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SolarhÄuser und solare Bauelemente (2016 B)


Im August 2016 präsentierten MAD Architects ihre neuesten Grafiken für das Xinhee Design Center in der südostchinesischen Küstenstadt Xiamen – parallel zum dortigen Baubeginn. Das Architekturbüro war 2004 von Ma Yansong in Peking gegründet worden, nachdem er zuvor bei Zaha Hadid gearbeitet hatte.

Die Pläne betreffen einen 61.000 m2 großen Bürokomplex für das Modeunternehmen Xin Hee und dessen Tochterfirmen. Der 45,5 m hohe Komplex ist organisch geformt, während sich im Inneren des sechsarmigen Neubaus kleine Landschaften ergeben, ein zentrales Atrium für eine natürliche Belüftung sorgt und begrünte Innenwände die Etagen über die gesamte Gebäudehöhe verbinden. Zudem gibt es Fußgängerbrücken, die offen durch das innere Atrium führen.

Xinhee Design Center

Xinhee Design Center

Wesentliches Element ist eine weiche und fließende lichtdurchlässige Hülle aus Polytetrafluorethylen (PTFE), die Schatten vor der Sonne spendet und gleichzeitig eine gute Belüftung ermöglicht.

In den Sommermonaten versorgt das mit Grünflächen und Wasserspielen ausgestattete Atrium jede Ebene mit kühler Luft, während es sich im Winter unter dem Glasdach in ein sonnendurchflutetes Gewächshaus verwandelt. Auf dem Dach befinden sich Solarzellen, die genügend Strom für den täglichen Betrieb liefern.

Der Bau wird auch lebende Wände und Gärten in den sechs Armen und auf dem Dach umfassen, die das Niederschlagswasser auffangen werden, um die Luftzirkulation zu verbessern und die Innentemperaturen zu senken. Ein Teil des Regenwassers wird zudem für die Verwendung im Gebäude gereinigt und gefiltert. Der obere Teil des Atriums hat ein automatisches Fenster, das die Luftzirkulation unterstützt. Die Fertigstellung ist für Ende 2017 geplant.


Im Deutsch-Chinesischen Ökopark in der neuen Wirtschaftsregion an der Westküste von Qingdao wird im September 2016 das Passive House Experience Center (PHTC) eingeweiht, als Verwaltungs- und Demonstrationsgebäude aller Passivhäuser in dem Ökopark. Das mit einer Tiefgarage unterkellerte Gebäude der Architekten der RoA - Rongen Tribus Vallentin GmbH unter der Leitung von Michael Tribus aus Südtirol besitzt eine hoch wärmegedämmte Fassade und ist mit Passivhausfenstern ausgestattet.

Seine markante Form erhält der über 28 m hohe Stahlbetonbau durch umlaufende Brüstungen, die mit gebogenen Aluminiumverbundplatten verkleidet sind. Büro- und Wohnflächen sind um ein zentrales Atrium angeordnet, das eine zweigeschossige Eingangshalle mit Ausstellungsbereichen und einem Konferenzsaal mit Tageslicht versorgt. Der Innen- und der Außenraum werden durch großzügige Begrünung miteinander verknüpft.

Mit einer Gesamtnutzfläche von knapp 7.800 m2 liegt die Gesamtinvestition bei 130 Mio. €. Diese schließt auch eine Photovoltaik-Fläche ungenannter Größe ein – sowie ein zentrales Lüftungssystem mit Geräten, die die Wärme und Kälte aus der Raumluft effizient nutzen den Heizungs- und Kühlungsbedarf des Gebäudes verringern. Statistisch gesehen könnte das PHTC damit jedes Jahr rund 1,3 Mio. kWh einsparen.

Weitere wesentlichen Elemente sind die Verwendung einer geothermischen Wärmepumpe als Hauptwärmequelle sowie der Einsatz eines intelligenten Beleuchtungssteuerungssystems mit LEDs.

SZDLC

SZDLC


Bereits eröffnet wird im Oktober 2016 das Sheikh Zayed Desert Learning Centre (SZDLC), das im Zoo von Al Ain, dem Al Ain Wildlife Park Resort (AWPR), untergebracht ist. Den Zuschlag für den 51,5 Mio. € teuren, schlüsselfertigen Bau hatte die Züblin Abu Dhabi erhalten, eine Tochtergesellschaft der STRABAG International GmbH; die Baukoordination übernahm die Chalabi Architekten und Partner ZT GmbH; und das Austrian Institute of Technology (AIT) hat den technischen Entwurfs- und Zertifizierungsprozeß mit Simulationsstudien des Gebäudes und der Gebäudetechnologien unterstützt.

Das Lernzentrum, dessen Bau 2009 begonnen hatte und schon 2014 abgeschlossen werden sollte, bietet in fünf interaktiven Galerien Informationen über die Flora, Fauna, Geologie und Naturgeschichte der VAE und des Golfs – wobei eine der Galerien namens ‚Sheikh Zayed Tribute Hall‘ ausschließlich der Huldigung des lokalen Alleinherrschers gewidmet ist.

Abgesehen von seinem hochmodernen Design soll das Zentrum das „erste vollständig nachhaltige Gebäude der VAE“ sein, da seine Bauweise zu einer 70 %-igen Verringerung der Wärmeabsorption durch die Sonne sowie zu einer 50 %-igen Einsparung beim Energie- und Wasserverbrauch führt. Das Projekt nutzt hierfür Solarenergie, energieeffiziente Fenster und Beleuchtungskörper. Zudem saugt das Klimatisierungssystem die Luft an und leitet sie in den Untergrund, wo sie durch den Sand und das Erdreich natürlich abgekühlt wird.

Die gebäudeintegrierte PV-Dachanlage aus 1.030 effizienten Modulen mit einer installierten Leistung von 149 kW wird von der österreichische Firma ertex solartechnik installiert. Da die Paneele regelmäßig vom Staub gesäubert und daher von Reinigungskräften betreten werden müssen, fertigt das Unternehmen maßgefertigte Paneele mit zwei Schichten aus gehärtetem 2 mm dickem Spezialglas an, die stark genug sind, um einem Gewicht von 400 kg standzuhalten.


Im November 2016 wird in London ein bemerkenswerter Umbau abgeschlossen, bei dem das Büro Hewitt Studios LLP die erste Phase der Renovierung eines ehemaligen nuklearen Forschungs- und Technikgebäudes an der Severn-Mündung durchführt. Dabei steckt der Umbau voller (positiver) Ironie, denn die Halle der Nuklearingenieure wird in ein Kompetenz und Schulungszentrum für erneuerbare Energien und Technik für das South Gloucestershire and Stroud College (SGS College) umgewandelt.

Zu den umweltfreundlichen Umbauten gehören eine Holzkonstruktion, eine integrierte Photovoltaik-Fassade (BIPV), eine thermisch effiziente Gebäudehülle, ein innovatives Belüftungssystem mit Wärmerückgewinnung, LED-Beleuchtung sowie abfallarme Baumethoden. Das 4.500 m2 große Zentrum stellt die erste Phase der ehrgeizigen Pläne des Colleges dar, einen nachhaltigen Wissenschafts- und Technologiepark auf dem Gelände des Berkeley Centre zu errichten.

Die BIPV-Paneele werden in Kürze an einem von der Gebäudehülle abgehängten Schirm angebracht, der auf der Abbildung noch leer ist. Die Paneele, die Dünnschicht-Solarzellen der neuesten Generation verwenden, werden nicht nur Strom erzeugen, sondern auch die dahinter liegende Verglasung vor der Südsonne beschatten und in der exponierten Mündungslage als Windschutz dienen.

Elemente der Bausubstanz sollen auch für bestimmte Lehrplanbereiche genutzt werden (z.B. die Solaranlage und der Holzbau).

Paf-Kontor in Åland

Paf-Kontor in Åland


Die Blogs berichten im Dezember 2016 über den neuen Hauptsitz des finnischen Glücksspielunternehmens Paf (Ålands Penningautomatförening) in Mariehamn, der Hauptstadt von Åland in Finnland, mit dem die Firma ihr Engagement für Nachhaltigkeit unter Beweis stellen will. Das Gebäude soll ein Modell dafür sein, wie man ein Bauwerk mit dem Schwerpunkt auf langfristiger Energieeinsparung gestalten kann.

Das kreisrunde Gebäude, das in Zusammenarbeit zwischen dem Architekturbüro Murman Arkitekter, der Innenarchitektin Bettina Ingves und dem Passivhaus-Experten Hans Eek entworfen und seit dem Sommer 2013 gebaut wurde, ist vollständig mit Solarzellen verkleidet, wobei die in die gebogene Fassade integrierten Solarzellen auch die Wärmeverluste des Gebäudes minimieren. Zusammen mit den Solarzellen auf dem Dach produziert das Gebäude seinen eigenen Strom, ist aber zur Unterstützung an die Fernwärme angeschlossen.

Im Inneren dominiert Schichtholz und schafft eine warme Atmosphäre für die 200 Mitarbeiter von Paf. Dabei sind die Arbeitsbereiche durch Glaswände getrennt, da dem Unternehmen zufolge „Untersuchungen zeigen, daß Menschen, die sich oft sehen, besser arbeiten.“


Zu dem weiteren fertiggestellten Projekten des Jahres 2016 gehört der mit auffälligen grünen Paneelen verkleidete nachhaltige M6B2-Turm der Architekten des Maison Edouard François, der im November in den Blogs vorgestellt wird. Der Entwurf mit einer Nutzfläche von 13.830 m2 und einen Budget von 33 Mio. € hatte 2010 einen Wettbewerb gewonnen.

Der ‚Turm der Artenvielfalt‘ in Paris besteht auch außen aus Netzen, die mit lebenden Pflanzen aus wilden Naturgebieten verflochten sind. Dabei ist die gesamte Struktur so konzipiert, daß sie es den Winden ermöglicht, Samen in der unmittelbaren Umgebung zu verbreiten. Der Turm erreicht eine Höhe von 50 m und bildet damit eine Ausnahme von der Pariser Höchstgrenze von 37 m. Auf den 18 Stockwerken befinden sich 140 mit Balkonen ausgestattete Sozialwohnungen – sowie ein Heim für junge Arbeiter, eine Kinderkrippe und vier Geschäfte.

Die Begrünungsstrategie ist dreistufig: zunächst mit schnell kletternden Reben, später mit Nadelbäumen, die sich in 5 – 10 Jahren entwickeln, und schließlich mit langsam wachsenden Bäumen wie Eichen, die sich in 20 Jahren oder mehr entwickeln. Dabei erstreckt sich die grüne Pflanzenfassade des Turms über die Mitte des Blocks bis zu den umliegenden Gebäuden. Die Titanbeschichtung erzeugt zudem Moiré-Effekte, die zu einem veränderlichen Aussehen des Gebäudes beitragen.

Casa Terracota

Casa Terracota


Auch ein ganz anders aussehendes Gebäude wird in diesem Jahr fertiggestellt, dessen Projektierung schon 1999 begann: Das Casa Terracota repräsentiert nämlich eine nachhaltige Architektur, die komplett aus Lehm basiert. Das vom kolumbianischen Architekten Octavio Mendoza entworfene Haus mit einer Fläche von ca. 500 m2 befindet sich in Villa de Leyva in Kolumbien.

Das vollständig aus Lehm errichtete Bauwerk spiegelt die Liebe des Künstlers zur umgebenden Landschaft wider und wird von Mendoza als „das größte Töpferstück der Welt“ bezeichnet - und erinnert an die entsprechenden Arbeiten von Nader Khalili (s.o.). Nach der Planung des Entwurfs begann Mendoza damit, den Ton Stück für Stück zu formen und ließ das Material in der Sonne trocknen und aushärten. Danach brannte er das Material bis zur endgültigen Aushärtung. Dazu mußte er in jedem Abschnitt Feuer machen und sie tagelang brennen lassen. Das Ergebnis ist ein Haus, das die moderne Architektur zu einem Wettbewerb in Sachen Nachhaltigkeit, Kunstfertigkeit und Ausdauer herausfordert.

Die natürlichen Elemente des Gebäudes regulieren sich selbst, halten an heißen Sommertagen kühl und wärmen über Nacht mit der tagsüber gespeicherten Wärme. Noch besser: Das Haus ist nicht nur vollständig organisch, sondern auch absolut feuerfest. Das bedeutet, daß es eine nahezu unzerstörbare Lösung für Gebiete ist, die anfällig für Waldbrände sind. Seit seiner Fertigstellung ist das aus den Elementen Wind, Feuer, Wasser und Erde errichtete Casa Terracotta täglich für Führungen geöffnet und dient als Treffpunkt für Künstler und Handwerker, die hier lehren, sich weiterentwickeln und lernen.


Im Bereich der peripheren Informationen sind in diesem Jahr besonders drei Entwicklungen erwähnenswert:

Transparentes Holz der KTH

Transparentes Holz
der KTH

Im März 2016 berichten Forscher der Königlichen Technischen Hochschule (KTH) in Stockholm, daß sie mit einem chemischen Verfahren transparentes Holz entwickelt haben, das für die Massenproduktion und eine Rolle im Bauwesen geeignet ist (,Optically Transparent Wood from a Nanoporous Cellulosic Template: Combining Functional and Structural Performance’). Entsprechende transparente Holzplatten können für Fenster und halbtransparente Fassaden verwendet werden, wenn es darum geht, Licht hereinzulassen, aber die Privatsphäre zu wahren.

Zur Herstellung des lichtdurchlässigen Holzes entfernt das Team des Wallenberg Wood Science Center der KTH unter der Leitung von Prof. Lars Berglund zunächst das lichtabsorbierende Lignin aus den natürlichen Balsaholzfasern. Die weißen Fasern werden dann mit vorpolymerisiertem Methylmethacrylat (PMMA), besser bekannt als Plexiglas, ummantelt. Dadurch wird der Brechungsindex der Fasern verändert und sie werden transparent. Das so entstandene Holz ist sechs Mal so robust wie der unbearbeitete Baustoff und zweimal so stark wie herkömmliche klare Plexiglasplatten, wobei die typische Struktur des Holzes erhalten bleibt. Dabei erreicht die Lichtdurchlässigkeit etwa 85 %.

Transparentes Holz ist damit auch ein gutes Trägermaterial für Solarzellen, als kostengünstiger, leicht verfügbarer und erneuerbarer Rohstoff. Außerdem bietet es hervorragende mechanische Eigenschaften, wie Festigkeit, Zähigkeit, geringe Dichte und niedrige Wärmeleitfähigkeit. Zu den nächsten Aufgaben der Forscher gehören die Verbesserung der Transparenz des Materials und die Vergrößerung des Herstellungsprozesses. Zudem soll mit verschiedenen Holzarten weitergearbeitet werden.

Die Methode, das lichtabsorbierende Lignin aus Holzfasern zu entfernen, war übrigens schon 2009 durch Wissenschaftler der Kyoto University um Yoko Okahisa entwickelt worden - im Zusammenhang mit der Einführung der OLED-Technologie (,Optically transparent wood–cellulose nanocomposite as a base substrate for flexible organic light-emitting diode displays').


Zeitgleich forscht noch ein zweites Team um den Werkstoffexperten Liangbing Hu von der University of Maryland (UMD) an transparentem Holz, wobei hier Lindenholz und als Polymer Kunstharz verwendet werden.

Im Vorgriff auf die Chronologie: Diese Gruppe stellt im Januar 2021 ein Verfahren vor, bei dem wesentlich geringere Mengen an Chemikalien und Energie benötigt wird, als bei den bisher verwendeten Methoden. Das dünne Holz, das leichter und stärker als Glas ist, wird dabei mit einem solarunterstützten chemischen Bürstverfahren hergestellt (solar-assisted chemical brushing), das die Ligninstruktur des Holzes verändert.

Die Methode beruht auf der Entdeckung, daß Lignin transparent gemacht werden kann, indem nur die Teile seiner Moleküle entfernt werden, die ihm seine Farbe verleihen. Hierzu wird die Oberfläche des Holzes mit Wasserstoffperoxid bestrichen und dann unter eine UV-Lampe gelegt, die natürliches Sonnenlicht simuliert. Nachdem das Holz anschließend in Ethanol eingeweicht wird, um die Reste zu entfernen, werden die Poren des Holzes mit klarem Epoxidharz gefüllt.

Bei dieser Methode bleibt der größte Teil des Lignins als Bindemittel erhalten, so daß ein robustes Holzgerüst für die Polymerinfiltration entsteht, während gleichzeitig der Chemikalien- und Energieverbrauch sowie die Verarbeitungszeit erheblich reduziert werden.

Das Endprodukt ist ein Stück Holz (~1 mm dick), das über 90 % des Lichts durchläßt und mehr als 50 Mal stärker ist als transparentes Holz, bei dem das Lignin vollständig entfernt wurde. Zudem ist es leichter und stärker als Glas und könnte somit für tragende Fenster und Dächer verwendet werden.


Auch Timothée Boitouzet und seine Firma WooDoo in Paris stellen bereits im September 2017 eine Technologie zur Herstellung von transparentem Holz vor. Hier wird das Lignin durch ein biobasiertes Polymer ersetzt. Das Produkt SLIM ist ein lichtdurchlässiges und berührungsempfindliches Holzpaneel, das wetter- und wasserfest ist und thermisch verformt werden kann. Mit FLOW wird zudem ein flexibles Material als Ergänzung zu Ledermaterialien, Stoffen und exotischen Häuten präsentiert, und mit SOLID wird eine leichte und sehr starke Strukturlösung für den Bausektor angeboten.


Die zweite Information: Im Mai 2016 wird in Deutschland die Erfindung ECOCELL mit dem 1. Preis in der Kategorie Bauen & Wohnen des Green Tec Award ausgezeichnet, der als Europas bedeutendster Umwelt- und Wirtschaftspreis gilt.

Der Architekt und Visionär Fredy Iseli hatte mit einer ‚versteinerten Papierwabe‘ mit dem Markennamen BETONWABE und dem ECOCELL-Bausystem ein disruptives Schmellbausystem aus kostengünstigen Hightech-Verbundwerkstoffen entwickelt, welches die herkömmliche Bautechnik fundamental verändern könnte.

Der neue Baustoff benötigt nämlich weder Sand noch Kies – und lebt die aktive Kreislaufwirtschaft durch die Nutzung von Recycling-Papier. Die versteinerte Papierwabe besteht zu 90 % aus Luft und zählt bei industrieller Produktion gerechnet, mit einem Materialkosten-Anteil von unter 50 $/m3 zu den weltweit preisgünstigsten Baustoffen.

Die versteinerte Papierwabe ist zugleich der erste Dämmstoff, welcher im Verbund statisch beansprucht werden kann. Dabei sollen die tragenden Wände Lasten von bis zu 240 Tonnen pro Quadratmeter aushalten, was durch die innere Wabenstruktur möglich wird, wie man sie von Bienenstöcken kennt. Zusätzlich werden die einzelnen Elemente außen von einer dünnen Beschichtung auf Zementbasis umgeben. Eine Holzverkleidung verleiht den Wänden schließlich ihr endgültiges Aussehen.

ECOCELL-Betonwabeplatte

ECOCELL-Betonwabeplatte

Ein weiterer Vorteil dieser Bauweise: Die Wände im Wabenformat sind etwa zehnmal leichter als Betonwände und immerhin dreimal leichter als Massivholzwände. Zudem können die Häuser so im Schnellbauverfahren errichtet werden: Der Rohbau steht so bereits nach rund einer Woche.

Das dahinter stehende Schweizer Unternehmen ECOCELL Technology AG in Uttwil war 2012 gegründet worden und hatte 2015 mit der Pilot-Fertigung begonnen. Iseli investierte gemeinsam mit seiner Familie und Freunden mehrere Millionen Franken und patentierte über ein Dutzend Verfahren und Erfindungen. Im Jahr 2015 wurden in der Ostschweiz die ersten Referenzobjekte gebaut, und 2016 geht die Serienfertigung in Betrieb.

Eine Zulassung für die neu entwickelte Bautechnik besitzt das Unternehmen bisher allerdings nur in der Schweiz, wo in den nächsten Jahren Häuser aus Altpapier mit insgesamt rund 400 Wohneinheiten errichtet und vermietet werden sollen. Später einmal sollen die leichten Bauelemente dann auch genutzt werden, um in Katastrophengebieten schnell wieder Wohnraum zu schaffen.

Ende 2016 wird in direkter Nähe der Firmensitzes in Uttwil ein 2.500 m2 großes Grundstück erworben, um die erste Reihenhaussiedlung mit ECOCELL-Musterhäusern zu realisieren.  Das Projekt besteht aus vier in etwa gleich großen Baukörpern, bei welchen erstmals die gesamte Außenhülle der Gebäude zur solaren Energiegewinnung genutzt wird, indem alle Dach- und Fassadenflächen mit PV-Paneelen werden. Die erste ECO SOLAR Musterhaus-Siedlung in St. Margrethen wird im Sommer 2017 komplett fertiggestellt, verkauft und bewohnt.

Im Jahr 2018 wird Iseli mit dem Schweizer Innovationspreis IDEE-SUISSE ausgezeichnet. Die weiteren Entwicklungen und Meilensteine lassen sich auf der Firmenhomepage ecocell.ch verfolgen.


In diesem Zusammenhang ist auch das interdisziplinäre Forschungsprojekt Instant Homes der TU Darmstadt zu erwähnen, bei dem ein Team um die Professoren Ariel Auslender, Markus Biesalski und Samuel Schabel ab 2012 eine faltbare Notunterkunft aus Papier entwickelt. Dieses Material hat ja vielversprechende Eigenschaften – es ist biologisch abbaubar, billig, leicht, fest und gleichzeitig formbar. Doch bis daraus Häuser und ganze Siedlungen entstehen können, muß der Werkstoff noch optimiert werden.

Eine besondere Schwierigkeit für die Architektur-Studenten, die ein Semester lang Modelle solcher Unterkünfte entwerfen, ist die erwünschte Faltbarkeit der Notunterkünfte, die vor Ort quasi aufpoppen sollen, um rein intuitiv, ohne aufwendige Anleitung, aufgebaut zu werden. Dabei müssen die Häuser zusammengefaltet möglichst gut in einen Container passen, damit sie mit Hubschraubern oder LKWs transportiert werden können.

Instant Homes Prototyp

Instant Homes
Prototyp

Im Jahr 2014 wird ein Prototyp gebaut und in einer Halle Temperatur-Tests unterzogen. Er wird im Dezember öffentlich vorgestellt und zeigt zwar nur eine Hälfte des Hauses, ist aber im Originalmaßstab gehalten und läßt sich kürzester Zeit aufbauen. Trotzdem sieht er aus wie ein selbstgebasteltes Spielhaus für Kinder. Daneben arbeiten die Wissenschaftler an verschieden neuen Beschichtungen für Papier, um letztlich ein stabiles, bewohnbares und wetterfestes Instant Home aus Papier zu schaffen. Die Universität veröffentlicht zudem eine 28-seitige Broschüre über das Projekt.

Das Thema behält eine gewissen Wichtigkeit, denn ab Januar 2017 wird der Schwerpunkt Bauen mit Papier (BAMP!) unter Federführung der TU Darmstadt und der Beteiligung von acht Professoren vom Land Hessen über vier Jahre mit rund 4,6 Mio. € gefördert. Partner sind die Hochschule Darmstadt und die Technische Hochschule Mittelhessen.

Ziel des neuen Schwerpunktes ist es, wissenschaftliche und technische Grundlagen für die Nutzung von Papier in Bauanwendungen zu schaffen und neue Lösungsansätze zu entwickeln. Der Fokus des Schwerpunktes liegt dabei auf Bauwerken für temporäre Nutzung – sogenannte ‚fliegende Bauten‘ – wie z.B. Übergangsbauten für gewerbliche Zwecke oder Schulen, Notunterkünfte oder einmalige Großveranstaltungen.

Nachdem die Fördermittel aufgebraucht und das Projekt Ende 2020 beendet wird, werden die Ergebnisse 2021 in einer Installation auf der Architekturbiennale in Venedig ausgestellt und dort – aus mir kaum nachvollziehbaren Gründen – vom European Cultural Centre (ECC) als bestes Universitätsprojekt ausgezeichnet. Im Papiermuseum Düren wird vom März bis zum Oktober 2022 eine Ausstellung ‚BAMP! Bauen mit Papier‘ gezeigt – über irgendwelche praktischen Umsetzungen ist aber nicht das Geringste zu finden.


Die dritte bemerkenswerte Meldung, die ein neues Baumaterial betrifft, stammt vom August 2016. Demnach hat die Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) des US-Verteidigungsministeriums ein neues, durchaus ambitioniertes Projekt initiiert, bei dem die Forscher im Rahmen des neu ins Leben gerufenen Programms Engineering Living Materials (ELM) Baumaterialien entwickeln sollen, die an der Baustelle von selber wachsen und sich auch selber reparieren können.

Während es schon verschiedene Materialien gibt, die über mehr oder weniger ausgeprägte Selbstheilungskräfte verfügen, ist die Idee, Materialien quasi aus dem Nichts an der Baustelle wachsen zu lassen, tatsächlich neu. Einige der Technologien, die für die Entwicklung solcher Materialien benötigt werden, existieren aber bereits heute. Dazu zählen die Fortschritte im Bereich des 3D-Drucks in der Architektur sowie selbstheilender Beton, Baumaterialien, die aus Sand und Bakterien hergestellt werden sowie Baumaterialien aus pflanzlichen Grundstoffen und Pilzen.

Die DARPA hofft nun, diese Ansätze kombinieren zu können, um so Gerüste zu bauen, die lebendige Gewebe und künstlich erschaffene lebende Zellen stützen. Schlußendlich soll es möglich sein, auf die nicht-biologischen Gerüste zu verzichten und mittels genetischem Engineering die biologischen Materialien so zu programmieren, daß sie die gleichen strukturellen Eigenschaften aufweisen. Der Schlüssel für die Entwicklung der Technologie sind der Agentur zufolge die Entwicklung von Signalwegen und dreidimensionalen Multizellsystemen.

Im März 2021 berichten die Fachblogs, daß im Rahmen des DARPA-Programms ein Landeplatz für die Bell Boeing V-22 entwickelt wurde, der aus ‚lebenden technischen Materialien‘ (Engineered Living Materials, ELM) besteht, um das Problem der Überhitzung bei der Landung zu verringern. Leider sind bislang keine weiteren Details darüber zu finden.


Davon unabhängig richtet die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Juni 2023 das Schwerpunktprogramm ‚Lebendige Werkstoffe mit adaptiven Funktionen‘ ein, das auf eine Laufzeit von sechs Jahren ausgelegt ist und bei dem neue Werkstoffe mit programmierbaren und anpassungsfähigen Fähigkeiten durch die synergetische Kombination von lebenden Organismen und Werkstoffen entwickelt werden sollen.

 

Weiter mit der Jahresübersicht der Solarhäuser 2017...