! Nach erfolgreichem Probebetrieb stellt der Shanghai Maglev Train im November 2003 mit 501 km/h einen neuen Weltrekord für kommerzielle Bahnsysteme auf.
Der Regelfahrbetrieb beginnt Ende 2003 zunächst halbtags, ab Anfang 2004 dann ganztags. Die Fahrzeit auf der 30 km langen Strecke beträgt weniger als 8 Minuten. Auch mein Freund Louis Palmer, der mit seinem selbstgebauten Solartaxi 2007/2008 eine erfolgreiche Weltumrundung absolviert (s.d.), nutzt während seines Besuchs in Shanghai das zur Zeit schnellste Massentransport-Elektrofahrzeug der Welt – und läßt sich von dem ‚Maglev-Elektromobil’ mit 430 km/h zum Flughafen fahren. Medienberichten von Anfang 2009 zufolge sei die Strecke wegen zu geringer Auslastung allerdings defizitär, und der Betreiber habe bis Ende 2007 einen Verlust von mindestens 100 Mio. € hinnehmen müssen. Im Januar 2011 beginnt der kommerzielle Einsatz eines vollständig in China gefertigten Magnetbahn-Zuges aus vier Sektionen auf der Strecke. Da die Betreiber Strom sparen wollen, absolviert der Zug die meisten Fahrten nur mit etwa 300 km/h. Eine geplante Erweiterung in die rund 170 km entfernte Nachbarstadt Hangzhou ist bislang ebenso wenig umgesetzt worden, wie eine Transrapid-Verbindung zwischen dem Flughafen Pudong und dem Inlandsflughafen Hongqiao.
Weitere Projekte der Transrapid-Gesellschaft IABG auf internationaler Ebene laufen u.a. in den USA, wo die Regierung Anfang 2001 eine Umweltverträglichkeits- und Machbarkeitsstudie für die Transrapid-Projekte Flughafenanbindung Pittsburgh und Metropolenverbindung Baltimore – Washington in Auftrag gibt. Tatsächlich bewilligt der amerikanische Kongreß im September 2005 einen Betrag von 90 Mio. $ für die Planung von zwei kürzeren Transrapidstrecken, mehr ist daraus bislang aber nicht geworden. Auch im Nahen Osten versucht man die Technologie zu verkaufen. Geplant werden beispielsweise eine über 800 km lange Strecke im Iran, die Teheran mit dem Pilgerort Maschhad im Nordosten des Landes verbinden soll (Machbarkeitsstudie 2007); eine über 180 km lange Strecke von Abu Dhabi nach Dubai; eine 150 km lange Strecke zwischen Katar und Bahrain (Machbarkeitsstudie 2008), usw. Andere unverwirklichte Pläne wurden 2005 in den Niederlanden geschmiedet, sowie in der Schweiz, wo ein SwissRapide-Konsortium verschiedene Strecken ins Auge faßt.
2011 wird ein Marshallplan für Süd-Ost-Europa vorgeschlagen, bei dem für 250 Mrd. € eine 10.000 km lange Transrapidstrecke für den Personen- und Güterverkehr quer durch Zentralasien gebaut werden soll, um Zentraleuropa und Ostasien zu verbinden; 2012 folgt die Idee einer 120 km langen Verbindung zwischen dem neuen Berliner Flughafen BBI und Stettin in Polen; und 2013 ist die Ferieninsel Teneriffa dran: Hier soll ein Transrapid den Norden mit dem Süden über eine ebenfalls 120 km lange Strecke verbinden, was 3 Mrd. € kosten soll. Immerhin etwas realistischer klingen die Angaben, daß die Europäische Union das Vorhaben mit bis zu 50 % der Baukosten unterstützt, und daß 85 % des benötigten Stroms durch zwischen den Fahrspuren verlegte PV-Paneele erzeugt werden sollen. Man darf also gespannt bleiben, ob und wie es weitergeht.
Ach ja - es gibt auch noch eine Vision aus der Parallelwelt, die den Transrapid HM-1 darstellt, der für die Strecke Hamburg - München entworfen worden ist ... von dem Stardesigner Luigi Colani, wie Kenner wohl schon auf den ersten Blick sehen. Auch der Name ist Programm: Hamburg - München in 1 Stunde. Der Entwurf stammt aus dem Jahr 1978 und war damals um mehrere Jahrzehnte zu früh dran - wie er es traurigerweise wohl auch heute noch ist.
Weiter mit den Magnetschwebebahnen...