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Solarhäuser und solare Bauelemente

Schwerpunkt Solarfassaden (4)


Im Oktober 2013 erhält ein Team um Prof. Thomas Speck von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Prof. Jan Knippers von der Universität Stuttgart den Preis mit 40.000 € dotierten, erstmals vergebenen Gips-Schüle-Forschungspreis für die bionische Fassadenverschattung Flectofin und die darauf basierenden Weiterentwicklungen.

Flectofin-Versuch

Flectofin-Versuch

Der elastische Verformungsmechanismus ist eine von der Natur inspirierte, wandelbare Konstruktion, die wie eine vertikale Jalousie funktioniert. Bei dem stufenlos einstellbaren Klappmechanismus ohne Gelenke oder Scharniere, dessen Grundlage ein glasfaserverstärkter Polymer ist, der hochelastische Eigenschaften hat und gut verformbar ist, läßt sich die Ausrichtung der Lamellen nach Bedarf verändern.

Der Prototyp besteht aus einem Stab aus dem glasfaserverstärktem Kunststoff, an dem zwei Lamellen des gleichen Materials befestigt sind. Diese öffnen und schließen sich durch die Biegung des Stabes, wobei die Funktionsfähigkeit des Systems von der Elastizität und Stärke des Materials sowie der Geometrie der Komponenten abhängt, aber zwischen -90° und +90° umklappen kann. Damit können sich Gebäudefassaden mit ein wenig Druck wie Blumenkelche öffnen und schließen.

Bedient wird das Sonnenabschirmsystem wie die vertikalen Sonnenschutzeinrichtungen in Büros, es befindet sich allerdings an der Außenseite des Gebäudes. Die Prototypen der Sonnenschutzelemente werden im Hinblick auf ihre Dauerbelastung an einem Versuchsstand der Firma MHZ Hachtel GmbH & Co. KG in Leinfelden-Echterdingen getestet.

Die elastische Verformung basiert auf dem Klappmechanismus in der Blüte der Paradiesvogelblume (Strelitzia reginae), die in ihrer Heimat Südafrika vor allem von Nektarvögeln bestäubt wird, die sich auf einer von der Pflanze gebildeten ‚Sitzstange‘ aus verwachsenen Blütenblättern niederlassen. Durch das Gewicht des Vogels klappen die pfeilförmigen Kronblätter auf und die Pflanze gibt Pollen ab, die der Vogel auf die nächste Blüte überträgt. Dieser Vorgang kann sich bis zu 3.000 mal wiederholen.

Themenpavillon der Expo 2012

Themenpavillon
der Expo 2012

Die optisch an Fischkiemen erinnernde Konstruktion wurde bereits zur Verschattung des Themenpavillon der Expo 2012 in Yeosu, Südkorea, eingesetzt, deren Motto ‚One Ocean‘ war. Der Pavillon ist ein Entwurf des in Wien und Salzburg operierenden Architekturbüros Soma Architecture. Seine bionische kinetische Fassade, die sich über eine Länge von 140 m erstreckt und aus 108 einzeln angesteuerten, beweglichen Lamellen besteht, die tagsüber den Lichteinfall im Foyer und in der Best Practice Area kontrollieren, wurde gemeinsam mit dem Ingenieurbüro Knippers Helbig GmbH aus Stuttgart konstruiert.

Neben der Tatsache, daß durch die Lamellen der Tageslichteinfall in den Pavillon gesteuert werden kann, lassen sie die Fassade in ständiger Bewegung erscheinen, was bei Nacht durch an der Innenseite der Lamellen angebrachte LED-Lichtleisten noch verstärkt wird.

Die aktuellen Prototypen sollen nun im Hinblick auf ihre Markttauglichkeit weiterentwickelt werden, wobei das Forschungsprojekt durch das Bundeministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Fördermaßnahme Bionische Innovationen für nachhaltige Produkte und Technologien (BIONA) unterstützt wird. Zudem sollen die Elemente in Zukunft aus einem Verbundstoff gefertigt werden, dessen Komponenten sich bei Hitze unterschiedlich ausdehnen. Elektronisch kontrollierte Änderungen in der Temperatur aktivieren dann das Material und damit das Sonnenschutzelement.

Das Forschungsteam erhält für die zum Patent angemeldete Flectofin-Technologie den Techtextil Innovationprize 2011 - Architecture sowie 2012 den vom Verein Deutscher Ingenieure vergebenen International Bionic-Award der Schauenburg-Stiftung. Im Oktober 2013 folgt der erstmals vergebene Gips-Schüle-Forschungspreis.

Im Januar 2014 erscheint ein kurzer Bericht, dem zufolge sich die Flectofin-Systeme auch auf ansonsten nur höchst aufwendig zu beschattende, gekrümmte Fassaden anbringen lassen – was sie ja bereits beim Expo-Themenpavillon nachgewiesen haben, doch danach verschwindet das Verschattungssystem weitgehend aus der Diskussion – auch wenn Architekturstudenten in Frankfurt und Mainz Mitte 2016 Entwürfe mit Flectofin entwickeln, bei denen die Wirkmechanismen am Beispiel einer Hochhaus-Revitalisierung in Mainz und eines Neubaus für ein Radler-Motel bei Bingen zum Einsatz kommen.

Design von Kaja Korpa Grafik

Design von Kaja Korpa
(Grafik)

Hier gezeigt wird der Entwurf des Radler-Motels von Kaja Korpa an der Frankfurt University of Applied Sciences (ehemals Fachhochschule Frankfurt).

Die Studenten waren zudem aufgefordert, Ressourcen, wie die Energieumwandlung aus Wasser, Geothermie, Wind- und Sonnenenergie, in das Klimakonzept einzubeziehen – sowie  die Fassaden-Solarzellen (Solar-Efeu) der amerikanischen Firma SMIT, die bereits in der Übersicht 2008 beschrieben wurden (s.d.). Anlaß dafür ist möglicherweise die im Februar 2015 erschienene VDI-Richtlinie 6226 ‚Bionik– Architektur, Ingenieurbau und Ingenieurdesign‘, in der die beiden genannten Systeme berücksichtigt sind.

Da die aus GFK-Textilgewebe zusammengesetzten Flectofin-Klappen technisch aber noch nicht vollständig ausgereift sind, arbeiten die involvierten Forschungsinstitute derweil an der Komponente zur Aktivierung der Klappen, dem sogenannten Aktuator. Zukünftig könnte dessen Funktion über schmale pneumatische Kissen oder über einen elektrischen Widerstand gelingen – erzeugt durch Bimetall-Drähte, die in die Textilfaserschicht eingewoben und über einen elektrischen Impuls individuell geregelt werden könnten.

Außerdem muß noch eine Lösung dafür gefunden werden, wie sich die geplanten PV-Zellen am besten in die Klappen integrieren lassen – ob auf die Oberflächen aufgedruckt oder in die Textilfaser-Klebeschicht eingebettet –, vor allem hinsichtlich des vorbeugenden Brandschutzes und der Brandbekämpfung bei Einsatz an der Fassade. Auch die Wiederverwertbarkeit der Materialien ist bislang ungeklärt. Für den praktischen Einsatz wird derweil auf die Zulassung am Bau hingearbeitet.

Das Flectofin-System erscheint zuletzt  als Plakatmotiv der vom Dezember 2017 bis zum Mai 2018 laufenden Ausstellung ‚Baubionik – Biologie beflügelt Architektur‘ im Naturkundemuseum Stuttgart.


Ebenfalls an der Universität Stuttgart wird seit einigen Jahren an einem Fassadenkonzept gearbeitet, das gleich mehrere Funktionen vereint: Integrierte Vakuumkollektoren erzeugen solare Wärme auf hohem Temperaturniveau, leuchten Räume gleichmäßig halbtransparent aus und bieten zudem Sonnenschutz, ohne den Blick nach draußen zu nehmen. Das System eignet sich vor allem für Bürogebäude und andere Funktionsbauten mit hohem Verglasungsanteil – und auch gut als architektonisches Gestaltungselement eingesetzt werden.

In einem vorangegangenen Forschungsprojekt der Universität, das zwischen 2005 und 2008 lief und mit gut 270.000 € gefördert worden war, sind Vakuumröhrenkollektoren bereits für die Anwendung in Fassaden untersucht und einen ersten funktionsfähigen Prototypen realisiert worden, der auf der glasstec 2010 ausgestellt wird, wo er mit einem Innovationspreis ausgezeichnet wird. Weitere Preise sind der Intersolar Award 2010, der European Aluminium Award 2010 sowie der Design Plus Award der ISH.

Auch bei der aktuellen Entwicklung, über die im März 2013 berichtet wird, setzten die Wissenschaftler auf Hochleistungs-Vakuumröhren, die mit perforierten Parabolspiegeln ausgestattet sind und in eine Elementfassade integriert werden. Indem die Spiegel die direkte Einstrahlung der Sonne und einen Teil des diffusen Lichts auf die Vakuumröhren bündeln, reduziert sich Wärmeeintrag der Glasfassade und damit der Kühlbedarf des Gebäudes um 70 – 90 %.

Vakuumröhren-Fassade

Vakuumröhren-Fassade

Zur Beurteilung der Sonnenschutz- und Tageslichteigenschaften werden in einem Pilotprojekt zwei geschoßhohe Fassadenmodule ohne Deckscheibe gefertigt und in die Teststation der TU München am Fachgebiet für Hüllkonstruktionen eingebaut und untersucht. Die modular aufgebaute Kollektorfassade liefert ganzjährig Temperaturen über 80°C, wobei das Rohrsystem in den Profilen der Kollektoren integriert und von außen zugänglich ist.

Aus architektonischen, geometrischen, technischen und visuellen Gründen erweist sich die horizontale Anordnung – analog zu Sonnenschutzjalousien, auf die im vorliegenden Fall verzichtet werden kann – als am besten geeignet. Zudem zeigen die Ergebnisse, daß die Kollektorfassade ein hohes sturmsicheres Sonnenschutzpotential besitzt und zusätzliche Kühllasten verhindert. Womit auch die Kosten für aufwendige Sonnenschutzeinrichtungen oder -verglasungen entfallen.

Die Elemente werden außerdem als vorgehängtes Fassadensystem aus acht, jeweils 1,6 m breiten und ca. 2,8 m hohen Kollektoren ohne Deckscheibe an ein Betriebsgebäude der Firma Ritter Energie- und Umwelttechnik GmbH & Co. KG in Langensteinbach bei Karlsbad installiert, einem der Kooperationspartner bei dem Projekt. Ziel ist es, erste Erfahrungen bei der Montage unter realen Bedingungen zu sammeln und die Funktionsfähigkeit und Sicherheit der Anlage im täglichen Betrieb zu testen. Forschungsbedarf sehen die Wissenschaftler weiterhin bei den Komponenten, aber auch bei der Systemtechnik.

Solarthermische Großanlagen sind übrigens seit 1994 im Produktportfolio der Ritter Energie enthalten, hinter der Alfred T. Ritter mit seiner bekannten Schokoladenfabrik steht. Mit dem im Jahr 2001 entwickelten AquaSolar-System (Wasser statt Frostschutzmittel) und der CPC-Technik (Vakuumröhren mit Spiegel) werden hohe Prozeßtemperaturen bis zu 120°C erreicht. Die gemeinsam mit der Universität Stuttgart und weiteren Partnern entwickelten Fassadenkollektoren werden von der im August 2010 gegründeten Firma Ritter XL Solar vermarktet.

Jalousie-Prototyp

Jalousie-Prototyp


Ein weiteres Forschungsprojekt der Universität Stuttgart, bei dem um den Teamleiter Christoph Maurer verschiedene Partner aus Wissenschaft, Industrie und  Handwerk beteiligt sind, trägt den Namen ArKol, läuft über vier Jahre von Januar 2016 bis Dezember 2019 und wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) gefördert.

Unter dem Titel ‚Entwicklung von architektonisch hoch integrierten Fassadenkollektoren mit Heat-Pipes‘ geht es um zwei neue Konzepte für die architektonische Gestaltung solarthermischer Fassaden: einen hocheffizienten Streifenkollektor, bei dem der Streifenabstand und das Material zwischen den Streifen frei gewählt werden kann, sowie eine solarthermische Jalousie, die zum Beispiel zwischen Verglasungen eingesetzt werden kann und als Fassadenelement dient.

Der erste, voll funktionsfähige Prototyp der Jalousie wird auf dem OFREE-Teststand des Fraunhofer ISE vermessen und im Oktober 2018 und im Januar 2019 auf den Messen Glasstec und BAU erstmals der Öffentlichkeit präsentiert.

Ebenfalls im Januar 2019 meldet die ArKol-Homepage, daß die solarthermische Jalousie nun in ersten ausgewählten Bauvorhaben in überschaubarem Umfang umgesetzt werden soll. Architekten, Bauherren und Planer werden eingeladen, mit ihren Bauvorhaben dazuzustoßen und Teil der weltweit ersten Realisierungen zu werden. In den Demonstrationsprojekten soll die Leistungsfähigkeit im Realbetrieb wissenschaftlich untersucht werden, wobei die innovationsbedingten Mehrkosten vom Bundeswirtschaftsministerium übernommen werden.


Eine weitere kinetische Fassade erscheint im März 2014 in den Blogs. Das Penumbra Kinetic Shading System des Architekturstudenten Tyler Short existiert bislang zwar nur als brillante 3D-Animation auf vimeo.com, besticht aber durch die Verwendung traditioneller, statischer Komponenten, die durch einen ziemlich aufwendigen Räder- und Zahnstangen-Mechanismus zum Leben erweckt werden.

Bei dem kinetischen Beschattungssystem können sich die Lamellen sich je nach Sonnenstand sowohl senkrecht drehen, um mehr oder weniger Sonnenlicht herein zu lassen – als auch nach oben Ausschwenken, um einen tiefen Schatten zu erzeugen.

Im Prinzip drehen sich die vertikalen Lamellen computergesteuert oder manuell in drei Richtungen, sowohl seitlich als auch axial, und können unabhängig voneinander vollständig nach oben geschwenkt werden, um den Sonnenschutz zu maximieren. Bislang ist das interessante Prinzip allerdings noch nicht umgesetzt worden.


SDU-Gebäude


Die nächste klimafreundliche kinetische Fassade stammt von dem renommierten Büro Henning Larsen Architects in Kopenhagen, und wurde für das nach zweijähriger Bauzeit 2014 in Betrieb genommene Kommunikations- und Designgebäude der Syddansk Universitet (SDU) in Kolding, Dänemark, entworfen. Die Architekten hatten den Zuschlag für das Bauwerk im Zuges eines internationalen Wettbewerbs 2008 erhalten, bei em sie den 1. Preis gewonnen hatten.

Das 13.700 m2 große Gebäude mit dreieckigem Grundriß verfügt über eine in die Deckenflächen integrierte mechanische Niedrigenergie-Lüftungsanlage sowie durchgängig effiziente LED-Beleuchtung. Die Kühlung erfolgt mit Wasser aus dem Fluß Kolding, und das zentrale fünfstöckige Atrium wird durch ein großes Oberlicht beleuchtet. Das Dach des Bauwerks ist mit einer 400 m2 PV- und einer 20 m2 Solarthermie-Anlage ausgestattet.

Eines der wichtigsten Merkmale ist jedoch die um 60 cm vorgesetzte, reaktionsschnelle Sonnenschutz-Fassade aus insgesamt 1.600 Aluminium-Lochjalousien (andere Quellen: über 2.000), welche die Menge des natürlichen Lichts, das in den Innenraum gelangt, und damit die Innentemperatur regulieren. Die dreieckig geformten Blenden öffnen und schließen sich einzeln über einen kleinen Elektromotor und gemäß den Daten von Sensoren, die kontinuierlich die internen Licht- und Wärmemengen messen. Der Energieverbrauch der Motoren ist minimal, da sie sich schrittweise bewegen und mehrere Stunden lang in einer Position bleiben.

Beim geschlossenen Fensterläden liegen die Blenden flach an der Fassade, während sie halb- oder ganz offen aus der Fassade herausragen und dem Gebäude durch das abwechslungsreiche Spiel von Licht und Schatten ein ausdrucksvolles Aussehen verleihen. Am Abend strömt das Licht wiederum von innen durch das perforierte Muster und läßt die Fassade transparenter erscheinen.

Jeder der Blenden ist je nach Standort entweder vollständig in einem Winkel von 0 – 90° beweglich oder in einem Winkel von 30°, 60° oder 90° fixiert. Die Blenden auf der Süd- und Nordostseite sind beweglich, mit Ausnahme derjenigen, die eine Beschattung der Toiletten, zweier Treppenhäuser und vor Terrassen bieten, wo sie entweder bei 30° oder 60° befestigt sind.

Das Gebäude fungiert zudem als lebendiges Forschungsprojekt über die Auswirkungen der Vergrößerung der Betonoberfläche auf die thermische Masse. Die Unterseiten von Betonplatten in Klassenzimmern verfügen über eingegossene Firstreihen, die so konzipiert sind, daß sie ihre Oberfläche vergrößern und eine Erhöhung der Wärmemassenkapazität um 16 % bewirken, was den Kühlbedarf des Gebäudes reduziert. Außerdem verbessert sie Installation einer Vakuumdämmung auf der Rückseite der Fenster die Wärmeleistung der Fassade. Dank der nachhaltigen Eigenschaften reduziert sich der Energiebedarf des Gebäudes im Vergleich zu ähnlichen Gebäuden in Dänemark um 50 %.


Im April 2015 folgt eine intelligente Fassade mit Formgedächtniseffekt, die im Rahmen des Entwurfsprojektes CHANGE von Forschern des Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) in Dresden gemeinsam mit der Kunsthochschule Berlin-Weißensee unter dem Namen ‚Studienprojekt Solar Curtain‘ entwickelt wird.

Finnsdottir-Design Grafik

Finnsdottir-Design
(Grafik)

Der funktionierende Demonstrator dieser Fassadenkomponenten, die energieautark und ohne Strombedarf auf Sonneneinstrahlung und die dadurch entstehende Wärme reagieren, basiert auf einem Entwurf der Designstudentin Bára Finnsdottir und besteht aus einer Matrix von 72 einzelnen textilen, kreisförmigen Komponenten, die wie Blüten aussehen.

In die textilen Module aus Ripstop-Nylon integriert sind Formgedächtnisaktoren, die denen es sich um dünne, 80 mm lange Drähte handelt, die sich bei Erwärmung an ihre Ausgangsform erinnern. Erwärmt sich die Fassade durch die Sonneneinstrahlung auf eine Oberflächentemperatur von ca. 30°C, werden die aus einer Nickel-Titan-Legierung bestehenden Drähte aktiviert, ziehen sich zusammen und öffnen dadurch selbständig und geräuschlos die textilen Komponenten.

Diese Legierung ist ein Formgedächtnismaterial, was bedeutet, daß sie zwar in einer Form bleibt, in die sie bei kühleren Temperaturen gebogen wurde, aber beim Erwärmen vorübergehend in ihre ursprüngliche Form zurückkehrt. Durch diese Funktion schließt sich die offene Fläche des Fassadenelements und das Sonnenlicht kann nicht mehr in den Raum eindringen. Verschwindet die Sonne wieder hinter den Wolken, kühlen sich die Drähte ab, die Elemente schließen sich durch eine Rückstellfeder und die Fassade wird wieder lichtdurchlässig.

Der Solar-Vorhang von Finnsdottir, die an der Kunsthochschule bei Prof. Christiane Sauer studiert, entsteht im Rahmen einer Zusammenarbeit mit dem Forschungsschwerpunkt smart3, bei dem methodisch und praktisch experimentell mit formveränderbaren Materialien gearbeitet wird. Der Forschungsschwerpunkt ist in das vom Bildungsministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit einem Gesamtfördervolumen von 5,8 Mio. € finanzierte Projekt ‚smart3– materials, solution, growth‘ (20142021) eingebettet, dessen Ziel es ist, die Entwicklung innovativer Produkte auf Basis von Smart Materials zu forcieren.

Der funktionsfähige Prototyp des Solar-Vorhangsystems wird im April auf der Hannover Messe 2015 ausgestellt, wo er allerdings statt durch Sonneneinstrahlung über elektrische Impulse gesteuert wird. Dadurch kann der Sonnen-, Blend- oder Sichtschutz auch individuellen Nutzungsszenarien angepaßt und über eine digitales Interface angesteuert werden. Beim Fraunhofer Ideenwettbewerb 2016 belegt der von Sonnenwärme angetriebene Solar Curtain den 1. Platz.

Unter der Leitung von André Bucht untersuchen die Forscher nun die Möglichkeiten, die Fassade zu nutzen, um tagsüber Wärmeenergie zu speichern und nachts wieder abzugeben oder über flexible Solarzellen Strom zu erzeugen. Gemeinsam mit Industriepartnern will man eine Reihe von Prototypen für Privat- und Bürogebäude entwickeln, um sie langfristig an einem Einfamilienhaus und an Gebäuden des Instituts zu testen. Eine Priorität bilden Gewebeelemente, die stabil genug sind, um jedem Wetter standzuhalten. Ziel ist es, die Systeme bis Mitte 2017 zur Marktreife zu bringen.

So schnell geht es dann aber doch nicht. Immerhin beginnt im Dezember 2017 ein dreijähriges F&E Verbundprojekt namens ADAPTEX (ADAPtives TEXtil), bei dem eine Reihe von Projektpartnern gemeinsam mit dem IWU und der Kunsthochschule weiter an der Entwicklung eines textilen Halbzeuges für intelligent-adaptive Hüllen im architektonischen Kontext durch Integration von Formgedächtnislegierungen arbeiten.


Die Entwicklung eines Materials, das auf Knopfdruck seine Form, Größe, Volumen und Festigkeit flexibel verändern kann, wird im März 2016 gemeldet. Der Bericht ‚A three-dimensional actuated origami-inspired transformable metamaterial with multiple degrees of freedom‘ ist im Netz einsehbar. Die Forschungen werden von der National Science Foundation (NSF) und dem Wyss Institute unterstützt.

Inspiriert von der Falttechnik Snapology (Schnappologie), einer von dem Physiker und Origamikünstler Heinz Strobl erfundenen Art von modularer, einheitenbasierter Origami, bei der Papierbänder verwendet werden, um komplexe geometrisch geformte Polyeder herzustellen, erschafft edasin Team rund um Prof. Katia Bertoldi und den Doktoranden Johannes T. B. Overvelde von der Harvard University ein strukturiertes Material, mit dem beispielsweise Fassaden oder Dächer möglich wären, die sich von selbst den Umweltbedingungen anpassen.

Snapology-Prototyp

Snapology-Prototyp

Der Prototyp besteht aus einem extrudierten, würfelähnlichen Gebilde mit 24 Seiten und 36 Kanten als Grundeinheit. Die dünnen Wände sind flexibel verknüpft, so daß das Gebilde entlang der Kanten zusammengefaltet werden kann. 64 dieser Gebilde werden zu einem 4 x 4 x 4 -Kubus mit eine Kantenlänge von etwa 1 cm verbunden. Dieser kann je nach Konfiguration seine Form und Größe verändern, er läßt sich sogar ganz flach zusammenfalten, um dem Gewicht eines Elefanten standzuhalten, ohne zu brechen.

Dies ist möglich, weil die Grundeinheit des Würfels entlang bestimmter Achsen gefaltet werden kann. Das Team hatte hierfür pneumatische Stellglieder in die Struktur eingebettet, die so programmiert werden können, daß sie bestimmte Scharniere deformieren, die Form und Größe des Würfels verändern und den Bedarf an externen Eingaben reduzieren.

Die Veränderungen der Form beeinflussen auch die Festigkeit und Stabilität des Materials, weshalb aus der gleichen Grundstruktur sowohl feste als auch flexible Objekte entstehen können. Mit Hilfe von pneumatischen Aktuatoren, die in die Struktur eingebaut werden, können diese Formänderungen zudem automatisch vonstatten gehen.

Statt der programmierbaren Aktuatoren ließen sich aber auch elektrische, thermische oder wassergetriebene Motoren verbauen, was das 3D-Material äußerst flexibel einsetzbar macht. Denkbar wären damit herzustellende bewegliche Dächer, tragbare, flexible Schutzräume oder auch Fassaden, die sich an das Wetter anpassen. Die Forschen stellen sich sogar ein Haus vor, das in einen Rucksack passen könnte, oder eine Wand, die mit einem Knopfdruck zum Fenster werden könnte. 


Doch nun zurück zur Chronologie der statischen Fassaden, bei denen es ebenfalls eine große Vielfalt gibt.


Mit Abschluß seiner Errichtung im April 2013 erscheinen in den Fachblogs Fotos des Torre de Especialidades in Mexiko-Stadt, dessen dekorative weiße Fassade an der Vorderseite modisch und zugleich funktional ist, da sie dazu beiträgt, die Luftverschmutzung zu verringern und zudem eine antimikrobielle Wirkung hat, was ein wichtiges Entscheidungsmerkmal für das Krankenhaus bildete.

1995 hatte die mexikanische Regierung das ProAire-Programm zur Bekämpfung der zunehmenden Verschmutzung gestartet. Im Rahmen dieser Initiative wird für das 1942 fertiggestellte Krankenhaus Manuel Gea González ein neuer medizinischer Facharztturm gebaut, der Torre de Especialidades, bei dem die Umweltbedürfnisse besonders berücksichtigt werden.

Die 2.500 m2 große geometrische, doppelwandige und luftreinigende Fassade besteht nämlich aus den prosolve370e genannten Modulen der 2006 von Allison Dring und Daniel Schwaag gegründeten Elegant Embellishments Ltd. mit Sitz in Berlin, einem Forschungs- und Design-Fertigungsstudio, das die aus einem leichten Kunststoffmaterial und mit Titandioxid (TiO2) beschichteten Fassadenplatten zur Reduzierung der Schadstoffbelastung in Städten entwickelt hat.

Torre de Especialidades Detail

Torre de Especialidades
(Detail)

Die Fassade enthält etwa 500 Blöcke, die wie ein Puzzle zusammengesetzt sind, wobei jeder Block aus fünf dreidimensionalen Modulen besteht. Da jedes Teil des Puzzles mehrere Reliefs aufweist, können Schadstoffpartikel aus verschiedenen Richtungen erfaßt werden. Bei Einwirkung von ultraviolettem Umgebungslicht reagiert das TiO2 mit den Luftschadstoffen und zerlegt diese in weniger schädliche Verbindungen wie Wasser, Kohlendioxid und Kalziumnitrat, das vom Regen abgewaschen wird.

Darüber hinaus verlangsamt das innovative gitterartige Design die Windgeschwindigkeiten und erzeugt Turbulenzen für eine bessere Verteilung der Schadstoffe auf den aktiven Oberflächen. Die erwartete Lebensdauer der Beschichtung beträgt 5 – 10 Jahre.

Die prosolve370e-Module waren erstmals im Rahmen von ‚updating germany‘ im Deutschen Pavillon der 11. Architekturbiennale in Venedig 2008 vorgestellt worden. Die Prototypen für den Torre de Especialidades – das erste Projekt des der Elegant Embellishments – werden im April 2012 im Thermoformwerk der Firma in Ulm installiert, um die Montage zu testen und die Montagezeiten abzuschätzen.

Späteren Studien zufolge gleicht die 100 m lange, leicht geschwungene Fassade des Torre de Especialidades die Umweltverschmutzung durch 1.000 Autos pro Tag aus (andere Quellen: 8.750 Autos). Neben ihrer Funktion als Stadtluftfilter wirkt die Fassade zudem als natürliches Lichtfiltersystem, das den Wärmeeintrag ins Innere des Krankenhauses und damit die Energierechnung für Klima und Licht reduziert.

Im Jahr 2013 werden die prosolve370e Module in die Dauerausstellung des Cooper Hewitt National Design Museum im Smithsonian Institute übernommen.Mehr über die TiO2-Technologie findet sich im Kapitelteil zur Photochemie unter Photokatalyse (s.d.).

 

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