allTEIL C

Salinitätsgradient (Osmose-Kraftwerk)


Die Nutzung der Salinität des Meeres zur Energieerzeugung ist eine relativ neue Idee. Informationen darüber, daß der bereits erwähnte Französische Ingenieur Georges Claude 1929 auf Kuba diesbezügliche Versuche unernommen habe, ließen sich bislang nicht bestätigen. Erstmals beschrieben wird die osmotische Kraft 1748, als der französische Physiker Jean-Antoine Nollet eine mit Alkohol gefüllte Schweinsblase in eine Wasserwanne packt, worauf die Blase anschwillt und platzt.

Bei der heutigen technischen Umsetzung wird der hohe osmotische Druck zwischen Süß- und Salzwasser, d. h. der Unterschied zwischen der hohen Salinität des Meerwassers und der niedrigen des ‚süßen’ Flusswassers, als Energiedifferenz genutzt. Werden Süß- und Salzwasser nämlich durch eine semipermeable Membrane getrennt, so fließt Wasser von der Süß- zur Salzwasserseite – getrieben (oder gesogen?) von dem Konzentrationsunterschied des Salzes. Dieses Prinzip bildet gewissermaßen eine spiegelbildliche Technologie zur reversiblen Osmose (RO), die bereits erfolgreich zur Meerwasserentsalzung genutzt wird. 

Von den weltweit zur Verfügung stehenden ca. 30 · 1012 W könnten etwa 2,6 · 1012 W genutzt werden. Als Wirkungsgrad der Osmose-Kraftwerke werden 25 % bis 30 % angegeben. Gegenwärtig stehen drei Methoden zur Verfügung, die alle auf halbdurchlässigen Membranen aufbauen: 

Die Nutzung des osmotischen Drucks zwischen dem unterschiedlichen Oberflächenwasser- und Tiefenwassersalzgehalt im Meer selbst, wobei die ‚stärkere’ Salzlösung aufsteigt. Das Aufsteigen und/oder der anschließende Fall soll der Stromerzeugung dienen.

Eine weitere Form ist die Nutzung des osmotischen Drucks an den Meeresmündungen der Flüsse. Das Süßwasser trifft hier mit einer osmotischen Druckdifferenz von etwa 24 Atmosphären auf das Meerwasser, was ausreichen soll, um eine 238 m hohe Salzwassersäule aufzubauen. Extremfälle wie der Salt Lake in den USA mit einer osmotischen Druckdifferenz von 380 Atmosphären oder das Tote Meer zwischen Palästina und Jordanien mit sogar 500 Atmosphären (gegenüber dem Süßwasser des Jordans) würden sich natürlich besonders gut ausnutzen lassen. Mit diesen Druckdifferenzen ließen sich entsprechend hohe Salzwassersäulen aufbauen – wo auch hier anschließend wieder der freie Fall zur Stromerzeugung genutzt wird. Beim Toten Meer beträgt der theoretische Höhenunterschied etwa 5.000 m (!).

Ein Pluspunkt dieser Methode ist, daß viele große Städte direkt an Flußmündungen liegen – womit eine verlustreiche Übertragung der Energie unnötig wird. Für die Columbia-Flußmündung haben kalifornische Wissenschaftler errechnet, daß sich daraus eine Nutzleistung von etwa 4.600 MW ergeben würde, falls von der Strömungsmenge des Flusses (6.600 m3/s) nur 50 % mit einem Wirkungsgrad von 30 % ausgenutzt werden könnten.

Alternativ kann auch Meerwasser in ölentleerte unterseeische Salzstöcke gepumpt werden, um damit das Salz herauszulösen. Die resultierende hochprozentige Salzlösung wird dann an die Meeresoberfläche gepumpt, wo die osmotische Druckdifferenz zum normalen Seewasser genutzt wird. Durch die jahrzehntelange Ölexploration sind die Lagen vieler unterseeischer Salzstöcke bekannt, doch das ziemlich sichere Auftreten von Ölrückständen in der Salzlösung würde bei einer Verwiklichung dieses Ansatzes ein energieaufwendiges Zurückpumpen der Salzlösung in die Salzhöhle erforderlich machen.

Eine ‚membranlose’ Methode steht allerdings auch zur Verfügung, bei welcher der unterschiedliche Dampfdruck von Süß- und Salzwasser genutzt wird. Bei gleicher Temperatur verdampft mehr Wasser aus einem Behälter mit Süßwasser als aus einem mit Salzwasser. Durch den geringeren Dampfdruck über dem Salzwasser bewegt sich der Wasserdampf vom Süß- zum Salzwasserbehälter. Wird hier eine Turbine zwischengeschaltet, kann damit Energie erzeugt werden. Dabei wirkt die Oberfläche des Wassers selber quasi als Membran. Allerdings werden bei dieser Umsetzung nur geringe Druckunterschiede erreicht, so daß hier sehr große Turbinen benötigt werden. Die außerdem notwendigen Wärmetauscher sind aber immer noch billiger als die Membranen.

Die technische Realisierung von Osmose- oder Salzkraftwerken hängt daher zumeist von den speziellen Membranen ab, welche die Salze effizient und möglichst vollständig zurückhalten - für Wasser aber gleichzeitig gut durchlässig sind. Wegen des Mangels an geeigneten Membranen kann das Prinzip in den 1970er Jahren noch nicht realisiert werden, als sich der israelische Wissenschaftler Sidney Loeb damit beschäftigt. Seit Mitte der 1990er Jahre gibt es jedoch verschiedene neue Ansätze, um aus Polymeren geeignete Membranen zu entwickeln und herzustellen.

Kommen wir nun zur Chronologie der Entwicklung und Umsetzung:

Wader Tower Grafik

Wader Tower
(Grafik)

1999 wird in Laguna Beach, Kalifornien, von den Erfindern Warren Finley und Edward Pscheidt die Firma Wader LLC gegründet, die sich mit der Energiegewinnung aus dem Vermischen von Süß- und Salzwasser beschäftigt, ohne daß dabei Membranen zum Einsatz kommen. Das Unternehmen versucht seinen patentierten Hydrocratic Generator zu vermarkten, der auch unter dem Namen Wader Tower bekannt wird. Die Patente datieren von 2001, 2006 und 2008.

Im Mai 2004 werden an Bord der Forschungsplattform FLIP vor San Diego Experimente mit verschieden langen Rohren und unterschiedlichen Durchmessern durchgeführt. Diese über 100 m lange Plattform gehört der US-Navy und wird vom Marine Physical Laboratory des Scripps Institution of Oceanography betrieben. In einem Video wird außerdem ein Laborversuch vorgeführt, bei dem das Süßwasser aus einem höheren Reservoir in eine senkrechte Auftriebsröhre geleitet wird, die sich komplett in einem Becken mit Salzwasser befindet. Das aufsteigende Süßwasser dreht eine kleine Turbine, die sich innerhalb der Röhre befindet. 2010 sucht das Unternehmen allerdings noch immer nach einer Finanzierung für den Bau einer Demonstrationsanlage.

Von einem ähnlichen System wurde schon einmal unter dem Namen SHEOPP Converter berichtet (Submarine hydro-electro-osmotic power plant). Dieses System scheint auf den Italiener M. Reali aus Milano im Jahr 1980 zurückzugehen.

2001 startet der in Regierungsbesitz befindliche norwegische Energiekonzern Statkraft Energi, Oslo, der sich seit 1997 mit der PRO-Technologie beschäftigt (Pressure Retarded Osmosis), gemeinsam mit Wissenschaftlern des GKSS-Forschungszentrums in Geesthacht bei Hamburg, des portugiesischen Instituto de Ciencia e Tecnologia de Polimeros, des norwegischen Institute of Technology (SINTEF) sowie der Technischen Universität Helsinki ein von der EU gefördertes Gemeinschaftsprojekt zur Entwicklung eines Osmose-Kraftwerks. Man untersucht zuerst einmal mehr als 50 verschiedene Membranentypen, bis zwei davon übrig bleiben, die sich bereits seit Jahren in Osmoseanlagen zur Meerwasserentsalzung bewährt haben: Cellulose-Acetat, das auch zu Kunstseide verarbeitet wird, sowie die sogenannten Dünnfilm-Composite (TFC), die aus einem hauchdünnen Polyamidfilm und einem Trägermaterial zur Stabilisierung bestehen (Polyamide sind unter Handelsnamen wie Nylon oder Perlon bekannt).

2004 übernehmen der Norwegische Staat und Statkraft die weitere Finanzierung der Versuchsanlage in der Sintef-Zentrale in Trondheim sowie der geplanten zwei Salinity Power Pilotanlagen.

Osmose-Kraftwerk Grafik

Osmose-Kraftwerk (Grafik)

Die kritische Größe bei der Umsetzung dieser Technologie ist die Leistung, die mit einem Quadratmeter Membranfläche erzeugt werden kann. Während die Kunststoff-Membran aus Geesthacht am Anfang lediglich eine Leistung unterhalb 0,1 Watt pro Quadratmeter liefern kann, erreichen die Wissenschaftler drei Jahre später schon knapp 2 W/m2. Die Zielvorgabe lautet allerdings, die Leistung auf 5 W/m2 zu steigern, denn erst dann arbeitet die Membrane auch wirtschaftlich.

Die Europäische Kommission und der Statkraft-Konzern (der in Norwegen derzeit 133 Wasserkraftwerke betreibt, zu denen nochmals 19 in Schweden und vier in Finnland dazukommen) beziffern das Potential in Europa mit 200 Terawattstunden pro Jahr, was etwa dem doppelten Verbrauch an Elektrizität eines Landes wie Norwegen entspricht. Allein der Rhein könnte an seiner Meeresmündung in den Niederlanden 3 GW Energie erzeugen.

An den zahlreich vorhandenen norwegischen Flußmündungen könnten insgesamt bis zu zwölf Milliarden kW/h pro Jahr erzeugt werden – was etwa 10 % des jährlichen Bedarfs entspräche. Für den gesamten europäischen Raum kommt man auf eine mögliche Energieproduktion von 200 Milliarden kW/h pro Jahr.

Die größte Herausforderung besteht allerdings noch immer darin Membranen zu finden, die effizient, robust und doch kostengünstig sind. Die Wissenschaftler rechnen Mitte der Dekade mit mindestens weiteren fünf Jahren Forschungsaufwand für die Entwicklung von Membranen, die auch kommerziell eingesetzt werden können.

Im Oktober 2007 verbreitet sich eine Meldung rasant durch so gut wie alle Medien: Der norwegische Statkraft-Konzern wird in der Gemeinde Hurum, an einer Flußmündung im südlichen Ausläufer des Oslofjordes, den Prototypen eines Osmose-Kraftwerks mit einer Leistung von 2 – 4 kW errichten. Bis zu diesem Zeitpunkt hat das Unternehmen bereits zehn Jahre Forschung und Entwicklung in die Technologie investiert. Die Kosten für das anstehende Projekt werden zu diesem Zeitpunkt mit rund 13 Mio. € veranschlagt.

In der Presse wird die bescheidene Anlage als weltweite Pioniertat von großer Wichtigkeit dargestellt. Entweder hat Statkraft eine überaus effiziente Presseabteilung - oder die bemerkenswert breite Veröffentlichung dieser Nachricht ist ein Indiz für das große Bedürfnis nach neuen Vorschlägen und Lösungen für die Energiefrage...

Baubeginn ist im Sommer 2008, und im November 2009 nimmt die Prototyp-Anlage in der ehemaligen Södra-Zellulosefabrik in Tofte, 96 km südwestlich von Oslo, ihren Betrieb auf. Sie wird von der norwegischen Prinzessin Mette-Marit persönlich eröffnet. Aktuellen Aussagen zufolge hat die Anlage 5 Mio. $ gekostet, und generiert nun zwischen 1,5 kW und 2 kW Strom.

Statkraft Anlage Innenansicht

Statkraft Anlage

Die eingesetzten Membranen des Instituts für Polymerforschung GKSS erbringen pro Quadratmeter eine elektrische Leistung von 3 W. Sie sind 0,1 Mikrometer dünn und bestehen aus mehreren Schichten auf einem stabilisierenden Trägergewebe. Die Testanlage wird zunächst mit 12 Bar arbeiten, was einem Wasserfall von 120 m Höhe entspricht.

Nach 2020 sieht Statkraft bereits Dutzende von Großanlagen in Betrieb, die zusammen 12 TWh, oder rund 10 % des Norwegischen Bedarfs decken.

Mit einer Startkapital-Finanzierung durch die Syddansk Teknologisk Innovation A/S wird 2005 die Firma dänische Aquaporin mit Stammsitz in Lyngby, nördlich von Kopenhagen, gegründet, deren Ziel es ist, die Filterung und Entsalzung von Wasser durch den Einsatz industrieller, biotechnologischer Methoden zu revolutionieren. Kerngeschäft ist die Entwicklung der Aquaporin Membran-Technologie, die ab 2011 vermarktet und lizenziert werden soll.

Wenn man weiß, daß Aquaporine (AQP) Proteine sind, die Kanäle in der Zellmembran bilden, um den Durchtritt von Wasser und einigen weiteren Molekülen zu erleichtern, versteht man auch die Wahl des Firmennamens.

Im April 2007 erhält das Unternehmen 37 Mio. DK Investitionskapital, außerdem startet ein dreijähriges EU-Entwicklungsprojekt, das Aquaporin gemeinsam mit europäischen Industrie- und Forschungspartnern durchführt.

2008 befindet sich die Entwicklung der artifiziellen Proteine, die von der Partnerfirma Novozymes durchgeführt wird, noch in einem frühen Versuchsstadium, während Aquaporin an den Gittern und Membranen selbst arbeitet. Allerdings besteht inzwischen auch eine Zusammenarbeit mit dem französischen Wasserkonzern Veolia im Bereich der Entsalzung. Mittelfristig soll die Technologie dann im Bereich der osmotischen Energieerzeugung eingesetzt werden (siehe EP Nr. EP1937395 von 2008).

2010 befindet sich Aquaporin im Besitz der M. Goldschmidt Holding A/S Gruppe, weitere Teilhaber sind die Morten Østergaard Jensen Holding ApS und die Artefakt Holding ApS. In diesem Jahr erfolgt auch die Erteilung des zweiten EU- und des ersten US-Patents.

Bereits im März 2007 baut das holländische Energieforschungs-Zentrum KEMA, das sich seit 2002 mit der Salinitätsenergie beschäftigt, zusammen mit der ebenfalls holländischen Firma VolkerWessels (VWS) an einem 250 kW Prototyp, der nach dem Prinzip der sogenannten reversen Elektrodialyse (Reverse Electrodialysies, RED) funktioniert.

Bei dem Projekt geht man von der Zielvorstellung aus, in Zukunft aus einzelnen 250 kW Modulen, von denen jedes die Größe eines Seecontainers hat, eine 200 MW Anlage zusammenzustellen. Man errechnet, daß ein Einsatz dieser Technologie an allen Flußmündungen des Landes eine Gesamtleistung von 3.300 MW erbringen würde.

Im März 2009 wird in Holland vorgeschlagen, den 75 Jahre alten Afsluitdijk Deich bis 2020 zu einer Salzwasser-Energie-Anlage umzubauen, die 200 - 300 MW Elektrizität erzeugen soll. Am holländischen Forschungsinstitut für Hydrotechnologie Wetsus in Harlingen dreht sich zu diesem Zeitpunkt in einer Laboranlage bereits ein kleiner Rotor. Beteiligt an der Entwicklung sind auch Forscher des internationalen Beratungsunternehmen KEMA, die für das Blue Energy getaufte System einen Innovationspreis einheimsen.

Im November 2009 erhält Jan Post von der Wageningen University für seine entsprechende Doktorarbeit eine Auszeichnung (‚Blue Energy: electricity production from salinity gradients by reverse electrodialysis’), und eine weitere Dissertation von Piotr Dlogolecki an der Universität Twente trägt den Titel ‚Mass Transport in Reverse Electrodialysis for Sustainable Energy Generation’.

Weiterhin mit involviert ist auch die bereits 2005 gegründete Firma REDstack B.V., ein Spin-Off von Wetsus. Das Unternehmen verkündet auf seiner Homepage, daß – zumindest theoretisch – aus einem Volumen von 1 m3/s Süßwasser und der gleichen Menge Meerwasser 1 MW Strom erzeugt werden kann. Im selben Jahr vereinbaren die European Salt company (ESCO-salt), Wetsus, die Harlingen Industries und die Firma Magneto Special Anodes in Schiedam, eine 5 kW Blue Energy Versuchsanlage in Frisia/Harlingen zu errichten. Diese Anlage wird ab Juni 2008 von REDstack betrieben.

REDstack Module

REDstack Module

Im Juli 2010 erhält das Unternehmen die Genehmigung für den Bau eines 50 kW Demonstrationskraftwerks bei Breezanddijk im 20 km langen Afsluitdijk Deich, der die salzige Nordsee von dem weniger salzigen IJsselmeer trennt. Die Finanzierung des 3,5 Mio. € teuren Projekts ist bislang aber noch nicht gesichert. Im Oktober 2010 starten zwei von der EU bezuschußte Forschungsprojekte, bei denen auch REDstack mitmacht. Nähere Details sind bislang noch nicht verfügbar.

Für die Zukunft wird von einer kommerziellen Anlage mit einer Leistung von 25 MW und 5 Mio.m2 Membranfläche gesprochen, die möglicherweise um 2015 gebaut werden könne. Sie würde die Ausmaße eines Fußballstadions haben.

Mitte 2009 wird eine weitere Technologie bekannt, die von dem Physiker Doriano Brogioli an der Universität Milano-Bicocca in Monza entwickelt wird. Seine Prototyp-Zelle basiert auf zwei Stückchen Aktivkohle, einem porösen Kohlenstoff, der im allgemeinen zur Filterung von Wasser und Luft eingesetzt wird. Yury Gogotsi, Direktor des A. J. Drexel Nanotechnology Institute an der Drexel University in Philadelphia bezeichnet die Technologie als Reverse Capacitance Desalination.

Der elektrische Doppelschicht-Kondensator (Electronic Double Layer, EDL) besteht aus zwei porösen Kohlenstoff-Elektroden, die in Salzwasser getaucht werden. Die Elektroden werden an eine Stromversorgung angeschlossen, so daß eine negativ und die andere positiv aufgeladen wird. Da Salzwasser aus positiv geladenen Natrium-Ionen und negativ geladenen Chlorid-Ionen besteht, zieht die positive Elektrode die Chlorid-Ionen und die negative Elektrode die Natrium-Ionen an. Mit Hilfe der elektrostatischen Kraft, welche die entgegengesetzt geladenen Ionen in der Nähe ihrer jeweiligen Elektroden hält, kann der EDL-Kondensator eine Ladung speichern. Um diese abzunehmen, wird frisches Wasser in das Gerät gepumpt, wodurch die Natrium- und Chlorid-Ionen gegen die elektrostatische Kraft von den Elektroden wegdiffundieren.

Das System wandelt im Grunde die mechanische Arbeit des Mischens von Salz- und Süßwasser in elektrostatische Energie um, die dann als nutzbare Energie gewonnen werden kann. Eine typische Zelle erfordert Brogioli zufolge Aktivkohle im Wert von etwa drei Dollar, und bei einem ausreichenden Wasserstrom soll damit der Bedarf eines kleinen Hauses gedeckt werden können.

Auch das Almaden Research Center der Firma IBM beschäftigt sich Mitte 2009 mit dem osmotischen Druck zwischen Süß- und Salzwasser und bereitet eine entsprechende Studie vor. Das Unternehmen beschäftigt sich schon seit einer Zeit mit der Entwicklung von RO-Membranen zur Meerwasserentsalzung und arbeitet dabei mit der japanischen Werkstoff-Firma Central Glass, der University of Texas in Austin sowie dem Forschungszentrum der King Abdul Aziz City for Science and Technology in Saudi-Arabien zusammen.

Im Gegensatz zu den beschriebenen Ansätzen, bei denen der osmotische Druck durch die Zuführung von Süßwasser zum Salzwasser erzeugt wird, versuchen die Forscher bei IBM diesen Druck durch die Zuführung von sauberem (oder weitgehend sauberem) Wasser zu dem extrem salzigen Abwasser von Entsalzungsanlagen zu erreichen.

Oasys Water Inc. (Osmotic Application Systems) in Cambridge, MA, ein Spin-Off der Yale University, erhält im Februar 2009 Investitionsmittel in Höhe von 10 Mio. $, um eine patentierte Technologie namens Engineered Osmosis (EO) zu entwickeln, welche die Kosten der Meerwasser-Entsalzung halbieren soll. Zu den Investoren gehören die Advanced Technology Ventures, Draper Fisher Jurvetson und Flagship Ventures.

Bei der von Robert McGinnis erfundenen Technologie wird die Abwärme von Kraftwerken genutzt, um den osmotischen Druck beträchtlich zu steigern. Anstatt der Aufteilung in Salzwasser und Süßwasser, teilt Oasys Salzwasser und sehr salziges Wasser. Dieses besteht aus Wasser, das mit einer besonderen Art Salz gemischt wird, das thermolytisches Salz genannt wird – im vorliegenden Fall besteht dieses aus Ammoniak und Kohlendioxid. Bei Erhitzen verwandeln sich diese Salze zu Gas.

Diese extrem salzige Lösung preßt frisches Wasser aus industriellen Abwässern oder Meerwasser durch die Membran, wobei Salzlake zurückbleibt. Anschließend wird das thermolytische Gemisch geringfügig erhitzt, wodurch das Ammoniak und das Kohlendioxid ausgasen und Süßwasser zurücklassen. Um den Vorgang zu wiederholen werden das Ammoniak und das Kohlendioxid wieder zusammengebracht. Die benötigt Wärme ist mit rund 20°C relativ klein, so daß die Abwärme eines Kraftwerks oder einer Fabrik ausreichen.

Da außerdem nur eine geringe Menge Strom zum Pumpen des Wassers erforderlich ist (im Gegensatz zur Umkehrosmose mit ihrem erforderlichen sehr hohen Druck) erklärt Oasys, daß man frisches Wasser zu einem Zehntel der Kosten von heutigen Umkehrosmoseanlagen produzieren kann. Bis Dezember 2009 wird eine winzige Pilotanlage errichtet, der im Herbst 2010 eine größere Demonstrationsanlage folgen soll. Anschließend will man das Thema Energie angehen.

Das Unternehmen geht davon aus, daß sich sein System auch als günstiges, in großem Stil einsetzbares Speichergerät für Strom verwenden läßt. Im Gegensatz zu einer Leistung von 3 W/m2 bei den bisherigen Membranen rechnet Oasys damit, durch den hohen osmotischen Druck des Ammoniak-Kohlensäure-Salzes bis auf eine Leistung von 200 W/m2 zu kommen.

Eine derartige große Batterie würde aus zwei riesigen Auffangbehältern bestehen, einer für Salzwasser und einer für Süßwasser, die neben einem Kraftwerk errichtet werden. Die Abwärme der Anlage wird regulär genutzt um das Wasser zu entsalzen. Als alternative Wärmequellen werden auch die Geothermie und die Solarenergie genannt. Sobald während Bedarfsspitzen mehr Leistung benötigt wird, werden Salzwasser und Süßwasser zur Stromerzeugung genutzt, mit einem Wirkungsgrad zwischen 50 % und 80 %.

Um die Technologie bis zur Produktreife zu entwickeln sind dem Unternehmen zufolge zusätzlich bis zu 50 Mio. $ erforderlich.

Am Lehrstuhl für Energiesysteme und Energiewirtschaft der Ruhr-Universität Bochum untersucht Mitte 2010 Dipl.-Ing. Peter Stenzel die Kriterien, mit denen geeignete Standorte für Osmosekraftwerke identifiziert werden können. Neben den technischen und wirtschaftlichen Aspekten werden erstmals auch ökologische Überlegungen mit einbezogen. So muß der Fluß eine gewisse Wasserentnahme vertragen, wobei ein Mindestpegel nicht unterschritten werden sollte, um nicht Pflanzen und Tiere zu gefährden. Bei den weltweit analysierten Flußmündungen erweisen sich besonders Standorte an den Mittelmeerküsten, in Skandinavien und Amerika als chancenträchtig. Das Potential in Deutschland ist eher gering.

Ebenfalls Mitte 2010 veröffentlicht die Cleantech-Beratungsfirma Kachan & Co. aus San Francisco einen 17-seitigen Bericht (für 395 $!), in dem konstatiert wird, daß das Potential der osmotischen Energie groß genug sei, um damit bis zum Jahr 2030 etwa 50% der europäischen Strombedarfs decken zu können.

Grenzen der Nutzung


Insgesamt gesehen ist die Nutzung der Meeressalinität noch immer mit äußerst hohen Anlagenkosten verknüpft, die notwendigen semipermeablen Membranen sind sehr teuer und die Technik insgesamt noch wenig entwickelt. Die gegenwärtig existierenden Membranen kosten rund 30 € pro Quadratmeter (Stand 2010).

Einsprüche seitens Umweltschützern bezüglich dieser Projekte sind noch nicht vorgebracht worden – anzunehmen, es gäbe deshalb keine Auswirkungen, wäre jedoch etwas kurzsichtig.

Hydrosphärengenerator


Die Sea Solar Power International in Baltimore, Maryland, ein Unternehmen der Abell Foundation, analysiert Anfang 2006 das US-Patent von Richard M. Dickson aus Portland, Oregon, dessen Vorschlag auf der Nutzung des Druckunterschieds zwischen Oberflächenwasser und Wasser in großen Tiefen beruht, was Leistungen bis zu 500 MW möglich machen soll. Sowohl die Howaldtswerke-Deutsche Werft AG (HDW) in Kiel, als auch die Florida Hydro Inc. in Palatka, Florida, hätten das System bereits bewertet, Details darüber sind bislang jedoch noch nicht veröffentlicht worden.

Die Animation auf Dicksons Homepage zeigt eine unterseeische Konstruktion von 15 m Durchmesser in 100 m Tiefe, in der sich zyklisch eine Art Kolben bewegt, wobei sich – allerdings langsamer – auch die Meeresoberfläche zyklisch hebt und senkt.

SHPS Funktion Grafik

SHPS Funktion

Die Idee dazu kommt Dickson im Jahr 2001, als er in einem Buch über die Tauchfahrten von Dr. William Beebe aus den 1930er Jahren liest, wie ein in rund 450 m Tiefe mit Wasser befülltes Gerät, das anschließend an die Oberfläche geholt wurde, den Überdruck in seinem Innern mit einer unglaublichen Gewalt entließ. Ein Patentantrag für das Submersible Hydroelectric Propulsion System (SHPS) von Ende 2006 wird zurückgewiesen.

Laut Sterling D. Allan von peswiki.com (im November 2006) handelt es sich um ein System, das keine eindeutige Input-Energie aufweist. Er rechnet daher nicht damit, daß es funktionieren könnte. Der Kontakt zur HDW hatte auch nichts mit einer ‚Bewertung’ zu tun sondern beschränkte sich auf eine höfliche Ablehnung.

Im Februar 2008 erhält Dickson für sein Hydrosphären-Konzept, das er bei Interviews gerne auch Air Water Gravity Generator (AWGG) oder Ocean Pressure Electric Conversion (OPEC) System bezeichnet, eine Ehrenurkunde des History Channel und des Modern Marvels Invent Now Challenge 2007. Beim Update dieses Kapitels Ende 2010 ist seine Seite jedoch nicht mehr Online.

Die latente hydrostatische Energie (sprich: der Wasserdruck) soll auch der Grund für die Funktion der Spiteri Wasserpumpe des maltesischen Erfinders Joe Spiteri-Sargent sein, für die er 2007 den Energy Globe Award des Europäischen Parlaments bekommt – obwohl eine Patentierung des Systems in England zweimal abgelehnt wird. Eine Patentierung 2006 in Malta scheint dagegen akzeptiert worden zu sein.

Die Maschine arbeitet unterhalb einer Wasseroberfläche und setzt über einen rhythmischen Kippvorgang die hydrostatische Energie eines Gewässers unter Ausnutzung des Auftriebs und der Gravitation dergestalt um, daß Wasser hochgepumpt werden kann und letztlich ein künstlicher Wasserfall entsteht, dessen Energie über eine Turbine Strom erzeugt.

Spiteri-System Grafik

Spiteri-System (Grafik)

Spiteri erlangt die Inspiration zu seiner Maschine 1989 in Kanada, wo er seit langem lebt, und schuldet diese dem ehemaligen Ministerpräsidenten Dom Mintoff, der 1980 sagte: „Wenn Malta nur so etwas wie ein Wasserfall hätte, dann wäre unser Strom viel billiger.“ Ab 1991 beginnt Spiteri gemeinsam mit dem Wasserbauingenieur Marco Cremona mit der Entwicklung von Prototypen und der Durchführung praktischer Versuche in einem 4 m hohen Wassertank in Luqa.

In seine Firma Sargent Enterprises Ltd. (SEL) investieren 22 Familienmitglieder und Freunde, was die Entwicklung und den Prototypenbau überhaupt erst möglich macht. Auf dem Foto ist ein Modell der 1. Generation zu sehen. Mittelfristig denkt der Erfinder an Stationen mit mehreren Einzelpumpen, die bis zu 250 kW produzieren.

Ein möglicherweise ähnliches System hat der Zeitungsverleger Ruben Pesebre erfunden. Gemeinsam mit seinem Partner Nemesio ,Boyet’ Antonio Jr. läßt er 2005 auf den Philippinen einen Underwater Pressure Energy Converter (UPEC) patentieren, über den ich bislang jedoch keine näheren Details in Erfahrung bringen konnte.

Hygrogenerator


Brasilianische Forscher der Universität Campinas stellen auf dem Treffen der American Chemical Society in Boston im August 2010 das Konzept für ein System vor, bei dem Panels auf Hausdächern elektrischen Strom aus jener Energie der Atmosphäre erzeugen, die sich sonst in Blitzen entladen würde.

Bei hoher Luftfeuchte laden sich Aluminium-Partikel positiv, Silizium-Partikel hingegen negativ auf. Den Wissenschaftlern zufolge beweist dies, daß Wasser in der Atmosphäre elektrische Ladung sammelt, umformt und an andere Materialien übertragen kann. Die entstehende Ladung wird Hygroelektrizität genannt, wobei Hygro für Feuchtigkeit steht.

Die Elektrizität aus der Atmosphäre ist daher besonders für die Tropen mit ihren vielen Gewittern eine Perspektive. Die Brasilianer testen derzeit, welche Metalle sich für Panels am ehesten eignen.

 

Diese neue Technologie bildet auch den passenden Übergang zum Wasserdampf – dem Motor der ersten Industriellen Revolution. Als einer der Aggregatzustände des Wassers ist er auch wichtig genug, um hier etwas näher betrachtet zu werden.


Weiter...