allTEIL C

Anwendungen der Sonnenenergie


Die Möglichkeiten der Ausnutzung von Sonnenenergie beginnen mit der natürlichen Photosynthese, welche die grundlegende chemische Reaktion für das Leben auf unserem Planeten bildet – denn die Photosyntheseprodukte sind die Basis der Nahrungskette, an deren Ende der Mensch steht. Gleichsam als Nebenprodukt der Photosynthesereaktion entsteht der für alle Lebewesen wichtige Sauerstoff. Mit der Entdeckung 3,5 Mrd. Jahre alter Sauerstoff-Verwertender Cyano-Bakterien in alten Gesteinen Australiens durch die Universität von Kalifornien konnte inzwischen auch das ungefähre Alter der Photosynthese auf unserem Planeten festgestellt werden.

Im Folgenden werde ich die Anwendungsbereiche der Sonnenenergie mit der Darstellung der Photosynthese und ihrer technischen Umsetzung beginnen.

Photochemische Nutzung

Photosynthese


Beim Prozeß der natürlichen Photosynthese werden in grünen Pflanzen mit Hilfe von Chlorophyll als Katalysator auf sehr effektive Weise Kohlehydrate gebildet. Dabei wird das Kohlendioxyd aus der Luft mittels Lichtenergie in Zucker und Stärke umgewandelt. Diese Methode der Natur ist die bisher wirksamste Art der Sonnenenergie-Nutzung. Seit längerem wird an mehreren Forschungsinstituten versucht, diesen natürlichen Prozeß nachzuvollziehen, d.h. eine Technische Photosynthese in Gang zu setzen, auf die ich weiter unten noch ausführlich zu sprechen komme.

Die Wichtigkeit derartiger Forschungen erklärt sich, wenn man berücksichtigt, daß eine photochemische Energiespeicherung in stationären Elektronenzuständen der Materie um bis zu 100 Mal wirksamer ist als eine Speicherung in atomaren Schwingungen. Noch wichtiger ist allerdings, diesen Ladungszustand auch möglichst so lange zu erhalten, bis die Ladung wieder gebraucht wird. Deshalb müssen die erreichten höheren Zustände im Molekül (was durch die Aufladung mittels Lichtquanten erfolgt) auch an ein lagerfähiges Produkt angekoppelt werden, wobei hier als (molekulares) Beispiel die Substanz cis-Stilben genannt sei.

Geradezu phantastisch mutet die Effizienz des biologischen Prozesses der Lichtumwandlung an, denn praktisch jedes Lichtquant, das zum Reaktionszentrum gelangt, verursacht dort eine Ladungstrennung. Die Lichtausbeute beträgt somit nahezu 100 %. Allerdings geht bei der Ladungstrennung ein Großteil der Energie wieder verloren, so daß im Endeffekt etwa 40 % der Lichtenergie im Primärschritt der Photosynthese fixiert wird – ein trotzdem noch sehr beachtlicher Wirkungsgrad. Und trotz aller weiteren Verluste im Zuge der photosynthetischen Prozesse liegt der energetische Gesamtwirkungsgrad von Pflanzen zwischen 3 % und 4 %.

Die Photosynthese besteht aus mehreren hintereinandergeschalteten Teilschritten, an denen zahlreiche zelluläre Bestandteile mitarbeiten. Das zentrale Rädchen in diesem Gefüge – gleichsam der Motor der Photosynthese-Maschine – ist das Reaktionszentrum, in dem die Umwandlung von Lichtenergie in elektrochemische und schließlich in chemische Energie erfolgt. Dieses Reaktionszentrum ist aus etwa 1.200 Aminosäure-Bausteinen zusammengefügt. Das Prinzip dieses Prozesses wurde 1965 von dem Biologen Dr. Walter Stoeckenius an der New Yorker Rockefeller University entdeckt, jedoch erst in den letzten Jahren genauer untersucht. Es handelt sich hierbei um eine Bakterielle Photosynthese, bei der die Energiespeicherung durch einen elektrischen Potentialunterschied erreicht wird.

Purpurbakterien

Purpurbakterien

Die grünen Pflanzen verfügen im Unterschied zu den lichtnutzenden Bakterien über eine spezielle Erweiterung: Durch Anbauten an das Reaktionszentrum – dann Photosynthese II genannt – gelingt es ihnen, die aufgefangene Energie zur Wasserspaltung zu nutzen, wobei biologisch gebundener Wasserstoff und Sauerstoff entsteht. Der Grund, weshalb Photosynthese-Forscher zumeist Bakterien und nicht grüne Pflanzen untersuchen, liegt also darin, daß die bakterielle Lichtnutzung eine vereinfachte Form der pflanzlichen Photosynthese ist. Außerdem besitzt das Reaktionszentrum der Purpurbakterien Ähnlichkeiten mit dem Photosynthese-System II der Pflanzen (über diese Bakterien spreche ich im Kapitel Wasserstoff noch ausführlicher).

Wissenschaftler der University of California in San Francisco experimentieren zusammen mit Kollegen aus dem Ames-Forschungszentrum der NASA im kalifornischen Mountain View erfolgreich mit einem roten Farbstoff namens Bakteriorhodopsin (das in der Natur benutzte Chlorophyll reflektiert bekanntermaßen die grüne Farbe). Das Proteinmolekül, das in den Zellmembranen von in gesättigten Salzlösungen lebenden Bakterien gefunden wird (Halobakterium Halobium), stellt praktisch eine lichtbetriebene Protonen-Pumpe dar. Da Protonen elektrisch geladen sind (in diesem Fall sind es Wasserstoff-Ionen), wird in diesem Vorgang Sonnenlicht in elektrische Energie umgewandelt.

Diese Salzbakterien leben mit Vorliebe im Wasser des Toten Meeres, und die rund 100.000 spiralfederförmigen, rotfarbenen und eiweißhaltigen Pigmente pro Bakterie lösen bei Lichtsättigung pro Molekül und Sekunde 100 – 250 Protonen aus dem Bakterienkern heraus. Der entstehende Spannungsunterschied zwischen positiv geladener Außenseite und negativ geladenem Zellinnern beträgt knapp 0,3 V. Der Chemie-Nobelpreisträger Peter Mitchell bezeichnet dieses elektrochemische Potential als Protomotische Kraft, oder analog zu dem Begriff Elektrizität als Protizität (engl. proticity).

Das Pigment nutzt diese Kraft zur Herstellung von energiespeicherndem Adenosintriphosphat (ATP), womit das Prinzip ggf. auch zur Energiespeicherung genutzt werden könnte – neben einer weiteren möglichen Anwendung zur Meerwasserentsalzung. Das ADP-ATP-System ist sozusagen die Energiezentrale aller Lebensvorgänge. Beim Übergang von ADP (Ade­nosindiphosphat) in ATP (Adenosintriphosphat) werden Energien in Größenordnungen normaler chemischer Reaktionen umgesetzt.

Interessant an diesem Prinzip ist, daß es – im Gegensatz zur natürlichen Photosynthese oder auch zur Atmung – direkt und ohne Redoxvorgänge abläuft. Am Mikrobiologischen Institut der Universität Moskau konnte inzwischen die Aminosäuresequenz des Eiweißbestandteils bestimmt werden, so daß die Struktur des Bakteriorhodopsin weitgehend aufgeklärt ist.

Am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München beschäftigt sich Prof. Dieter Oesterhelt mit den molekularen Grundlagen dieses Vorgangs, nachdem er bereits 1969 im Institut von Stoeckenius damit begonnen hatte, die Pigmente des Holobakteriums Halobium aus der Zellmembran zu lösen. Dabei stößt er auf einen weiteren, diesmal gelben Farbstoff, der dem Sehpigment Retinol im Auge von Mensch und Tier eng verwandt ist, und der die Rolle eines Schalters spielt, welcher durch Licht betätigt wird.

Im natürlichen Bakteriorhodopsin setzt bei Belichtung in wenigen Billionstel Sekunden der nach außen gerichtete Transport der Protonen ein (ein Lichtstrahl legt in dieser Zeit nur einige Millimeter zurück). Es gelingt dem Team um Oesterhelt, einen Teil der bakteriellen Photosynthese im Reagenzglas nachzubauen. In die Wandung eines künstlichen Fettbläschens (Liposom) eingebaut, funktionieren die Eiweißbausteine wie in einer lebenden Zelle: Sobald Licht auf die Konstruktion fällt, springt der Elektronenkreislauf an, und Protonen (Wasserstoff-Ionen H+) werden durch die künstliche Membran gepumpt. Am Eiweißbaustein ATPase wird aus Adenosindiphosphat (ADP) und Phosphat (P) das energiereiche Adenosintriphosphat (ATP) hergestellt – und damit die Lichtenergie in Form von chemischer Energie gebunden.

Nichts Geringeres als den Chemie-Nobelpreis 1988 erhalten dann die drei Institutswissenschaftler Johannes Deisenhofer, Robert Huber und Hartmut Michel, und zwar für ihre jahrelange Arbeit, die Raumstruktur der Molekülkomplexe aus dem Purpurbakterium Rhodopseudomonas virides vollständig aufzuklären. Das im Rahmen des Sonderforschungsbereiches 143 der Deutschen Forschungsgemeinschaft (‚Primärprozesse der bakteriellen Photosynthese’) computergenerierte dreidimensionale Bild des Moleküls samt seiner Untereinheiten zeigt den biologischen Energiewandler von Licht in chemische Energie. Anhand der Molekülmodelle läßt sich auch zeigen, wie die Lichtstrahlen von Farbstoffmolekülen gesammelt und zum photosynthetischen Reaktionszentrum weitergeleitet werden – ein Vorgang von 50.000 Reflexen mit etwa 10.000 Atomen, der in wenigen Billionstel Sekunden und nahezu ohne Energieverlust abläuft. Laut Huber würden diese biologischen Photozellen wie Elektronenpumpen arbeiten.

Neben Oesterhelt beschäftigen sich auch Forscher mehrerer anderer Länder mit der weiteren Aufklärung der retinalähnlichen Eiweißverbindung. So wird von Y. Mukohata das Halorhodopsin entdeckt, und R. MacDonald und J. Lanyi weisen nach, daß dieses ausschließlich Natriumionen nach außen pumpt. Als Folge dringen daher vermehrt Protonen in die Zelle ein und bilden dabei das ATP.

Auch in Israel und in Ungarn wird an einer technischen Anwendung gearbeitet. Allerdings erweist sich die Herstellung großer und lückenlos mit Purpurmenbranen beschichteter Flächen als äußerst kompliziert und aufwendig, so daß eine praktische Nutzung vorerst nicht in Sicht ist (Stand 1985).

Etwa um diese Zeit entwickeln die amerikanischen NASA-Forscher Prof. Bailey und Dr. Callahan eine neue Theorie zur Fähigkeit von Insekten, Sonnenenergie umzuwandeln. Sie nennen den Prozeß EWEC (Electromagnetic Wave Energy Conversion), da sie feststellten, daß die elektromagnetische Strahlung nach dem Empfang in Form von Licht durch die Netzhaut in elektrische Impulse umgewandelt wird.

1987 stellt die Berliner Arbeitsgruppe Technische Photosynthese auf dem Weltkongreß zur Solartechnik in Hamburg ein mobiles bio-solares Kraftwerk mit großem Sonnenlicht-Konzentrator vor.

Anfang der 1990er Jahre werden die Experimente von Prof. Michael Grätzel bekannt, dessen Farbstoff-Solarzellen ebenfalls nach dem Vorbild der Pflanzenzellen aufgebaut sind. Auf diese höchst interessante Variante werde ich weiter unten noch näher eingehen.

Mit der Berechnung des ersten Energieübertragungsschrittes der Bakterienphotosynthese durch Reinhold Egger von der Universität Freiburg und dem Chemiker Chi Ho Mak von der University of Southern California wird 1994 ein weiterer Erfolg in Richtung auf eine biologische Solarzelle vermeldet.

1998 wird auf der ‚Konferenz über photochemische Energieumwandlung und Speicherung solarer Energie’ in Berlin, von John Turner, einem Forscher des National Renewable Energy Laboratory in Golden, Colorado, eine autarke, zweistufige Solarzelle nach dem Vorbild der Photosynthese vorgestellt, die mit einem Rekord-Wirkungsgrad von etwa 12 % mittels Sonnenlicht Wasser spaltet und Sauerstoff sowie Wasserstoff produziert (s.d.). Turners Blatt enthält allerdings teure und seltene Metalle. Außerdem funktioniert es nicht einmal einen Tag lang, bevor es schwächer und letztlich unbrauchbar wird.

Die Abteilung für solare Energietechnik am Berliner Hahn-Meitner-Insitut zeigt ihrerseits eine Nasse Solarzelle, bei der – in Anlehnung an die Grätzel-Zelle – die Halbleiterschicht herkömmlicher Zellen durch Wasser ersetzt wurde.

Nach der Jahrtausendwende nimmt das Engagement in diesem Bereich ein wenig zu – insbesondere in Richtung einer praktikablen technischen Umsetzung. Es dauert aber trotzdem noch ein paar Jahre, bis die hier schlummernden Potentiale auch zu kommerziellen Investitionen führen.

Chloroplasten

Chloroplasten

Amerikanischen Forschern am Massachusetts Institut of Technology (MIT) gelingt es im Juni 2004, aus den Chloroplasten (Blattgrünkörnern) des Spinats einen Proteinkomplex zu isolieren, der in einer Zelle die Aufgabe der Photosynthese übernimmt.

Daß die ersten Prozeßschritte der Photosynthese allerdings ganz anders ablaufen als bisher angenommen, veröffentlichen Biologen der Ruhr-Universität Bochum und des Max-Planck-Instituts für Bioorganische Chemie Mitte 2006. Dabei geht es um die Frage, in welcher Reihenfolge sich die ersten Prozesse der Photosynthese abspielen, die in Zeitbereichen von wenigen Picosekunden ablaufen (1 ps = 10-12 Sekunden).

Im Wesentlichen gewinnen die Forscher zwei zentrale Erkenntnisse, die den bisherigen Wissensstand radikal korrigieren: Der erste Reaktionsschritt wird von einem einzelnen Chlorophyll durchgeführt, das nach bisheriger Überzeugung gar nicht dafür eingeplant war. Und der Prozeß der Weiterleitung der Lichtanregung verläuft wesentlich rascher als der Prozeß der ersten ‚chemischen’ Reaktion, d.h. dem Aufbau eines elektrischen Gradienten über der Membran.

Die neuen Erkenntnisse liefern nun die molekulare Erklärung für die bisher nicht gut verstandene extrem hohe Oxidationskraft, die zur Spaltung von Wasser in Sauerstoff und Protonen erforderlich ist, also die zentrale Funktion für die Speicherung von Solarenergie in der Photosynthese. Davon werden nun Auswirkungen auf sogenannten biomimetischen Verfahren erwartet, mit denen die natürlichen Prozesse künstlich ‚nachgebaut’ werden sollen.

Fast zeitgleich informiert eine Forschergruppe der Universitäten Genf und Würzburg darüber, daß ihr erstmals gelungen ist, mehr als nur einzelne Schritte der Photosynthese nachzuahmen. Hierzu bauen und nutzen die Wissenschaftler supramolekulare Systeme, d.h.  Moleküle, die über eine relativ schwache Wechselwirkung (wie die Wasserstoffbrückenbindung) ein gemeinsames System mit durchaus neuen Eigenschaften bilden. Wählt man die beteiligten Moleküle richtig aus, vollzieht sich ein Selbstorganisationsprozeß, der äußere Eingriffe unnötig macht.

Derartige Molekül-Konstruktionen transportieren bei der Anregung durch Licht freigesetzte Ladungsträger so schnell in einen Elektronenspeicher, daß diesen keine Zeit zum Rekombinieren verbleibt. Im Speicher angekommen, sorgen die Elektronen dort für eine Anreicherung von Protonen. Um anschließend die Schleusen zu öffnen, läßt man ein spezielles Molekül an die Konstruktion andocken, das erstens die Photosynthese beendet und zweitens einen Abflußkanal für die Protonen öffnet. Das Problem besteht allerdings noch darin, daß sich der Kanal, durch den das gestaute Medium abfließt, bisher nicht wieder schließen läßt. Wenn also alle Protonen abgeflossen sind, wird der Speicher nicht mehr aufgefüllt.

Bereits im Oktober 2005 war der biomimetische Ansatz zur Synthese von artifiziellen lichtsammelnden Systemen durch Selbstassemblierung im Rahmen einer Doktorarbeit am Institut für Nanotechnologie des Forschungszentrums Karlsruhe verfolgt worden. Der wissenschaftliche Bericht FZKA 7174 beschreibt die Erforschung und Herstellung künstlicher photonischer Antennensysteme mit einem supramolekularen Ansatz, bei dem Selbstassemblierung und Selbstaggregation wichtigste Schritte darstellen. Der Prozeß ahmt das Antennensystem von grünen photosynthetischen Bakterien biomimetisch nach. Einige der vorgestellten supramolekularen Assemblate stellen vielversprechende Vertreter für künstliche lichtsammelnde Systeme dar, die auf eine Umsetzung in hybriden Solarzellen hoffen lassen.

Auch an der University of Sydney arbeitet eine Forschungsgruppe daran, die Effizienz lebendiger Blätter von bis zu 40 % nachzuahmen. Im September 2006 wird bekannt, daß einige der Schlüsselsysteme der Photosynthese nachgebaut werden konnten. Mit jeweils rund 100 der synthetischen Porphyrinen gelingt es, ringförmige Strukturen zu bilden, die das Licht ähnlich wie in der Natur einfangen. Ein Partnerteam an der Osaka University arbeitet daran, die neuen Moleküle zum Äquivalent einer Pflanzenzelle zu kombinieren. Innerhalb von fünf Jahren soll die Technologie marktreif sein. Es wird sogar darüber nachgedacht, mit diesen Substanzen neue Batterien zu entwickeln.

In Deutschland war bereits Anfang Juni 2005 in Lübeck die TriPorTech GmbH gegründet worden, deren Ziel die Herstellung, Erforschung und Vermarktung von Porphyrinen und porphyrinähnlichen Substanzen ist. Auch hier denkt man daran, diese Porphyrine unter anderem als Katalysatoren für Brennstoffzellen, als Chemikalien für die Wasseraufbereitung und zur Herstellung organischer Solarzellen zu nutzen.

Wissenschaftler des Max-Volmer-Laboratoriums für Biophysikalische Chemie der TU Berlin um Dr. Athina Zouni berichten im November 2006, daß sie zusammen mit Kollegen vom Lawrence Berkeley National Laboratory in Kalifornien sowie der FU Berlin und dem Max-Planck-Institut Mülheim der künstlichen Photosynthese einen entschiedenen Schritt näher gekommen sind, indem sie die Struktur des sogenannten Photosystems II bestimmen konnten, das mit Sonnenenergie Wasser spaltet.

Mit Hilfe von Röntgentechnologie und Computermodellen klärten sie die genaue geometrischen Anordnung jedes Moleküls auf, das den entscheidenden Schritt der Photosynthese bewerkstelligt, und das aus einem Kalzium- und vier Manganatomen besteht, die durch fünf Sauerstoffatome verbunden sind. Die Abbildung zeigt die Struktur des Photosystems II bei einer Auflösung von 3.0 Ångström, was ungefähr einer Breite von einem 10-millionstel Millimeter entspricht. An dieser Aufgabe hatten mehrere Gruppen, und an mindestens 18 verschiedenen Modellen, über Jahre hinweg gearbeitet.

Wie schon gesagt: Durch Photosynthese sind grüne Pflanzen und Cyanobakterien in der Lage, mittels ihrer molekularen Reaktionszentren Sonnenenergie mit sehr hoher Effizienz in chemische Energie umzuwandeln. Der Schlüssel hierfür liegt in der Geschwindigkeit, denn die Übertragung der Sonnenenergie findet fast augenblicklich statt, so daß nur wenig Energie als Wärme verloren geht. Wie die Photosynthese diesen fast momentanen Energie-Transfer schafft, ist allerdings ein seit langem bestehendes Geheimnis, das möglicherweise nun endlich gelüftet wurde:

Im April 2007 werden die Ergebnisse einer Studie der University of California in Berkeley und dem Lawrence Berkeley National Laboratory des US-Department of Energy veröffentlicht, der zufolge quantenmechanische Effekte der Grund für diese Effizienz sind. Die Wissenschaftler um Graham Fleming finden heraus, daß bei den Energie-Transfer-Prozessen der Photosynthese eine „bemerkenswert langlebige wellenförmige elektronische Quanten-Kohärenz“ eine wichtige Rolle spielt, die es dem System ermöglichen soll, stets die effizientesten Energiepfade auszuwählen, um so zu einer fast 100%-igen Effizienz zu gelangen. Der Nachweis dieser quantenmechanische Effekte erfolgt zwei Jahre später (s.u.).

Ein internationales Team von Wissenschaftlern um Donald Bryant von der Penn State University gelingt es einem Bericht im Mai 2009 zufolge, die Struktur des Chlorophyll-Moleküls in grünen Bakterien zu ermitteln, das für das Ernten der Lichtenergie verantwortlich ist. Grüne Bakterien sind eine Gruppe von Organismen, die in der Regel in extrem dunklen Umgebungen leben, wie z. B. in lichtarmen Regionen heißer Quellen und in Tiefen von 100 m im Schwarzen Meer. An dem Team sind Forscher vom Leiden Institute of Chemistry und dem Groningen Biomolecular Sciences and Biotechnology Institute in den Niederlanden, sowie Alfred R. Holzwarth und Michael Reus vom Max-Planck-Institut für bioanorganische Chemie in Mülheim a. d. Ruhr beteiligt. Gefördert werden die Arbeiten vom US Department of Energy.

Chlorosomen-Struktur Grafik

Chlorosomen-Struktur
(Grafik)

Es wird festgestellt, daß es die Ausrichtung der Chlorophyll-Moleküle ist, welche diese Bakterien dabei so effizient macht. Mit Hilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie und der Festkörper-Kernspin-Spektroskopie aufgenommene Bilder zeigen, daß die Chlorophyll-Moleküle grünen Schwefelbakteriums Chlorobaculum tepidum die Form von Nanoröhrchen haben. Sie ähneln dabei russischen Puppen: mehrere konzentrische Röhrchen mit unterschiedlichem Durchmesser stecken nämlich wie in einem Teleskopstab ineinander. Außerdem wird festgestellt, daß die Chlorophyll-Moleküle in grünen Bakterien in der Form gewendelter Spiralen angeordnet sind. Die einfachen Chlorophyll-Helices sind wiederum zu einer Helix aufgewickelt und bilden so eine Röhre. Die Ergebnisse des Forschungsteams sollen dabei helfen, künstliche Photosynthese-Systeme zu bauen.

Ende 2009 gelingt es Wissenschaftlern um Greg Scholes von der University of Toronto, bei einer Algenart quantenmechanische Effekte nachzuweisen. Das ist etwas überraschend, denn bisher war man der Meinung, daß derartige Effekte nur bei sehr niedrigen Temperaturen auftreten, während sich die neuen Ergebnisse jedoch ausdrücklich auf die Raumtemperatur beziehen. Bei dem Versuch werden die Lichtsammelkomplexe der Algen mit sehr kurzen Laserpulsen von nur 25 Femtosekunden Dauer angeregt. Das Ergebnis ist ein kohärentes Wellenpaket, das sich oszillierend in dem System bewegt und mit 400 Femtosekunden eine beachtlich lange Lebenszeit aufweist.

Die Kohärenz ist deshalb so wichtig, weil sie der Photonenenergie ermöglicht auf dem kürzesten Weg durch eine Blattoberfläche zu dringen, indem sie zuerst alle möglichen Wege gleichzeitig nimmt, um dann den besten auszuwählen und ausschließlich zu nutzen. Die Effizienz des daraus resultierenden Energie-Transfers ist nahezu perfekt.

Dies berichten im Juli 2010 Physiker der University of Chicago um Greg Engels, die diese Kohärenz bei einem FMO Proteinkomplex beschreiben. Dieses wilde und komplizierte Gewirr von Molekülen leitet die Energie aus Photonen-sensitiven ‚Antennen-Proteinen’ ​​an der Oberfläche eines photosynthetischen Bakteriums zu inneren, ladungsumwandelnden Proteinen.

Um die Kohärenz zu messen, werden die Antennen mit kurzen Laserpulsen beschossen, während mit einem anderen Laserstrahl, der durch den FMO-Komplex gerichtet ist, die Fluktuationen gemessen werden. Diese entsprechen der Energie, die von den Antennen aus durch die Moleküle des Komplexes geht. Die Wissenschaftler stellen fest, daß auch Moleküle, die entfernt voneinander sind, im Gleichtakt ‚zittern’, was nur durch Kohärenz möglich ist, bei der Energie in mehreren verknüpften Zuständen gleichzeitig existiert. Sobald die Energie aber die möglichen Routen durch den FMO-Komplex untersucht und den effizientesten gefunden hat, kollabiert sie zu einem einzelnen, eben diesen Zustand. Diese Ergebnisse bestätigen auch die o.g. Untersuchungen von Scholes in Toronto.

Da der FMO-Komplex als ein Modellsystem für die Photosynthese der Pflanzen gilt, lassen die Erkenntnisse des Engels-Teams erwarten, daß die Kohärenz überall in der grünen Blätterwelt existiert.


Am Photosystem I arbeiten derweil Kevin Redding von der Arizona State University und ein Team am Max Planck Institute in Mülheim an der Ruhr unter der Leitung von Alfred Holzwarth. Im Februar 2010 veröffentlichen die Forscher die Ergebnisse ihrer zweijährigen Arbeit mit Algen des Typs Chlamydomonas reinhardtii. Nachdem es einmal gelungen war, Proben eines Mutanten der einzelligen Grünalge von ausreichender Reinheit zu schaffen, wurden diese Laserpulsen von 60 Millionstel oder einer Milliardstel Sekunde Länge ausgesetzt. Dies erlaubt es den Wissenschaftlern zu sehen, was niemand zuvor gesehen hatte: den exakten Zeitpunkt, an dem die elektromagnetischen Energie von der Sonne in chemische Energie für die Herstellung von Zucker oder Kohlenhydrate umgewandelt wird. Außerdem stellen sie fest, daß das Gesamtsystem beide Zweige (System I & II) parallel nutzt, um den Gesamtwirkungsgrad des Ladungs-Transfers zu erhöhen. Dies könnte auch ein Ansatz für zukünftige künstliche Photosynthese-Systeme sein.

Im Juni 2010 berichten Forscher der University of California, des Berkeley Lab und des US Department of Energy, daß sie nun erstmals Quantenverschränkungen in Pflanzen nachweisen können. Die Pflanzen verwenden diese, um Energie aus den Energie-erntenden Komplexen ohne Zeitverlust direkt für elektrochemische Prozesse verfügbar zu machen. Im Gegensatz zur bisherigen Vorstellung, daß die Verschränkung eine fragile und exotische Eigenschaft sei, die schwer zu erhalten oder zu manipulieren ist, belegt die Studie, daß eine Verschränkung auch in der chaotischen chemischen Komplexität eines biologischen Systems existieren und bestehen kann. Die neuen Erkenntnisse über die Quanten-Aspekte der Licht-Ernte in natürlichen Systemen öffnen für Forschung und Technik neue Wege, sie auf künstliche Photosynthese-Systeme zu übertragen, die möglicherweise sogar noch effizienter werden könnten.

Die nächste Meldung stammt vom August 2010 und besagt, daß ein Team der University of Sydney und der Ludwig-Maximilians-Universität München erstmals nach rund 60 Jahren ein neues Chlorophyll entdeckt hat! Bislang kannte man vier Arten von Blattgrün (a, b, c and d), die alle Licht kürzerer Wellenlängen absorbieren, bevorzugt 465 und 665 Nanometer. Das Chlorophyll d einer speziellen Gruppe Cyanobakterien absorbiert lieber Licht mit 697 nm, während die neu gefundene fünfte Variante des Blattgrüns, das Chlorophyll f, für die Photosynthese langwelliges Licht bis tief in den Infrarotbereich hinein nutzt, am liebsten mit einer Wellenlänge von 706 nm.

Cyanobakterien

Cyanobakterien

Gebildet wird das Chlorophyll f von fädigen Cyanobakterien (Blaualgen), die an der australischen Küste in Form dichter Algenmatten leben, sogenannten Stromatolithen, in die sichtbares Licht kaum eindringen kann. Für die Absorption der infraroten Strahlung sorgt eine Formyl-Gruppe im Molekül. Bei einer technischen Umsetzung sind Solarzellen denkbar, die sichtbares Licht und Infrarotstrahlung gleichzeitig aufnehmen können.

Im Juli 2011 veröffentlichen Wissenschaftler des Pacific Northwest National Laboratory, der Washington University in St. Louis und der Purdue University in West Lafayette einen Bericht, in dem sie ein neues Computermodell vorstellen, das ein einziges, aber komplettes einzelliges Cyanobakterium Cyanothece 51142 beschreibt. Das Modell der Blaualge kann vorhersagen, welche Gene des Organismus von zentraler Bedeutung für die Aufnahme von Energie aus Sonnenlicht und andere kritische Prozesse sind. Ebenso könnte das Computermodell auch die Bemühungen voran treiben, aus blau-grünen Algen – eben den Cyanobakterien – Biokraftstoffe und andere Energiequellen zu produzieren.

Cyanobakterien sind deshalb so bemerkenswert, weil sie Eigenschaften sowohl von Pflanzen als auch von Mikroben haben. Sie nutzen die Energie der Sonne, um durch Photosynthese Zucker herzustellen, wie es die Pflanzen machen, und sie können auch atmosphärischem Stickstoff in eine zugänglichere Form umwandeln, was sonst nur Mikroben tun und was Stickstofffixierung genannt wird. Ihr Genom war bereits 2008 entschlüsselt worden.

Im Gegensatz zu den meisten Cyanobakterien, bei denen die photosynthetischen und die Stickstoff fixierenden Aktivitäten in verschiedenen, physikalisch getrennten Zellen ablaufen, bildet Cyanothece eine Ausnahme. Hier ist es nämlich dieselbe Zelle, die alle 12 Stunden zwischen diesen beiden Funktionen hin und her schaltet. Im Tageslicht macht sie Zucker, während sie die Nacht damit verbringt, diesen zu zerlegen um Stickstoff zu fixieren und andere Verbindungen herzustellen. Die Forschung werden durch das Environmental Molecular Sciences Laboratory (EMSL) des Department of Energy finanziert.


Technische Umsetzungen, Schritte zur Einflußnahme im Sinne einer Effizienzsteigerung sowie zur direkten Herstellung werde ich im folgenden unter dem Oberbegriff der technischen Photosynthese behandeln.

Technische Photosynthese


Ein frühes Projekt stammt aus dem Jahr 2004, als Marc A. Baldo am MIT gemeinsam mit Wissenschaftlern der University of Tennessee und des U.S. Naval Research Laboratory daran arbeitet, aus Chloroplastsen des Spinats die weltweit erste photosynthetische Festkörper-Solarzelle herzustellen. Kern des Gerätes ist der Photosystem I genannter Protein-Komplex, der im Fall der Spinat-Chloroplasten 10 bis 20 Nanometer breit ist. Es handelt sich dabei im Grunde um kleinste ‚elektronische Schaltungen’, von denen rund 100.000 Stück auf dem Kopf einer Stecknadel passen würden.

Bislang war die Kombination von biologischen und nicht biologischen Materialien in einem Gerät äußerst problematisch, da biologische Materialien Wasser und Salz brauchen, um zu überleben, während beide Substanzen für die Elektronik tödlich sind. Den Forschern gelingt der nun erste Schritt zur erfolgreichen Verbindung eines molekularen, photosynthetischen Protein-Komplexes mit einem elektronischen Festkörper. Hierfür wird eine Membran aus oberflächenaktiven Peptiden hergestellt – ähnlich der wichtigsten Zutat in Seife –, die dem photosynthetischen Komplex dabei hilft, sich selbst zusammenzubauen und zu stabilisieren, während die Schaltung zusammengebaut wird.

In unserem Körper gibt es über 80.000 Arten von Proteinen, deren Fragmente – Peptide genannt – sich wie winzige LEGO-Bausteine zu Millionen von Substanzen kombinieren. Shuguang Zhang, stellvertretender Direktor des Center for Biomedical Engineering am MIT, entdeckt, wie man diese gleichen Peptide zur Bildung völlig neuer natürlicher Materialien veranlassen kann, die (sogar) nützliche Funktionen ausführen können. Eine seiner Tensid-ähnlichen Designer-Nanomaterialien entpuppt sich als ideal dafür, die Funktionsfähigkeit der Protein-Komplexe auf einer kalten, harten Oberfläche zu gewährleisten. Dadurch konnte das Protein auch ohne Wasser in trockener Umgebung mindestens drei Wochen lang stabilisiert werden. Messungen ergeben einen Wirkungsgrad von rund 12 %, den die Forscher durch einen mehrschichtigen Aufbau auf mindestens 20 % erhöhen wollen.

Forscher um Deanna D’Alessandro an der University of Sydney arbeiten 2006 daran, aus Molekülen eine funktionsfähige PV-Zelle herzustellen. Schließlich sind Pflanzenblätter nichts anderes als extrem günstige und sehr effiziente Solarzellen mit Wirkungsgraden bis zu 40 %. Das Team möchte die radförmige Anordnungen der Porphyrine-Moleküle nachahmen, die das Licht sammeln und zur Nabe übertragen, wo diese Lichtenergie von chemischen Reaktionen genutzt wird, um Kohlendioxid in energiereichen Zuckern und Sauerstoff umzuwandeln.

Dieser Prozeß, der in ca. 40 Milliardstel Sekunden abläuft, ist für die Photosynthese von grundlegender Bedeutung und bildet die Basis der Nahrungskette für fast alles Leben auf der Erde. Da die Porphyrine-Moleküle in der Lage sind, so effizient Energie zu speichern, denken die Wissenschaftler daran, sie auch als Akkus zu verwenden, als Ersatz für die Metall-basierten Batterien heutiger Geräte.

Die vorläufigen Ergebnisse sind sehr vielversprechend, auch wenn man sich erst in den frühen Stadien der technischen Umsetzung befindet und die Herausforderung recht groß ist. Gemeinsam mit Forschern der Universität Osaka werden aber schon Moleküle hergestellt, die zu einem Äquivalent einer Pflanzenzelle kombiniert werden sollen. Anschließend will man während eines Zeitraums von fünf Jahren versuchen, diese Technologie in den größeren Maßstab kommerzieller Solarzellen umzusetzen.

Wissenschaftler um Christoph Bräuchle und Hugo Scheer von der Ludwig-Maximilians-Universität in München untersuchen in Zusammenarbeit mit Forschern der Universität von Ohio die genannten Lichtsammelkomplexe, die für die Effizienz der Photosynthese eine zentrale Funktion erfüllen. Im Februar 2008 berichten die Forscher, daß sich die Effizienz dieser Komplexe mittels Silber-Nanoteilchen um das bis zu 18-fache steigern läßt. In einem ersten Schritt werden dabei natürliche Pigmente an kleine Metallpartikel, beispielsweise aus Silber, gekoppelt. Diese elektromagnetischen Kopplungen erzeugen lokale Felder, welche die Sammelleistung der natürlichen Sonnenantennen um ein Vielfaches verstärken.

Für die Entwicklung neuartiger Solarzellen nach biologischem Vorbild könnte dies ein bedeutsamer Schritt sein, möglicherweise indem die relativ teuren Solarzellen mit künstlichen Lichtsammelkomplexen versehen werden (siehe hierzu auch das Kapitel Optimierungs- und Verstärkungstechniken). Hybridsysteme aus natürlichen Lichtsammelkomplexen und metallischen Nanopartikeln bilden daher aussichtsreiche Kandidaten für eine künstliche Photosynthese.

Das Verfahren sollte sich durch die gezielte Herstellung metallischer Nanostrukturen noch weiter optimieren lassen, denn Einzel-Moleküluntersuchungen zeigen, daß eine Anwendung in Solarzellen die Herstellung von Nanostrukturen mit optimierten Abständen und Orientierungen der Bestandteile voraussetzt. Bis zur industriellen Anwendung ist es daher noch ein weiter Weg.

Kohlenstoff-Nanoröhrchen

Kohlenstoff-Nanoröhrchen

Im Juli 2008 meldet die Fachpresse einen weiteren erfolgreichen Schritt in Richtung der technischen Photosynthese. Einem Team chinesischer Wissenschaftler um Xian-Fu Zhang an der Hebei Normal University of Science and Technology in Qinhuangdao stellt nämlich fest, daß Kohlenstoff-Nanoröhren ein ganz entscheidendes Element darstellen, um den Prozeß der Photosynthese zu imitieren.

Sichtbare Photonen können nur mit einer begrenzten Menge an Energie zu chemischen Reaktionen beitragen. Diese Energie wird durch Elektronen absorbiert, die an der Reaktion beteiligt sind. Reaktionen jedoch, die weit mehr Energie benötigen, wie die Synthese von Kohlenhydraten beispielsweise, können nur dann stattfinden, wenn mehrere ladungstragende Elektronen zur Verfügung stehen. Bislang ist es jedoch noch niemanden gelungen, ein synthetisches Mehrfach-Elektronen-System herzustellen, das die notwendige Energie für eine künstliche Photosynthese liefern könnte.

Ein solches System würde aus einem Geber-Molekül, das sichtbares Licht absorbieren und viele Elektronen emittieren kann, sowie einem Empfänger-Molekül bestehen, das in der Lage ist, diese Elektronen zu empfangen und zu speichern. Bestehende Systeme können nur jeweils ein Elektron nach dem anderen aussenden bzw. empfangen. Das chinesische Team entscheidet sich dafür, zur Lösung dieses Problems das Elektronen-Empfänger-Molekül in der Photosynthese durch einwandige Kohlenstoff-Nanoröhren zu ersetzen. Dabei kann ein einzelnes Nanoröhrchen für jeweils 32 Kohlenstoffatome, aus denen es besteht, ein Elektron aufnehmen, wodurch auch ein kurzes Nanoröhrchen eine beträchtliche Anzahl von Elektronen aufnehmen und daher als Empfänger-Molekül einer künstlichen Photosynthese agieren kann.

Da aber auch ein Molekül benötigt wird, das Elektronen freisetzt, wenn es sichtbarem Licht ausgesetzt wird, verbinden sie eine Reihe von Phthalocyaninen (PCs), von denen jedes ein Elektron freisetzt, nachdem es Licht absorbiert hat, mit den Nanoröhrchen. Dabei können an einem nur 1 Mikrometer langen Röhrchen120 PC-Moleküle angekoppelt werden.

Dadurch gelingt dem Team die Herstellung eines Mehrfach-Elektronen-Systems, bei dem rund 25 % der von den PCs freigesetzten Elektronen in einem einzelnen Nanoröhrchen gespeichert werden können. Dieser Schritt könnte auch die notwendige Elektronen-Quelle zur Umwandlung von NADP in NADPH bilden, das wiederum Kohlendioxid zu Glucose wandelt, dem materiellen Endprodukt der Photosynthese.

Genau ein Jahr später, im Juli 2009, gelingt es Wissenschaftlern der niederländischen Universität Leiden um Huub de Groot, mit Hilfe des Chlorophylls der Alge Spirulina eine Lichtsammelantenne nachzubauen. Zuerst modulieren sie mit modifizierten Chlorophyll-Molekülen der Spirulina ein halb synthetisches Modell, das einer bakteriellen Lichtantenne ähnelt. Anschließend bestimmen sie mit Hilfe der Kernresonanzspektroskopie (NMR) und der Röntgenbeugung die genaue molekulare und supramolekulare Struktur ihrer hausgemachten Lichtantenne. Damit erlangen sie eine molekulare Blaupause, welche den effizientesten Licht- Sammler in der Natur imitiert. Der nächste Schritt ist nun einen Weg zu finden, das Licht in Energie umzuwandeln. Sobald das geschieht, ist die Vorstellung künstlicher Wälder im Nano-Maßstab, die aus Licht saubere Energie erzeugen, gar nicht mehr so weit weg.

Französische Experten um Victoria Flexner und Nicolas Mano vom Forschungszentrum Paul Pascal (CNRS) berichten im Februar 2010, daß sie eine Biotreibstoff-Zelle geschaffen haben, welche die Glucose-Bildung eines Pflanzenblattes während der Photosynthese in Echtzeit aufzeichnen kann. Hierfür konstruieren die Wissenschaftler eine Elektrode mit einem Enzym, das Glucosemoleküle chemisch oxidiert und einem weiteren Enzym, das Sauerstoff zu Wasser reduziert. Durch den Versuchsaufbau gelingt es auch erstmals, den Verlauf der Glucosekonzentration während der Photosynthese zu beobachten.

Auf einem Kaktusblatt eingesetzt, stellt diese Vorrichtung bei Lichteinwirkung einen Stromfluß fest, der solange andauert, bis die Lampe abgeschaltet wird. Pro Quadratzentimeter sind bei einem Kaktusblatt bis zu 9 W erreichbar, wobei die Ausbeute mit der Lichtintensität steigt. Den Forschern schwebt nun die Schaffung einer Biotreibstoff-Zelle für medizinische Anwendungen vor, die, unter die Haut eingesetzt, die chemische Energie des Sauerstoffs und der Glucose nutzt, die in Körperflüssigkeiten vorhanden sind, um Strom zu erzeugen. Dies wäre beispielsweise für Sensoren praktisch, die im Körper die Glucose-Werte von Diabetikern mitverfolgen und ein Warnsignal geben, sollte dies erforderlich werden. (Ähnliche Systeme sind auch im Kapitel Micro Energy Harvesting beschrieben).

Über die Arbeiten von Daniel G. Nocera vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) berichte ich in auch Kapitel Wasserstoff, da es sein Ziel ist, photosynthetische Prozesse primär zur Wasserspaltung zu nutzen. Noceras Credo ist ausgesprochen pressewirksam: „Mit einer einzigen Flasche Wasser kann ein ganzes Haus mit Energie versorgt werden.“ Aufgrund der Wichtigkeit dieser Arbeit – und der Unterstützung, die sie inzwischen erhält – werde ich sie aber auch präsentieren. Die Öffentlichkeit hört erstmals 2007 etwas von dieser Entwicklung, die finanziell von der amerikanischen National Science Foundation und der Chesonis Family Foundation gefördert wird, die im Frühjahr 2009 einen Betrag von 10 Mio. $ beisteuert.

Im Mai 2010 wird über die Arbeiten einer interdisziplinären Arbeitsgruppe der University of Miami und der Universidad de los Andes (Kolombien) um Neil Johnson berichtet, welche das natürliche Design von Purpurbakterien untersuchen, da es die beste strukturelle Lösung zum Ernten von Sonnenlicht zu sein scheint. Die mikroskopisch kleinen einzelligen Organismen gehörten zu den ersten Lebensformen auf der Erde und leben auf dem Grund flacher Gewässer. Die Wissenschaftler stellen fest, daß die Purpurbakterien je nach Lichtintensität verschiedene Zell-Designs ausbilden – und entwickeln daraufhin ein mathematisches Modell, um die Entwürfe und die Gründe für ihre Gestaltung zu beschreiben.

Dabei zeigt sich, daß der Mechanismus der Purpurbakterien, sich durch Ändern der Licht-erntenden Anordnung an unterschiedliche Lichtintensitäten anzupassen, keineswegs auf eine Maximierung der Lichtausbeute ausgelegt ist. Statt dessen wird in jeder Generation ein Design geschaffen, das die Notwendigkeit, die Anzahl der eingefangen und in chemische Energie umgewandelten Photonen zu maximieren, mit der Notwendigkeit ausgleicht, die Zelle von einem Überangebot an Energie zu schützen, durch welches sie beschädigt werden könnte.

Daniel G. Nocera

Daniel G. Nocera

Bereits im Juli 2008 wird gemeldet, daß der MIT-Forscher gemeinsam mit einem Kollegen der Monash University in Australien einen kostengünstigen Katalysator gefunden hat, um Wasser zu spalten. Nocera und Matthew Kanan entdeckten, daß es hierfür ausreicht, etwas Kobalt- und Phosphatpulver ins Wasser zu schütten und einen elektrischen Strom von knapp 1,3 V anzulegen. Sobald der Strom (aus PV-Panelen beispielsweise) fließt, lagert sich eine dünne Schicht aus diesen Metallen an der Anode an, was das Freisetzen des Sauerstoffs signifikant beschleunigt. Diese reaktionsbeschleunigende Schicht zerbröselt in regelmäßigen Abständen und baut sich dann wieder selbständig neu auf – eine bislang noch nicht verstandene Art molekularer Selbstheilungskraft.

Auch wie der Katalysator die Wasserspaltung bewerkstelligt, ist noch unbekannt. In einer Pflanzenzelle ist dafür ein Gitter aus vier Mangan- und ein paar weiteren Atomen zuständig, während einige Bakterien für diese Aufgabe statt Mangan Kobalt benutzen, was zur Vermutung Anlaß gibt, daß sich in Noceras Katalysator Ähnliches abspielt. Und im Gegensatz zu dem sehr teuren Platin, das bislang als Katalysator genutzt wird, kosten Kobalt und Phosphat nur 80 $ bzw. unter 2 $ pro Kilogramm (Stand 2008).

Anders als bei der Photosynthese, wo Pflanzen Energie in Form von Zuckern erzeugen, wandelt Noceras Prozeß Sonnenlicht, CO2 und Wasser in Energie in Form von freiem Wasserstoff um. Dieser freie Wasserstoff kann anschließend direkt in flüssigen Kraftstoff konvertiert werden, oder er wird in einer Brennstoffzelle mit Sauerstoff zusammengeführt, um Strom zu erzeugen. Nocera zufolge kann der Katalysator in nur vier Stunden und mit sehr niedrigen Kosten 30 kWh Strom produzieren. Der Prozeß funktioniert bei normaler Umgebungstemperatur und normalem Umgebungsdruck, ohne Korrosion, und sogar mit verschmutztem Wasser. Der Prototyp läuft beispielsweise mit Wasser aus dem Charles River in Boston.

2009 gründet der MIT-Wissenschaftler der seit über 25 Jahren an dem Projekt der lichtinduzierten Wasserspaltung arbeitet, zusammen mit einigen Partnern die Firma Sun Catalytix Corp. in Cambridge, Massachusetts, um seine energieerzeugende Innovation zu vermarkten. Hauptinvestoren sind die Tata Group und Polaris Venture Partners, und das langfristige Ziel ist die Errichtung großer solarbetriebener Wasser-Raffinerien.

Im März 2010 werden die Forschungen Noceras mit 4 Mio. $ aus dem ARPA-E Programm gefördert. Damit soll der bestehende Prototyp weiterentwickelt und marktreif gemacht werden. Sinnvoll wäre beispielsweise, sämtliche Prozeßstufen in einer Apparatur zu vereinigen. Eine zweite Finanzierungsrunde im Oktober 2010 unter der Leitung der Tata Ltd. bringt Sun Catalytix 9,5 Mio. $ ein.

Auf dem Jahrestreffen der American Chemical Society im März 2011 in Kalifornien kann die Arbeitsgruppe schon über einen entsprechend weiterentwickelten Prototypen der 2. Generation berichten. Er besteht aus einer handelsüblichen Solarzelle, bei welcher der neue Katalysator einfach auf der Rückseite aufgebracht worden ist.

Sobald dieses flache Modul, die erstmalige Verschmelzung von Lichteinfang und Wasserspaltung in einer einzigen technischen Einheit, in ein Wasserglas gehängt wird, das in der Sonne steht, steigen umgehend kleine Gasperlen auf, wobei weder eine externe Stromquelle noch irgendeine Verkabelung mehr notwendig sind. Der Prototyp soll bereits zehnmal mehr Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff aufspalten als ein natürliches Blatt. Außerdem sei er in der Lage, ohne Effizienzverlust 45 Stunden hintereinander zu arbeiten.

Mit Unterstützung des indischen Milliardärs Ratan Tata will Nocera noch 2011 erste Prototypen auf indische Dächer bringen, wo vier Liter Wasser und ausreichender Sonnenschein genügen sollen, um den täglichen Energiebedarf einer Familie zu decken. Bestehen wird solch ein System aus einem etwa 2 m2 großen Modul, das permanent Wasser spaltet und den entstandenen Wasserstoff in einen kleinen Tank speichert, wo er zum Kochen oder zur Erzeugung von elektrischem Strom bereitsteht. Der Strom hierfür soll aus billigen Solarzellen stammen, da diese völlig ausreichen, um die benötigten, recht schwachen Ströme zu liefern.

Die Idee Noceras bildet übrigens auch einen der technologischen Hintergründe für den Roman Solar des britischen Schriftstellers Ian McEwan. Um so erschreckender ist, daß es Mitte 2011 in der deutschsprachigen Wikipedia noch immer keinen Eintrag unter dem Namen des MIT-Chemikers gibt, obwohl er in den vergangenen Jahren auch in der lokalen Presse recht häufig genannt wurde.

Doch zurück zur Chronologie:

Im November 2009 präsentieren der Chemiker Frank Würthner und sein Team von der Universität Würzburg eine komplexe Struktur, bei der es sich um künstliche Sammelantennen handelt, die sich selbst zu Aggregaten zusammenlagern. Tausende von gleichartigen Molekülen drängen sich zu einer Kapsel zusammen, deren Durchmesser 20 bis 50 Nanometer beträgt, ein Zehntausendstel der Größe eines Stecknadelkopfes, und die von Molekülen anderer Art gefüllt ist.

Nanokapsel

Nanokapsel

Die chemisch synthetisierten Moleküle absorbieren Lichtenergie und geben einen Teil davon in Form von Fluoreszenzlicht wieder ab. Den Rest übertragen sie mittels Energietransfer auf die Kapselmoleküle, die daraufhin ebenfalls Fluoreszenzlicht aussenden. Die Nanokapseln sollten sich als Bausteine für eine künstliche Photosynthese-Maschine gut eignen und das Licht sogar wesentlich effizienter nutzen können als Pflanzen, da ihre synthetischen Doppelschichtmembranen zu hundert Prozent aus photoaktivem Material bestehen.

Die Nanokapseln werden auf der Basis so genannter amphiphiler Perylenbisimide entwickelt, während die Füllung, ein Projekt des chinesischen Gastwissenschaftlers Xin Zhang, aus photoaktiven Bispyren-Moleküle besteht. Diese verändern ihre Gestalt in Abhängigkeit von der Umgebung. Bei niedrigem pH-Wert, d.h. in einer sauren Umgebung, nehmen sie eine langgestreckte Form an. Regt man sie mit UV-Licht an, strahlen sie blaues Fluoreszenzlicht aus. Steigt der pH-Wert, klappen sich die Moleküle zusammen und geben in dieser Gestalt grünes Fluoreszenzlicht ab. Außerdem regen sie in diesem Zustand die Bispyrene die Kapselhülle energetisch an – und diese reagieren darauf mit roter Fluoreszenz. Überlagern sich die drei Grundfarben, kommt dabei weiß heraus: Bei einem pH-Wert von 9, also recht nahe beim Neutralpunkt, strahlen die Nanokapseln tatsächlich weißes Fluoreszenzlicht ab. Die Arbeiten von Würthner werden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.

Im März 2010 präsentiert ein Forscherteam um Tongxiang Fan von der Shanghai Jiaotong University auf dem Jahrestreffen der American Chemical Society einen weiteren Ansatz dafür, wie die natürliche Photosynthese nachzuahmen ist. Da die extrem hohe Lichternte-Effizienz der Blätter auf Strukturen beruht, welche die Solarenergie in die lichterntenden Abschnitte des Blattes leiten und fokussieren, beschließen die Wissenschaftler, zur Entwicklung einer synthetischen blattähnliche Struktur das natürliche Design einfach zu imitieren. Das Resultat ist ein Artificial Inorganic Leaf (AIL), ein künstliches anorganisches Blatt, das auf einem echten Blatt sowie Titandioxid (TiO2) basiert – einer Chemikalie, die bereits als Photokatalysator zur Wasserstofferzeugung eingesetzt wird (s.d.).

Das Team behandelt zunächst Blätter der aus China stammenden Rebenblättrigen Anemone (Anemone vitifolia) mit Salzsäure und ersetzt anschließend die Magnesiumatome, die einen wesentlichen Anteil der photosynthetischen Maschinerie tragen, durch Titan. Durch Trocknen und Erhitzen der Blätter auf 500°C wird das restliche Blattmaterial weggebrannt, sodaß ein kristallisiertes Titandioxid-Flechtwerk mit natürlichen Blattstrukturen übrig bleibt, das als Katalysator bei der Aufspaltung der Wassermoleküle fungiert. Nachgebaut werden auch die wie Linsen wirkenden Zellen der Blattoberfläche, die das Licht aus jedem Winkel aufnehmen können, sowie die Gefäße, die Licht tief ins Blatt hinein transportieren. Außerdem enthalten die künstlichen Blätter sehr feine Nachbildungen der Thykaloide genannten Membransysteme, die in den Chloroplasten pflanzlicher Zellen vorkommen und in denen die Lichtreaktion der Photosynthese stattfindet.

Sobald die künstlichen Blätter in eine 20-%ige Methanollösung getränkt und anschließend mit sichtbarem ultraviolettem Licht bestrahlt werden, absorbieren sie mehr als doppelt so viel Licht und geben mehr als dreimal so viel Wasserstoff ab als das bislang zur Herstellung von Wasserstoff kommerziell genutzte Titandioxid P25. Im Vergleich zu nicht-bioimplantierten TiO2 ist die Ausbeute sogar achtmal so hoch. Als nächstes wollen die Wissenschaftler Nanopartikel aus Platin in die Blattoberfläche einbetten, welches zusammen mit dem im natürlichen Blatt vorkommenden Stickstoff dabei hilft, die Aktivität der künstlichen Blätter um einen zusätzlichen Faktor von zehn zu steigern.

Ebenfalls auf dem Jahrestreffen im März 2010 berichten David Wendell und Jacob Todd von der University of Cincinnati, daß sich die solar betriebene Photosynthese auch zur Absorption und Speicherung von CO2 aus der Luft eignet, um daraus Grundbausteine von Biotreibstoffen zu machen. Die Ingenieure erzeugen ein künstliches Photosynthesematerial aus einem Schaum, der mit Enzymen injiziert wird, die in Kombination mit Sonneneinstrahlung CO2 in Sauerstoff und Zucker umwandeln. Dieser könnte dazu verwendet werden, um Ethanol oder Biokraftstoff ohne den Bedarf nach Pflanzen oder Ackerland herzustellen.

Der Kohlenstoff-bindende Schaum besteht aus Enzymen von Pflanzen, Pilzen, Bakterien und Fröschen, die alle in Gegenwart von Sonnenlicht und Kohlendioxid eine Photosynthese durchführen können. Schaum wurde deshalb gewählt, weil sich die Enzyme darin effektiv einbetten lassen, während sie eine Menge Luft und Licht aufnehmen können. Inspiriert wurde das neue photosynthetische Material durch die Schaumnester eines halbtropischen Frosches namens Tungara, der für die sichere Entwicklung seiner Kaulquappen einen äußerst langlebigen Schaum herstellt. Die Ingenieure erreichen bei der Energieumwandlung sogar einen höheren Prozentsatz als den der natürlichen Photosynthese, da der Schaum, im Gegensatz zu pflanzlichen oder tierischen Organismen keine Energie abzapft, um Leben zu erhalten oder zu reproduzieren.

Im April 2010 berichten Chemiker der University of Massachusetts in Amherst, daß sie einen Weg gefunden haben PV-Systeme zu bauen, die von Dendrimeren inspiriert sind, verästelten organischen Molekülen der pflanzlichen Anatomie. Die Verzweigungen der Dendrimere ermöglichen es ihnen, Photonen aus einem großen Gebiet zu absorbieren. Die Energie der Photonen wird dann zum Kern der Dendrimere geschickt, wo sie anschließend mit einem Polymer-‚Draht’ verbunden wird. Die Elektronen bewegen sich daraufhin durch den Draht zu einer Elektrode, welche die Energie produziert. Die Forscher glauben ihre Technik dafür einsetzen zu können, um leichte und höchst effiziente Photovoltaik-Geräte zu entwickeln.

Zeitgleich ist von Benoît Marsan und seinem Team an der Université du Québec in Montréal zu erfahren, daß man nach mehrjähriger Arbeit eine elektrochemische Solarzellen-Technologie entwickelt habe, die durch ihre Bio-Mimikry Attribute – bei denen einige der Dynamiken der Photosynthese nachgeahmt werden – billiger und stabiler als die bisherigen Systeme sei. Dem Team gelingt die Lösung von zwei Problemen, welche die Entwicklung von effizienten und erschwinglichen Solarzellen in den letzten 20 Jahre lang entschieden behindert haben. Marsan bezieht sich hier explizit auf die von Michael Grätzel entwickelten Farbstoffzellen (s.d.), denen er berechtigterweise ein immenses Potential bescheinigt.

Probleme bildeten bisher zum einen der Elektrolyt, der einmal stark ätzend ist, was zu einem Mangel an Beständigkeit führt, weiterhin tief eingefärbt ist, was den effizienten Durchgang von Licht verhindert, und schließlich die Zelle auch noch auf eine Photospannung von 0,7 V beschränkt. Für den Elektrolyten werden daraufhin in Marsans Labor völlig neue Moleküle geschaffen, deren Konzentration durch die Mitarbeit von Livain Breau noch erhöht werden kann. Die resultierende Flüssigkeit (oder das Gel) ist transparent, nicht korrosiv und kann die Photospannung steigern, womit sie zur Verbesserung der Zellstabilität und Ausgangsleistung beiträgt.

Das zweite Problem bildete die mit Platin beschichtete Kathode, denn das Metall ist selten, teuer und undurchsichtig. Hier lautet die Lösung, das Platin durch Kobaltsulfid zu ersetzen, das viel billiger ist – und dazu auch noch effizienter, stabiler und im Labor leichter zu erzeugen.

Zwei Schritte weiter in der Zukunft ist ein Fahrzeugkonzept der Shanghai Automotive Industry Corporation (SAIC), das erstmals zur Expo 2010 in Shanghai der Öffentlichkeit vorgestellt wird. Die Idee hinter dem Konzept des YeZ (chin. Blatt) ist, daß das Elektroauto Photosynthese betreibt, d.h. aus der Umgebungsluft Kohlendioxid absorbiert und Sauerstoff zurück in die Atmosphäre emittiert.

Das riesige Blatt als Dach des YeZ ist ein effizienter photoelektrischer Wandler, der Sonnenenergie absorbiert, in Strom umwandelt und in der Lage ist, den Fluß der Energie durch sichtbare ‚Adern’ zu zeigen. Die einzelnen Solarflächen auf dem Blatt besitzen Solar-Tracking-Systeme für eine höhere Effizienz. Zu den futuristischen Aspekten gehören weiterhin Räder, in denen kleine Windturbinen integriert sind, um Energie aus der Umgebung zu ernten und in der Fahrzeugbatterie zu speichern.

Der restliche Fahrzeugkörper besteht größtenteils aus Metal-organischen Gerüsten (Metal-Organic Frameworks, MOF) die in der Lage sind, Kohlendioxid zu absorbieren. MOFs sind mikroporöse kristalline Materialien, die aus metallischen Knotenpunkten, den sogenannten SBUs (Structural Building Units) und organischen Molekülen (Linkern) als Verbindungselemente zwischen den Knotenpunkten aufgebaut sind und u.a. zur Speicherung von Wasserstoff oder Methan genutzt werden. Die MOFs des YeZ sollen dagegen grüne Pflanzen nachahmen, Kohlendioxid und Wasser-Moleküle aus der Luft einfangen, unter der Einwirkung von Mikroorganismen Elektronen freisetzen und dadurch elektrischen Strom erzeugen, mit dem die fahrende Bio-Brennstoffzelle die Lithium-Batterie des Fahrzeug auflädt. Eine inspirierende Idee...

Ein Team vom Institut für Photonische Technologien (IPHT) der Universität Jena um Jürgen Popp sowie Kollegen der Universität Erlangen-Nürnberg kommt im Juni 2010 bei der Nachbildung der Photosynthese im Labor einen großen Schritt weiter. Den Forschern gelingt es nachzuweisen, daß bereits der erste Schritt der Prozeßkaskade über die letztendliche Effizienz der Wasserstoffbildung bestimmt. Bei ihren Versuchen zur effizienteren Energieumwandlung setzen die Wissenschaftler auf chemische Photokatalysatoren und entwickeln für solche Photosynthesekomplexe ein neues Syntheseparadigma – wie es in der Wissenschaftssprache heißt. Schon bei ersten Versuchen liegt die Wasserstoffgewinnung um das vierfache über den früher erreichten Werten.

Im Juli 2010 geht ein Ruck durch die Szene, als das US Department of Energy ein Fünfjahresprogramm beschließt, in dessen Rahmen mit 122 Mio. $ in Kalifornien eine neue Forschungseinrichtung etabliert wird, um die künstliche Photosynthese weiter voranzubringen. Das Joint Center for Artificial Photosynthesis (JCAP) wird versuchen Methoden zu entwickeln, um direkt aus Sonnenlicht, Wasser und Kohlendioxid Brennstoffe zu entwickeln. Primäres Ziel dieser Forschung sind Katalysatoren und lichtabsorbierenden Materialien, die benötigt werden, um Wasser und Kohlendioxid zu spalten und daraus nutzbare Energieträger wie Wasserstoff, Methanol oder Methan zu machen.

Das neue Zentrum soll das bisher gewonnene Wissen erweitern und bis zur Anwendung in größerem Maßstab und mit kommerziellem Potential weiterentwickeln. Geleitet wird es von Nathan Lewis, Chemie-Professor am California Institute of Technology in Pasadena, die anderen mitwirkenden kalifornischen Einrichtungen sind das Lawrence Berkeley National Lab in Stanford sowie  die Universitäten von Berkeley, Irvine, San Diego und Santa Barbara. Im ersten Jahr überweist das DOE 22 Mio. $, in den nachfolgenden vier Jahren werden es dann jeweils 25 Mio. $ sein.

Im gleichen Monat melden Forscher der Cornell University, daß sie ein Verfahren entwickelt haben, um einen organischen Rahmen in molekularem Maßstab herzustellen, der dazu verwendet werden kann, Sonnenenergie zu sammeln. Dabei nutzen sie Phthalocyanin, einen gewöhnlichen Farbstoff, der in Blue Jeans und zahlreichen anderen Produkten genutzt wird und eine dem Chlorophyll ähnliche Struktur aufweist. Den Wissenschaftlern gelingt es, die Moleküle auf einem genau strukturierten, zweidimensionalen ‚Solar-Papier’ zu montieren, das weitaus flexibler und potentiell auch weit billiger ist als herkömmliche Solarzellen.

Die Cornell-Forscher erreichen dies durch die Anwendung eines einfachen Katalysators in Kombination mit einem anderen stabilen Molekül. Das Ergebnis sind fein säuberlich geordnete zweidimensionale Blätter, die sich in einem Gittermuster übereinander stapeln.

Der nächste Schritt besteht darin herauszufinden, welche Moleküle in die Gitterporen zu stecken sind, um ein leichtes, flexibles und langlebiges Material zu bilden, das die Sonnenenergie effizient nutzt und auch im kommerziellen Maßstab hergestellt werden kann.

Die letzte Meldung 2010 stammt vom September. Forscher der North Carolina State University präsentieren das Konzept für ein weiteres künstliches Blatt, das im Grunde ein flexibles Gel auf Wasserbasis darstellt, welches mit lichtempfindlichen Molekülen kombiniert wurde. Diese Moleküle können zwar synthetisch hergestellt werden, das Forschungsteam nutzt in der Anfangsphase des Versuchs aber natürliches pflanzliches Chlorophyll – aus Kostengründen und zur Verringerung des Einsatzes von giftigen Materialien in Solarzellen.

Wenn das mit Gel gefüllte Gerät dem Sonnenlicht ausgesetzt wird, reagieren die eingebrachten Moleküle in ähnlicher Weise wie Pflanzen, wenn das Chlorophyll Sonnenenergie in Zucker umwandelt. Die Elektroden der Anordnung sind mit Kohlenstoff-Nanoröhrchen aus Ruß oder Graphit beschichtet, die weit günstiger als herkömmliche Platin-Beschichtungen sind. In Bezug auf die Effizienz hat das Gerät noch einen langen Weg vor sich, aber die Forscher sehen schon jetzt das Potential für eine Optimierung sowohl des Gels als auch der Moleküle.

Darüber hinaus hoffen die Forscher, daß es ihnen auch gelingt, die sich selbst regenerierenden Mechanismen in Pflanzen zu replizieren. Dies würde zu der Möglichkeit äußerst kostengünstiger Installations- und Wartungsmethoden führen, indem man das Solar-Gel auf Dächern und anderen Oberflächen quasi ‚wachsen’ läßt.

Im Januar 2011 publizieren Richard Watt (ein Nachfahre des berühmten James Watt) und sein Studententeam von der Brigham Young University ihre Experimente, denen zufolge ein einfaches Protein möglicherweise mit Sonnenlicht reagieren und dessen Energie ernten kann, ähnlich wie Chlorophyll bei der Photosynthese funktioniert.

Das Team beginnt zunächst mit Zitronensäure aus Orangen, die es mit dem Protein vermischt, um dann in der Lösung Goldstaub aufzulösen. Anschließend werden die Fläschchen mit der gelb-bunten Mischung dem direktem Sonnenlicht ausgesetzt. Tatsächlich verändert sich die Farbe, und schon nach 20 Minuten ist die Lösung Lila. Dies signalisiert, daß die Goldatome Elektronen aufgenommen und die Energie verwendet haben, um sich zu kleinen, lila-farbenen Nanopartikeln zusammenzuklumpen. Was wiederum bedeutet, daß das Protein das Sonnenlicht verwendet hat, um die Zitronensäure zu erregen und eine Übertragung von Energie auszulösen. Unter einer starken Quecksilberlampe geht der Prozeß sogar noch viel schneller – die Lösung verändert ihre Farbe fast sofort nach Anschalten des Lichts.

Der abschließende Schritt dieses Projekts wird das Anschließen des Proteins an eine Elektrode sein, um die Energie in eine Batterie oder Brennstoffzelle zu kanalisieren. Diese Arbeit soll gemeinsam mit Jae-Woo Kim vom National Institute of Aerospace erfolgen.

Künstliche Phoptosynthese am JCAP

Künstliche Phoptosynthese
(JCAP)

Im April 2011 macht Nathan Lewis, Leiter des im vergangenen Jahre gegründeten JCAP (s.o.), einigen Wind um die künstliche Photosynthese, die in einer von ihm erfundenen PV-Zelle stattfindet und Wasser spaltet. Bei der Umwandlung von Sonnenlicht zu chemischer Energie sei die Zelle bis zu 40 Mal effizienter als die meisten Pflanzen. Die größte Herausforderung allerdings sen nun das Bilden von Kohlenwasserstoffen durch die Verbindung von Wasserstoff mit Kohlendioxid, die ähnliche Strukturen aufweisen wie Diesel- oder Düsenkraftstoff. Derzeit gibt es noch keine kommerziellen Prozesse, um so etwas durchzuführen, doch Lewis hofft, trotzdem innerhalb von 5 Jahren einen funktionierenden Prototyp zu haben. Was auch sinnvoll wäre, denn genau zu jener Zeit wird die Förderung des DOE für dieses Projekt auslaufen.

Im Mai 2011 wird über eine auf Melanin basierende Polihydroxyindol-Solarzelle berichtet, die der mexikanische Arzt Arturo Solis Herrera aus Aguascalientes entwickelt hat. Melanin ist die tierische Entsprechung des pflanzlichen Chlorophylls. Hereras Zelle, an der er seit 1990 im Rahmen seines Centro de Estudios de la Fotosíntesis Humana (Studienzentrum für Menschliche Photosynthese) arbeitet, soll ein breites Spektrum elektromagnetischer Wellen absorbieren können. Etwas fraglich sind allerdings einige Aussagen, zu denen Herrera im Zuge seiner medizinischen Arbeit gekommen sein mag, z.B., daß die menschliche Netzhaut, ebenso wie jede andere (eukaryotische) Zelle unseres Körpers, die erstaunliche Fähigkeit hat, Energie direkt aus dem Wasser zu beziehen, so wie es jedes Gemüse tut. 99 % der Energie, die unser Körper braucht, würde hier herkommen, und nur die restlichen 1 % aus der Nahrung. Es mag interessant sein, die Implikationen zu diskutieren, jedoch nicht an dieser Stelle. Ich bin jedenfalls gespannt, ob sich bezüglich der Zelle noch etwas ergibt. Herrera behauptet, mit seiner Bat-Gen genannten Zelle bereits eine Leistung von 600 mV / 200 mA zu erreichen, genug um eine LED zu betreiben. Wobei die Zelle 100 Jahren funktionieren würde…

Ebenfalls im Mai 2011 meldet ein Team der École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL), das von Michael Grätzel persönlich unterstützt wird, daß man Solarzellen geschaffen hat, die – genau wie die natürliche Photosynthese – unter der direkten Einwirkung des Sonnenlichts Wasserstoff aus Wasser extrahiert. Die in früheren Versuchen verwendeten Halbleiter (z.B. Kupferoxid) erwiesen sich in Gegenwart von Wasser und Sonnenlicht zur gleichen Zeit als instabil. Bei den von Adriana Paracchino und Elijah Thimsen hergestellten neuen Zellen ist das Kupferoxid mit einer, nur ein Atom dicken, Schicht aus Zinkoxid und Titandioxid umhüllt, die durch eine Methode namens Atomic Layer Deposition (ALD) aufgebracht wird.

Mittlerweile wird weltweit mit Nachdruck an Systemen der künstlichen Photosynthese geforscht. Großbritannien hat eine eigene Initiative ausgelobt, japanische Teams sollen bei der Entwicklung neuartiger Solarzellen bereits erfolgreich sein, und in Deutschland finden im Juli 2011 sowohl eine Fachkonferenz in Berlin statt, zu der sich mehr als 120 internationale Photosynthese-Spezialisten im Harnack-Haus der Max-Planck-Gesellschaft treffen, als auch eine Photosynthese-Tagung am Max-Planck-Institut für Bioanorganische Chemie in Mülheim an der Ruhr, wo sich die Arbeitsgruppe von Alfred Holzwarth mit dem Thema befaßt (s.o.). Hier wird das Max-Planck-Institut für Bioanorganische Chemie derzeit in ein MPI für chemische Energieforschung umgewidmet, um gemeinsam mit dem ebenfalls in Mühlheim ansässigen MPI für Kohlenforschung die Grundlagen für den Bau eines funktionierenden künstlichen Blattes zu legen. Ziel ist ein Lichteinfall-Chip, den man mit einem Katalyse-Chip kombinieren kann.

Die zukünftige Ausrichtung des Forschungsbereiches ist relativ klar: Entweder werden die Komponenten für künstliche Photosynthese-Systeme komplett künstlich nachgebaut oder es werden Teile von biologischen Systemen in synthetische Materialien eingebettet. Ein dritter Ansatz ist biotechnologisch ausgerichtet, denn hier geht es darum, Mikroben gentechnisch so zu verändern, daß sie zu effizienten, lichtgetriebenen Treibstofffabriken werden. 

Photolyse


Unter Photolyse (o. Fotolyse) versteht man die durch eine Bestrahlung mit Licht ausgelöste Spaltung eines Moleküls. Von besonderem Interesse ist die Spaltung von Wasser durch Licht, die im Rahmen der Photosynthese innerhalb des sogenannten Wasserspaltungskomplexes, einem Teil des Photosystems II, erfolgt (s.o.). Da es sich bei den Ergebnissen – neben Sauerstoff und Oxalsäure – um Wasserstoff handelt, behandle ich dieses Thema in dem entsprechenden Kapitel.

Am Hahn-Meitner-Institut für Kernforschung in Berlin beschäftigt man sich schon früh mit dem Prozeß der Photolyse. Um das Wasserspalten effektiver zu machen, wird dem Wasser als Sensibilisator für das einfallende Sonnenlicht Tetramethyl zugemischt. Trotz des Einsatzes von Seifenlauge als Elektronenschleuse kann das Grundproblem jedoch nicht gelöst werden, daß nämlich nach der Abgabe eines Elektrons aus dem Sensibilisator-Molekül, dieses positiv geladen – und damit seiner Wirkung beraubt wird.

Photokatalyse


Des weiteren ist die Photokatalyse zu nennen, an der inzwischen diverse Teams arbeiten. Dabei geht es primär um die Entwicklung selbstreinigender Materialien, durch deren Umsetzung  sich Milliarden sparen ließen. Hierbei fangen nanometergroße Partikel aus Titandioxid (TiO2) die ultraviolette Strahlung des Sonnenlichtes ein und nutzen sie für eine Reinemachaktion, indem das Nano-Mineral mit Hilfe von Licht die chemische Zersetzung von organischen Stoffen beschleunigt. Mit der freigesetzten Energie werden chemische Bindungen in den anhaftenden Schmutzpartikeln geknackt, ob diese nun Fett oder Staub, flüssig oder fest sind. Oft bleibt nichts mehr übrig, als Wasser und Kohlendioxid – der ‚Dreck’ löst sich buchstäblich in Luft auf.

Titandioxid ist das zehnthäufigste Element der Erdkruste mit einem Anteil von 0,43 % der Erdoberfläche, es ist ungiftig und wird in seiner Rutil-Modifikation schon seit langem z.B. in Zahnpasta oder Wandfarben als Weißpigment eingesetzt.

Die japanischen Forscher Akira Fujishima und Kenichi Honda an der Universität Tokio entdecken den aktiven Reinigungseffekt des Titandioxides bereits 1967 (o. 1968).

Der vermutlich erste Bericht darüber wird 1972 unter dem Titel ‚The Effect of Photokatalysator TiO2’ in der Zeitschrift Nature veröffentlicht. Nachdem 1990 auch die Photodegradation der NOx-Gase durch TiO2 entdeckt wird, dauert es nicht lange, bis ab 1994 eine der ersten Umsetzungen in Form von antibakteriellen Fliesen erfolgt.

Erst in den späten 1990er Jahren stolpern die Japaner auch über einen passiven Reinigungseffekt: Wassertropfen zerfließen an Titandioxid schlagartig zu einem hauchdünnen Film, wodurch sich ein breiter Strom bildet, der den Staub mit sich fortreißt. Diese Superhydrophilie macht zusammen mit der Photokatalyse aus der Titanverbindung das ultimative Reinigungsmittel. Erst nach diesen beiden Entdeckungen wird die Industrie auf den molekularen Saubermann aufmerksam.

Prinzip der Photokatalyse

Prinzip der Photokatalyse

Im Mai 1999 erscheint an der Universität Tokio eine auch heute noch oft zitierte Publikation von A. Fujishima, K. Hashimoto und T. Watanabe unter dem Titel ‚TiO2 Photocatalysis Fundaments and Applications’.

Nach der Jahrtausendwende beginnt sich die Technologie rasant weiter zu verbreiten. Das Unternehmen Nano-X GmbH in Saarbrücken entwickelt beispielsweise selbstreinigende Fensterprofile, und das französische Unternehmen Saint-Gobain Glass verkauft seit 2004 selbstreinigendes Titandioxid-Fensterglas. In Japan gibt es bereits selbstreinigende Teppiche und Polstermöbel, ja sogar Anzüge und Socken.

Ebenfalls 2004 führt die Erlus AG in Neufahrn, Hersteller von Dach- und Kaminbaustoffen, einen selbstreinigenden Tondachziegel namens Lotus ein. Die eingebrannte Oberflächenveredelung zerstört mit Hilfe des Sonnenlichts organische Schmutzteilchen wie Fettablagerungen, Ruße, Moose und Algen, und der Regen wäscht sie ab. Da die Selbstreinigung bereits ab einer Temperatur von 10°C, einer Dachneigung von 20° und einem Lichteinfall von 30 % des durchschnittlichen Tageslichts reagiert, können die photokatalytischen Dachziegel auch an Nordseiten oder in schattigen Bereichen eingesetzt werden. Als Würdigung gibt es umgehend den Design iF Materialica Award 2004.

Ein Problem der Titandioxid-Reiniger, die nur etwa 3 % des Tageslichtes nutzen, nämlich den UV-A Anteil, ist, daß sie in Innenräumen, wo dieses ultraviolettes Licht fehlt, völlig versagen. Einer Forschergruppe der Universität Erlangen gelingt es jedoch, die Partikel so zu modifizieren, daß sie auch im sichtbaren Licht aktiv werden. Dies wird erreicht, indem einige Atome Stickstoff oder Kohlenstoff in das mineralische Oxid eingeschleust werden, wodurch sich die Farbe der Teilchen von Weiß in ein schwaches Gelb wandelt. In diesem Fall schlucken sie dann auch sichtbares Licht – und entfernen ganz ohne UV-Strahlen Flecken jeder Art.

Darauf aufbauend bietet das Unternehmen StoCretec GmbH aus Kriftel seit einiger Zeit eine Wandfarbe mit kohlenstoffdotiertem Titandioxid namens StoPhotosan an, die einen roten Farbstoff selbst bei schwachem Kunstlicht innerhalb von zehn Minuten zersetzt. Der positive Nebeneffekt: Auch Schadstoffe in der Raumluft werden vernichtet. Giftige chlorierte Phenole werden binnen fünf Stunden vollständig in ungefährliches Kohlendioxid und Wasser umgewandelt, und auch das krebserregende Formaldehyd sowie Dichlorethylen werden von der Wandfarbe aus der Raumluft gefiltert. 

Ab Ende 2006 testet die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg etwa 7 Monate lang die photokatalytische Wirksamkeit spezieller Dispersionsfarben der StoAG, Mutter der o.g. StoCretec. Die Ergebnisse (pdf) sind positiv, quantitativ allerdings noch nicht sehr überzeugend. 

Schon im Frühjahr 2005 erhält die prosys GmbH in Bremen das EU-Patent für ein katalytisch-fotochemisches Oxidationsverfahren für die Behandlung und den Abbau wassergefährdender Stoffe, wie z.B. Phenole, PAK, CSB und TBT. In einem selbstentwickelten Schlaufenreaktor wird der Fotokatalysator unter Einsatz von Luftsauerstoff und Licht direkt mit dem zu behandelnden Abwasser vermischt, wobei die Schadstoffe ohne den Zusatz von Chemikalien augenblicklich oxidieren und die vorhandenen Konzentrationen bis unter die geforderten Grenzwerte reduziert werden.

Ab etwa 2005 aktiv ist die Fraunhofer-Allianz Photokatalyse, deren Ziel es ist, neue Material- und Schichtkonzepte für leistungsfähigere Photokatalysatoren sowie deren Applikation auf unterschiedlichsten Substraten wie Glas, Kunststoffen und Metallen zu entwickeln. Neben dem Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie (ICT) in Pfinztal sind acht weitere Institute beteiligt, die breit gefächerte und umfassende Kompetenzen aufweisen.

An der TU Clausthal werden in diesem Jahr mit Förderung des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) photokatalytisch hochaktive Sol-Gel-Schichten auf Dachziegeln untersucht. Ihre Beschichtung erfolgt durch den Sol-Gel-Prozeß auf Basis von Titanisopropoxid als Ausgangsmaterial. Dabei handelt es sich um ein Verfahren zur Herstellung nichtmetallischer anorganischer oder hybridpolymerer Materialien. Als geeigneter Photokatalysator erweist sich Titandioxid in Form von Anatas, einem häufig vorkommendem Mineral.

Ziel des Projektes ist, die Applikation von TiO2-Schichten in den Brennprozeß von Dachziegeln bei über 900°C zu integrieren. Da sich das photokatalytisch hoch aktive Anatas bei Temperaturen ab 600°C in das weniger aktive Rutil umwandelt werden verschiedene Verfahren zur Stabilisierung von Anatas bei Temperaturen oberhalb von 600°C untersucht.

Ebenfalls im Jahr 2006 arbeiten Forscher im Arbeitskreis Photokatalyse und Nanotechnologie der Universität Hannover an sinnvollen Umsetzungen und initiieren eine Kooperation mit zwei Automobilunternehmen, um selbstreinigende Fahrzeugteile zu entwickeln. Das Interesse erstreckt sich insbesondere auf die Frontscheibe sowie auf sicherheitsrelevante Teile, wie Rückspiegel, die Abdeckungen der Frontscheinwerfer oder Sensoren.

Zu diesem Zeitpunkt arbeiten in Japan bereits mehr als 2.000 Unternehmen an der Entwicklung von Produkten, in denen der photokatalytische Effekt genutzt wird. Der neu entstehende Photokatalyse-Markt wird in Japan derzeit auf 500 – 600 Mio. $ geschätzt und soll laut japanischer Experten in den nächsten zwei Jahrzehnten auf mehrere zehn Milliarden Dollar wachsen. Dieser Markt umfaßt Produkte wie selbstreinigende Fenster, Fassadenelemente, Textilien, antimikrobielle Oberflächen, Antibeschlag-Beschichtungen, Spiegel- und Fensterbeschichtungen, Geräte zur Wasser- und Luftreinigung sowie zur Bodendekontamination.

Versuchsanlage der A.C.S.

Versuchsanlage der A.C.S.

Um das Jahr 2006 herum scheint auch die 2003 gegründete A.C.S. Aqua-Care-Systems GmbH in Walluf Versuche zur solar-photokatalytischen Wasserreinigung durchgeführt zu haben, in Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Außer wenigen Fotos und Allgemeinplätzen, daß das Verfahren für alle organischen Verunreinigungen einsetzbar ist, die Energie- und Chemikalienkosten gegenüber herkömmlichen Verfahren gering sind, und daß durch den Einsatz von Sonnenenergie die Energiekosten erheblich gesenkt werden können, war leider nichts darüber zu finden. Über klärende Beiträge der Leserschaft würde ich mich daher sehr freuen.

Im April 2007 startet am Deutschen Wollforschungsinstitut DWI der RWTH Aachen ein zweijähriges Forschungsprojekt, bei dem photokatalytisch aktive Beschichtungen für Textilien entwickelt werden sollen, die funktionieren, ohne daß der textile Träger selbst durch die Beschichtung angegriffen wird. Zur Herstellung dieser Beschichtungen werden erstmals neuartige Heterocoagglomerate entworfen, die aus einem flächigen Träger und photokatalytisch aktivem, nanoskaligem Titandioxid bestehen und in einer wässrigen Lösung zusammengesetzt werden können.

Die neue Beschichtung eignet sich für Filter, Zeltbahnen, Markisen und textile Bespannungen und kann sowohl direkt auf das Substrat als auch auf bereits beschichtete Oberflächen appliziert werden. Als Funktionsmuster genutzte, naß angeschmutzte Luftfiltervliese aus Polyester zeigen bereits nach 60 Minuten Bestrahlung mit Tageslicht eine praktisch vollständige Zersetzung des adsorbierten Schmutzes.

Ebenfalls 2007 wird eine vergleichende Untersuchung verschiedener Betonprodukte durchgeführt, um Effizienz ihrer luftreinigenden, photokatalytischen Oxidation (PCO) unter Laborbedingungen zu überprüfen. Die Ergebnisse sollen im Erfolgsfall für die Planung eines Demonstrationsprojektes in der niederländischen Gemeinde Hengelo verwendet werden. Im Rahmen einer Sanierungsmaßnahme soll dort der vorhandene Pflasterbelag einer Straße auf einer Fläche von ca. 1.000 m2 gegen photokatalytisch aktive Pflastersteine ausgetauscht werden.

Mitte 2008 wird in Barsinghausen bei Hannover sogar ein kompletter Straßenzug mit 42 Mehrfamilienhäusern, die zusammen rund 10.000 m2 Dachfläche haben, mit neuen, photokatalytisch-aktiven ClimaLife-Dachsteinen des Herstellers Dachziegelwerke Nelskamp GmbH aus Schermbeck  eingedeckt.

Ende 2008 findet eine japanische Arbeitsgruppe um Osamu Ishitani vom Tokyo Institute of Technology einen Weg zur praktischen Anwendung des supramolekularen Ruthenium-Rhenium (Ru-Re) Komplexes als Photokatalysator, der das Sonnenlicht nutzt, um CO2 zu CO zu spalten, welches anschließend als Grundstoff der chemischen Verfahrenstechnik verwendet werden kann. Das Team kombiniert hierbei einen Re-Komplex, der CO2 effizient reduzieren kann, mit einem Ru-Komplex, der auf sehr raffinierte Weise Licht im sichtbaren Bereich des Sonnenspektrums absorbiert.

Hikari-Beschichtung

Hikari-Beschichtung

In den USA macht die Firma Green Come True aus Irvine, Kalifornien, von sich reden, die sich selbst an die Photocatalyst Company vermarktet. Die Produkte des Unternehmens basieren auf einer patentierten Technologie, die von Hiromichi Ichinose am Saga Ceramic Research Institute in Japan entwickelt wurde. Mitbesitzer dieser Patente ist interessanterweise die Präfektur Saga selbst. Wichtigster Wettbewerbsvorteil ist, daß die von dem japanischen Partner hergestellten Produkte zu 100 % auf Wasser basieren. Denn während der TiO2-Kristall in der Natur nicht wasserlöslich ist, macht die patentierte Technologie eben dies möglich. Was nicht nur gesünder ist, sondern auch den Einsatz stark vereinfacht.

Im Gegensatz zu anderen Beschichtungsmethoden, die oftmals auf einer zusätzlichen ‚Klebeschicht’ beruhen, kommt die sogenannte Hikari-Beschichtung mit einem äußerst dünnen Vorstrich aus (Primer P85).

Mitte 2009 meldet die Presse, daß eine Forschungsgruppe an der kanadischen Lakehead University um den Chemiker Aicheng Chen zwei bekannte Methoden zur Abwasseraufbereitung erfolgreich kombiniert hat. Das neue Verfahren verbindet die Photokatalyse mit der elektrochemischen Oxidation und soll sogar problematische Schadstoffe entfernen können, die biologisch nur schwer abbaubar sind. Sowohl Photokatalyse als auch elektrochemische Oxidation sind in der Wasseraufbereitung zwar schon gründlich untersucht worden, doch ihre Effizienz war bislang nicht hoch genug, um ihren Einsatz wirtschaftlich zu machen.

Um nun beide Methoden zu verbinden, konstruiert Chen eine Doppelelektrode, deren eine Seite mit einem Photokatalysator, die andere mit einem Elektrokatalysator beschichtet ist – was bislang noch niemand versucht hat. Damit gelingt es, Nitrophenole zu entfernen, organische Verbindungen, die häufig in der Industrieproduktion von Medikamenten, Pestiziden und Farbstoffen genutzt werden und ins Abwasser gelangen. Mit dem neuen Verfahren werden innerhalb von drei Stunden etwa 85 % der Nitrophenole in harmlosere Bestandteile aufgelöst. Bis Ende des Jahres will die Forschungsgruppe eine Pilotanlage bauen, um das neue Verfahren auch an anderen Schadstoffen und mit größeren Abwassermengen zu testen. Ein Patent wird ebenfalls angemeldet.

Charakteristisch für die rasante Entwicklung ist eine Stellenanzeige der Arbeitsgruppe Photokatalyse mit Halbleitern am Institut für Physikalische Chemie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, wo verschiedene Bachelor-, Master- Diplom- oder Postdocarbeiten ausgelobt werden, die sich um die wichtigsten Elemente und Schritte der Photokatalyse drehen, das das Arbeitsgebiet über den bisherigen Schwerpunkt der Herstellung neuartiger Solarzellen hinaus ausgebaut werden soll. Die zu bearbeitenden Themen sind:

  • Solarzelle auf TiO2-Basis mit CdSe-/CdTe-Quantenpunkten als Sensibilisatoren für Sonnenlicht
  • TiO2/CdSe/CdTe sensibilisierte Wasserspaltung zu H2 und O2 durch Sonnenlicht
  • Chemische Reduktion von CO2 zu organischen Substanzen (Ziel: Methanol) durch TiO2/CdSe/CdS-Verbundnanoteilchen
  • Abwasserreinigung durch photokatalytische Oxidation von Bakterien und organischen Substanzen auf TiO2/CdSe/CdS-Basis.
  • Durch TiO2/CdSe/CdS-Beschichtung selbstreinigende, hydrophile Fenstergläser und Spiegel

Im Februar 2010 veröffentlicht ein internationales Forschungsteam um den Materialwissenschaftler Jian Ku Shang von der Universität Illinois, an dem auch Forscher vom Shenyang Nationallabor für Materialwissenschaften in China beteiligt sind, einen Bericht über die Entwicklung eines Photokatalysators, der Wasser nicht nur mit UV-, sondern auch mit sichtbarem Licht desinfizieren kann und sogar weiterarbeitet, wenn das Licht ausgeschaltet wird.

Die Aktivität vom ultravioletten in den sichtbaren Wellenlängenbereich zu verschieben, ist deshalb sinnvoll, weil das Sonnenspektrum, das die Erdoberfläche erreicht, nur 5 % UV-Strahlung, aber 46 % sichtbares Licht enthält. Außerdem macht die die Verschiebung bzw. Erweiterung auch künstliche Lichtquellen innerhalb von Gebäuden nutzbar, die einen nur sehr geringen UV-Anteil haben. Der neue Photokatalysator, der bei Wellenlängen sichtbaren Lichts zwischen 400 und 550 Nanometern aktiv ist, besteht aus Titandioxid-Fasern, deren Struktur mit Stickstoff dotiert ist. Da diese Mischung Bakterien aber nicht besonders effektiv tötet, werden noch Palladium-Nanopartikel hinzugefügt. Auf der Oberfläche der Fasern sitzend, erhöhen sie die Wirkung des Katalysators beträchtlich. Bei einem Test fällt innerhalb einer Stunde die Bakterienkonzentration von einer Million Kolibakterien pro Liter auf 10.000 Zellen.

Hochstabile Nanopartikel aus Palladium herzustellen, ist das Ziel der Wissenschaftler des Forschungszentrums Rossendorf (FZR) seit 2006. Sie nutzen dabei die Eiweißhülle des Bakteriums Bacillus sphaericus JG-A12 als Trägerschicht, das 1997 von einem Biologenteam des FZR in der Uranerz-Abfallhalde Johanngeorgenstadt in Sachsen entdeckt worden war. Das Bakterium schützt sich mit dieser Hülle vor dem Schwermetall Uran und kann damit auch in seiner direkten Umgebung überleben. Ich erwähne dies hier, weil die entsprechende Grafik einen guten Eindruck von der strukturellen Einbettung der Palladium-Nanopartikel und eine geordnete Trägerschicht gibt.

Doch zurück zu dem Titandioxid-Faser-Photokatalysator der Universität Illinois, denn besonders interessant ist, wie sich das neue Material im Dunkeln verhält, nachdem es zuvor Licht ausgesetzt worden war. Normalerweise stoppt die Aktivität von Photokatalysatoren sofort, wenn das Licht ausgeht, denn die chemischen Verbindungen, die durch den Lichteinfall entstehen, existieren nur für wenige Nanosekunden. Wird dagegen das neue Material fünf Minuten lang beschienen, so bleibt es auch im Dunkeln noch genauso lange aktiv. Wird die Versuchsanordnung nach zehn Stunden im Sonnenlicht ins Dunkle gebracht, dann bleibt der Photokatalysator sogar noch 24 Stunden lang aktiv!

Grund dafür sind die Palladium-Nanopartikel, welche die Elektronen, die durch das Auftreffen der Photonen entstehen, absorbieren und dadurch den Abbau von Hydroxyl-Radikalen unterbinden, die Bakterien den Garaus machen. Dabei laden sich die Palladium-Teilchen negativ auf, und wenn das Licht abgeschaltet wird, geben sie ihre Ladungen ganz langsam wieder ab. Die freigesetzten Ladungen reagieren wiederum mit dem Wasser, sodaß sich auch im Dunkeln weiterhin oxidierende Moleküle bilden, die die Bakterien angreifen. Außer Palladium sollen auch andere Übergangsmetalle, etwa Silber, diese verstärkende Wirkung haben.

Während der Dachmesse in Köln im März 2010 stellt die Icopal GmbH aus Werne eine Eco-Activ genannte Elastomerbitumen-Schweißbahn vor, die durch Photokatalyse luftreinigend wirkt und bei Sonneneinstrahlung eine Stickoxid-Reduzierung von mehr als 80 % in wenigen Minuten erzielt. Laut Icopal sollen 100 m2 mit Eco-Activ belegte Dachfläche pro Jahr soviel Stickoxid neutralisieren, wie ein Euro-4 PKW auf 15.000 km Fahrstrecke erzeugt.

In Italien hat man mit Straßenbelägen, die photokatalytisch Stickoxide und andere Schadstoffe in der Luft abbauen, bereits positive Erfahrungen gesammelt  Mit Unterstützung der Kronos International Inc. wird nun in Kaiserslautern die Initiative photoaktive Baustoffe gegründet, die als erstes in mehrmonatigen Versuchsreihen auf einem Prüfgelände die umweltaktiven Baustoffe ihrer Mitglieder testet:

  • den Pflasterstein AirClean des Herstellers Franz Carl Nüdling Basaltwerke GmbH + Co. KG (FCN)
  • die Frankfurter Pfanne Titano/x der Monier Braas GmbH
  • die Fassadenfarbe Soldalit-ME mit MiNOx-Effekt der Firma KEIMFARBEN GmbH & CO. KG.

Im August 2010 erscheint ein Bericht des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie (IME), das die Versuchsreihen wissenschaftlich begleitet, in welchem die die luftreinigende Wirkung des AirClean Pflastersteins bestätigt werden.

Bei den Pflastersteinen, die bei FCN seit 2005 entwickelt werden, ist der Katalysator Titandioxid in Form von Nanopartikeln fest in die Zementmatrix eingebunden, wird jedoch nur an der Oberfläche aktiv, also an der Grenzfläche Luft/Stein/Licht. Nachdem schnell klar wird, daß mit handelsüblichen Katalysatoren kein ausreichender Reinigungseffekt erzielbar ist, werden von der FCN eigene, bessere Rezepturen entwickelt. Tatsächlich lassen sich nach der Optimierung, und besonders bei Windstille, ausgesprochen hohe Werte bei der Umwandlung von Stickmonoxid und Stickstoffdioxid feststellen (um 18 %), was später auch durch Vorort-Messungen am Gothaer Platz in Erfurt belegt werden kann.

AirClean-Plaster Test

AirClean-Plaster Test

Zwei Fragen sind allerdings noch offen: die Langzeitstabilität, die gerade bei Straßenbelägen in Jahrzehnten gemessen wird, sowie das Verhalten bei Verschmutzung der Wege mit Reifenabrieb, mineralischen Ablagerungen oder ölhaltigen Reagenzien. Außerdem ist der Preis nicht ohne, denn zu dem Quadratmeterpreis von 7,50 € für normale Pflastersteine kommen für die –Beschichtung noch einmal 5 – 6 € hinzu. Höchste Zeit für Mitbewerber, denke ich.

Das Unternehmen hat in Fulda, Erfurt und Bad Salzungen bereits einige Plätze und Gehwege mit dem photokatalytischen Stein versehen. Im Februar 2011 erhält es für das AirClean-Pflaster eine Auszeichnung im Wettbewerb ‚365 Orte im Land der Ideen’.

Die japanische Firma TOTO wiederum bietet eine photokatalytische Oberflächenveredelung für Gebäudefassaden, Glasflächen und Fliesen an, die bereits an mehreren tausend Gebäuden weltweit erprobt ist. Das Unternehmen ist Japans führender Hersteller von Sanitärkeramik und gilt seit seiner Gründung im Jahr 1917 als ein Vorreiter bei der Badezimmerkultur. Ein Schwerpunkt des Unternehmens liegt auf der Entwicklung neuer Technologien, die ihre Anwendung dann teilweise auch in ganz anderen Bereichen finden.

Das Hydrotect genannte superhydrophile Material läßt sich auf alle glatten Oberflächen wie Beton, Glas, Keramik oder Kunststoff aufbringen. Die Firma hat die Technologie seit den 1990er Jahren ständig weiterentwickelt und hält inzwischen mehr als 350 Patente und Patentanmeldungen im Bereich der Photokatalyse. Unter den Referenzen nennt TOTO die Glasfassade des Flughafengebäudes im japanischen Kitakyushu, die mit Hydrotect gegen Schmutz geschützt wird. Auch die gesamte Fassade der ‚nachhaltigen Fabrik’ des Automobilherstellers Toyota in Aichi wird damit behandelt, ebenso wie die Fliesen-Fassade eines Einkaufszentrums der Supermarktkette Albert Heijn im niederländischen Roermond. In Deutschland nutzt die Deutsche Steinzeug Breuer & Cremer AG Hydrotect bereits seit zehn Jahren für ihre Wandfliesen.

Anfang 2011 wird gemeldet, daß der Nanowissenschaftler Rüdiger Faust und seine Mitarbeiter am Institut für Chemie und am (wohl sehr anglophilen) Center for Interdisciplinary Nanostructure Science and Technology (CINSaT) der Universität Kassel seit etwa einem Jahr Spezialfarben aus winzigen Farbstoffmolekülen und Titandioxid-Nanopartikeln entwickeln, die als Anstrich auf Schallschutzwänden, Leitplanken und Brücken entlang der Straßen die Luft reinigen könnten. Nun wollen die Forscher gemeinsam mit Kollegen der Universitäten Hannover und Dresden sowie Partnern aus der Industrie klären, ob sich die Photokatalyse tatsächlich effizient zur Luftreinigung einsetzen läßt (was ja eigentlich schon klar sein sollte). Das auf drei Jahre angelegte Projekt HelioClean wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) jedenfalls mit 2,3 Mio. € gefördert.

Das bereits entwickelte Hybridmaterial aus miteinander verzahnten Farbstoffmolekülen und Titandioxidteilchen in Nanogröße soll durch die modifizierten Farbstoffe bewirken, daß der Oxidationsprozeß nicht nur unter UV-Licht in Gang kommt, sondern auch dann, wenn langwelliges Licht auf die Titandioxidpartikel trifft, das weniger energiereich ist. Eingesetzt werden Phthalocyanine, Farbstoffe in den Tönen Grün und Blau, die auch bei Tinten und Autolacken benutzt werden. Die Forscher arbeiten daran, den Wirkungsgrad des Energieumsatzes weiter zu optimieren, denn Ziel ist eine Rezeptur, mit der die photokatalytischen, reinigenden Farben in industriellem Maßstab gefertigt werden können.

Mitte 2011 soll ein Praxistest zeigen, ob ein großflächiger Einsatz der neuen Farbe zur Luftreinhaltung sinnvoll ist. In Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Straßenwesen werden Schallschutzwände entlang eines 200 m langen Autobahnabschnitts mit den modifizierten Photokatalysatoren beschichtet, wo sie die gesundheitsschädlichen Stickoxide der Abgase in Nitrat umwandeln sollen, das dann – so hoffen der Forscher – einfach vom Regenwasser abgewaschen werden würde.

Daß die Thematik langsam ‚ankommt’ zeigt sich auch in der Gründung des Fachverbands angewandte Photokatalyse (FAP) im März 2011 auf Initiative von Mitgliedsunternehmen des Verbandes der Mineralfarbenindustrie e.V. Gründungsmitglieder sind 13 Unternehmen aus der Pigment-, Baustoff- und Coatingbranche. Der Fachverband soll als gemeinsame Plattform dienen, um das Thema Photokatalyse differenziert zu diskutieren, Aufklärungsarbeit bei Verbrauchern und öffentlichen Entscheidern zu leisten, und zur Verbreitung von photokatalytischen Anwendungen beizutragen, wie es in der Pressemitteilung heißt. Neue Anwendungsgebiete sollen erschlossen, und durch den Dialog mit der Wissenschaft auch die Forschung & Entwicklung forciert werden.

Die Produktpalette photokatalytischer Schichtsysteme ist Mitte 2011 bereits relativ groß und umfaßt Spiegel, selbstreinigende Fenster (z.B. Activ Clear von Pilkington), Fensterrahmen (z.B. von Nano-X GmbH), Dachziegel (z.B. ClimaLife von Nelskamp; Titano/x von Braas; Lotus von Erlus u.a.), Pflastersteine (s.o.), Wandfarben (z.B. CapaSan von Caparol; Frischeweiß von Auro; Climasan von StoCretec u.a.), Markisen usw. Vor allem im asiatischen Raum sind auch Produkte aus TiO2-haltigen Papieren weit verbreitet, zum Beispiel als Windeln, Filtermasken, Jalousien, Bespannungen und Papiertapeten. TiO2-Beschichtungen für selbstreinigende Zeltkonstruktionen, Gardinen- und Dekostoffe sowie Teppichböden sind ebenfalls bereits kommerziell erhältlich. Die starke photokatalytische Aktivität bewirkt allerdings eine unselektive Zersetzung jeglichen organischen Materials, zum Teil auch der textilen Substratmaterialien und Papiere.


Die meiste Entwicklungsarbeit wird aber noch immer in die photoelektrische Nutzung gesteckt, d.h. in die Entwicklung von Siliziumzellen und ihren Geschwistern, Verwandten, Nachfolgern und Bekannten.... eine sehr, sehr große Familie, deren Mitglieder nun im Einzelnen betrachtet werden sollen.


Weiter...