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Andere elektrische Fahrzeuge

Oberleitungssysteme


Bereits erwähnt hatte ich die Oberleitungsbusse, wie es sie heute noch in einigen Städten der Welt gibt, z.B. in Moskau, Minsk, Peking und San Francisco. In Deutschland können als Beispiele Solingen und Eberswalde genannt werden, in Österreich Salzburg, und in der Schweiz Winterthur. Die ältesten Modelle fahren wohl in Georgien, wo sie sogar Städte miteinander verbinden. Hier verläuft mit einer Länge von 85 km auch die weltweit längste Oberleitungsstrecke zwischen den Städten Yalta und Simferopol.

Die Geschichte dieser Technologie geht auf das Jahr 1882 zurück, als Werner von Siemens eine Kutsche mit zwei 2,2, kW Elektromotoren baut, die ihren Strom von einem hoch darüber gespannten Kabel beziehen. Im April führt er seinen 1,5 t schweren Elektromote (o. Electromote, von electric motion) in Halensee bei Berlin auf einer 540 m langen Versuchsstrecke erstmals vor.

Kaum mehr bekannt ist, daß es sogar Schiffe gab, die ihre Fahrtenergie von einer elektrischen Oberleitung bezogen haben. Die vermutliche erste Umsetzung geht auf Frank W. Hawley im Jahr 1893 zurück, der ein normales Dampf-Kanalboot zu einem Trolleyboat umbaut und auf dem Erie-Kanal in den USA testet. Zu einer geplanten Elektrifizierung des 566 km langen Kanals kommt es jedoch nicht, da dieser 1918 vertieft und verstärkt wird und nun auch von größeren Booten mit eigenem Antrieb befahren werden kann. Ein Plan für eine Fähre mit Oberleitung wird ebenfalls nicht verwirklicht.

Ein solcher wird erst bei der Strausseefähre (‚Steffi’) in Brandenburg umgesetzt, die ab 1894 als mit einer Handwinde betriebene Seilfähre den Straussee überquert und 1915 mittels einer freigespannten einpoligen Oberleitung elektrifiziert wird. Die zweite dieser Oberleitungsfähren in Deutschland ist die Fähre Haßmersheim auf dem Neckar, die den Ort Haßmersheim mit dem jenseits des Neckars gelegenen Bahnhof verbindet und seit 1936 in Betrieb ist.

Oberleitungs-Schiff Teltow

Oberleitungs-Schiff Teltow

Eine Trolleyboat-Linie, die tatsächlich kommerziell betrieben wird, ist eine 4 km lange Strecke des Charleroi-Kanals in Belgien, die 1899 installiert ein paar Jahre in Betrieb bleibt. Hier ziehen die Oberleitungsboote unmotorisierte Kanalbargen. Beim Rest des insgesamt 47 km langen Kanals werden sogenannte elektrische Maultiere eingesetzt – eine moderne Version der früheren Treidel-Dampflokomotiven.

Im Juni 1906, kurz nach Fertigstellung des Teltowkanals in Berlin, wird in Anwesenheit des Kaisers Wilhelm II. feierlich eine elektrische Treidelbahn mit Oberleitung eröffnet. Die mehr als 20 Lokomotiven ziehen die Schiffe durch den neuen Kanal bis zum Machnower Sees, wo sie von dem 17,6 m langen und ebenfalls elektrisch betriebenen Schleppschiff Teltow (‚Schleppschiff Teltow mit Oberleitung für elektrischen Treidelbetrieb’) übernommen werden, da aufgrund des unwegsamen Geländes die Weiterführung der Eisenbahntrasse nicht möglich ist. Eine weitere Schiffs-Oberleitung wird 1933 auf einem Stück des Rhein-Marne-Kanals installiert.

Eine ebenso fast vergessene Technologie trägt den Namen Zinzin und stammt von dem Franzosen Chéneau aus den 1920er Jahren. Die Zinzins sind unbemannte, kleine Elektrolokomotiven von etwa 600 kg Gewicht, die an einem Seil in der Luft oder an entsprechenden Führungsschienen entlang fahren, dabei von einer parallelen Kabelleitung mit Strom versorgt werden, und die Schiffe voranziehen. Das System wird verwendet, um auf einigen Kanälen in Nord- und Ostfrankreich Schleusen zu passieren. Man könnte es als eine abwandelte Art der elektrisch betriebenen Kettenschlepper betrachten. Denn auch die Kettenschifffahrt, die in der zweiten Hälfte des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf mehreren europäischen Flüssen angewendet wird, und bei der anfänglich ein einzelnes mit einer Dampfmaschine angetriebenes Kettenschleppschiff viele antriebslose Binnenschiffe zieht, wird später weitgehend elektrifiziert.

Der erste auf dieser Technik aufbauende Betrieb mit planmäßigem Personentransport auf der Straße wird dann im Jahr 1900 von der Pariser Compagnie de Traction par Trolley Automoteur eröffnet. Im Juli 1901 folgt in Dresden die Elektrische gleislose Motorbahn im Bielathale mit Oberleitung, die im September 1904 allerdings schon wieder eingestellt wird. Von 1911 bis 1915 fährt eine gleislose Bahn, die schon sehr wie ein Oberberleitungsbus aussieht, im damals preußischen Blankenese zwischen dem Bahnhof und dem Villenviertel Marienhöhe. Die einfache Fahrt kostet 10 Pfennig - und der Fahrkartenverkauf erfolgt durch einen im Wagen aufgestellten Automaten.

Oberleitungs-Bus in Blankenese

Oberleitungs-Bus
in Blankenese

Einer der bekanntesten zeitgenössischen Hersteller dieser Verkehrsmittel ist die polnische Firma Solaris, die seit 2001 Oberleitungsbusse produziert und bis Ende 2012 schon fast 600 Fahrzeuge in 13 Länder ausgeliefert hat. Einer Erhebung von 2009 zufolge werden Oberleitungsbusse weltweit in 359 Städten betrieben, in denen insgesamt rund 40.000 Fahrzeuge im Einsatz sind. Und während sie in einigen Orten abgeschafft werden, erweiteren andere ihre lokalen Netze, modernisieren den Bestand oder führen die Technologie sogar neu ein.

Weit weniger bekannt ist, daß es auch Oberleitungs-Nutzfahrzeuge gab – wie den oben abgebildeten LKW, der sogar schon mit Radnabenmotoren ausgestattet war (!) –, die beispielsweise in den 1950er Jahren in diversen russischen Städten zum Einsatz kommen und in einigen Fällen sogar heute noch unterwegs sind, wie man an dem zweiten, wesentlich jüngeren Foto erkennen kann.

Auch diese Einsatzform läßt sich relativ weit zurückverfolgen: Im Jahr 1912 nimmt der deutsche Ingenieur Max Schiemann die Hafenschleppbahn in Altona in Betrieb, die täglich 200 Fuhrwerke mit je 5 - 7 t Last über eine Steigung von 5,5 % zum neuen Rathaus zieht. Die Energie für die insgesamt etwa 1.000 m lange Strecke kommt mit 550 V Gleichstrom über eine doppelpolige Fahrleitung aus dem E-Werk Altona.


Eine aktuelle Umsetzung der Technologie für den Massentransport auf der Straße wird seit jüngstem als etwas ganz Neues verkauft ... was es nun wirklich nicht ist. Dennoch ist der Ansatz unterstützenswert, da er in Nähe bewohnter Zentren für eine drastische Reduzierung von Lärm und Abgasen sorgen könnte.

Im Mai 2012 präsentiert die Siemens AG auf dem Electric Vehicle Symposium in Los Angeles ein System für den Elektrobetrieb von Lastkraftwagen, die täglich Strecken von mehreren hundert Kilometern zurücklegen. Bei dem eHighway genannten Konzept, das auf einer aufwendigen 2,2 km langen Teststrecke auf dem einstigen russischen Militärflugplatz Groß Dölln in Brandenburg bei Berlin bereits erprobt wird, verfügen die Fahrzeuge über einen Hybridantrieb aus einem Diesel- und einem Elektromotor. Im Gegensatz zu den bekannten Hybrid-Pkw speichern die Laster den Strom jedoch nicht in einer Batterie, sondern beziehen ihn über ein Abnehmersystem auf dem Dach von einer Oberleitung.

eHighway Lastwagen

eHighway Lastwagen

Die Renaissance der alten Technologie ist in vielen Fällen höchst sinnvoll, denn solange über den Straßen ein Leitungsnetz verläuft, sind die Laster ausschließlich im Strombetrieb unterwegs. Muß die elektrifizierte Route verlassen werden, wird der Konnektor eingeklappt, und der Dieselmotor des Fahrzeugs startet automatisch. Dieser Motor treibt einen Generator an und erzeugt Strom, mit dem wiederum die Räder des Lkw angetrieben werden. Dem Unternehmen zufolge erreichen die Fahrzeuge im Praxistest und unabhängig von der Witterung und der Beladung Geschwindigkeiten von bis zu 90 km/h. Den benötigten Strom liefert ein nahe gelegenes Solarkraftwerk der Firma Belectric, wobei pro Kilometer 1 MW installierter Leistung nötig sind, um den Güterverkehr mit Oberleitungstechnologie zu versorgen.

Das Konzept, das vom Bundesumweltministerium mit einigen Millionen Euro gefördert wird, bietet sich besonders bei den sogenannten Güter-Shuttles an, womit Fahrten mit kurzen bis mittleren Entfernungen bis 50 km gemeint sind – etwa vom Hafen ins Güterzentrum einer Stadt.

Über einen Kooperationsvertrag steigt die Firma Scania im März 2013 als Fahrzeugpartner in das Projekt ein, um in Schweden einen realen Umsetzungsversuch zu starten. Hier wird seit über einem Jahr darüber nachgedacht, eine 100 km lange Strecke im fernen Norden des Landes per Oberleitungen zu elektrifizieren, die eine Mine mit einem Zug-Depot verbindet, wo das geförderte Eisenerz verladen wird. Die Gesamtkosten des Projekts werden auf rund 367 Mio. $ geschätzt.

Siemens will jedenfalls bis 2014 die zweite Generation der elektrotauglichen Fahrzeuge für eine frühe serienreife Produktion vorbereiten. Anschließend ist eine öffentliche Erprobung des Systems geplant. Angedacht ist auch, das System (einspurig) in Teilen von Los Angeles und Long Beach in Kalifornien zu installieren.

Interessanterweise gibt es eine deutsche Patentanmeldung aus dem Jahr 2008 (Nr. DE102008062596), die Anfang 2010 veröffentlicht wird und genau die beschriebene Technologie eines durch Oberleitung und Elektromotor elektrisch angetriebenen LKWs umfaßt. Die TrolleyTruck Patentanmeldung geht auf Christian Dumitru aus Neuburg/Donau zurück und wird trotz Einspruch zurückgewiesen (in dem entsprechenden Text sind auch mehrere Gegenhaltungen erwähnt, bei denen es sich um ähnlich gelagerte Patente aus Deutschland, der Schweiz, Frankreich und England handelt).

 

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