allTEIL C

MICRO ENERGY HARVESTING

 

Das Verborgene sehen wir letztendlich, beim völlig Offensichtlichen dauert es anscheinend etwas länger.

Edward R. Murro

 

Die Zeit wird kommen, wo unsere Nachkommen sich wundern, daß wir so offenbare Dinge nicht gewußt haben.

Seneca

 

Den Ausspruch „alles ist Energie“ hat wohl jeder Mensch schon einmal gehört – sei es in Verbindung mit physikalischen Theorien von atomaren Strukturen bis hin zu Quantenzuständen, oder sei es in Bezug auf kosmische oder esoterische Sichtweisen der Realität(en).

Von einer Umsetzung dieser Erkenntnis war jahrzehntelang aber nichts zu bemerken. Jedenfalls nicht in der akademischen Welt der Wissenschaft. Und Außenseiter hatten kaum eine Chance angehört zu werden – geschweige denn, daß sich jemand ernstlich mit ihren Vorschlägen befaßt hätte, neuartige Energiewandler zu untersuchen, die sich aus bislang (noch) nicht definierten Quellen speisen. Und so dauerte es viele Jahre bis endlich anerkannt wurde, daß es tatsächlich noch diverse neue Energiereservoirs gibt, von denen bisher niemand etwas geahnt hatte. Und daß stets noch weitere entdeckt werden...


Als Initialzündung des Forschungsgebiets, das inzwischen als Micro Energy Harvesting (MEH) bezeichnet wird, gilt die Entwicklung des legendären Joggingschuhs von Joe Paradiso, einem Forscher am Massachusetts Institute of Technology (MIT) im amerikanischen Cambridge, der Ende der 1990er ein gewöhnliches Laufmodell präsentiert, das bei jedem Schritt einen schwachen elektrischen Puls durch die Sohle jagt. Die ins Gummi eingearbeiteten piezoelektrischen Keramiken geben, wenn man sie verformt, genügend Energie ab um z.B. einen kleinen GPS-Navigationssender zu betreiben.

Der Schuh wird zwar nie bis zum Serienprodukt weiterentwickelt, doch andere übernehmen die Idee und realisieren sie auf verschiedenste Weisen. Ich berichte darüber ausführlich in dem entsprechenen Absatz Rucksack und Laufschuh im Kapitel Muskelkraft (s.d.).

In der Industrie und in der Gebäudetechnik spricht man übrigens weniger vom Energy-Harvesting (EH), sondern einfach von energieautarken Systemen.


Und natürlich gibt es auch hier Vorläufer. Diverse Umsetzungen von verblüffender Nachhaltigkeit beweisen zudem, daß unsere Vorfahren anscheinend intelligenter waren als die nachfolgenden Generationen, die sich vom ‚billigen Öl’, vom ‚sauberen Atomstrom’ und ähnlichen Märchen haben blenden lassen. Der Piezo-Effekt wird beispielsweise schon 1880 entdeckt: Bei bestimmten Materialien – zumeist Kristallen – bildet sich eine elektrische Spannung, wenn man sie verformt. Inzwischen wird dieser Effekt in zahlreichen Geräten genutzt, z.B. in Tintenstrahldruckern, Quarzuhren und elektrischen Feuerzeugen.


Es gibt zahlreiche weitere Effekte, die eine Energieausbeute erlauben. Als Beispiel soll die Geschichte der Nutzung des atmosphärischen Luftdrucks zum Betrieb von Uhrwerken dienen.


Der Amsterdamer Regent und Bürgermeister Jakob Dircksz de Graeff und der studierte Mediziner, Chemiker und spätere Ratsherr Pieter Jansz Hooft, die in Amsterdam gemeinsam ein chemisches Labor führen, erfinden ein ,Perpetuum Mobile’, das tatsächlich funktioniert – da es seine Energie aus den Veränderungen der Lufttemperatur und des Luftdrucks gewinnt. Es wird daher auch als Barometrische Uhr bezeichnet.

Das von Hiesserle von Choda veröffentliche Bild des Geräts zeigt eine äußere Glasröhre, durch die sich eine Flüssigkeit bewegt (C und D), die wie bei Ebbe und Flut steigen und sinken soll.

Die Erfindung wird 1604 von dem Muskelkraft-U-Boot Konstrukteur Cornelis Jacobszoon Drebbel am Hof des englischen Stuart-Königs Jakob I. präsentiert, wobei Drebbel sie als sein eigenes Werk ausgibt und als Beleg ein im Jahr 1598 erhaltenes Patent vorweist.

Der Schmuh fliegt auf, als er sich als unfähig erweist, die durch eine Unvorsichtigkeit der Königin kaputt gegangene Maschine zu reparieren. Einer von Drebbels Nachfahren verschludert später auch noch die Reste des Geräts, sodaß eine genauere Beschreibung oder gar Rekonstruktion bisher nicht erfolgen konnte.

Cox’s Timepiece Grafik

Cox’s Timepiece
(Grafik)


Als erstem gelingt es dem französischen Uhrmacher Le Plat im Jahre 1751 die Luft als Antrieb zu gebrauchen, wobei er allerdings Zugluft mittels eines großen Schaufelrades ausnutzt – sodaß man hier auch von einem windbetriebenen Uhrwerk sprechen könnte.


Der englische Automatenbauer und Uhrmacher James Cox nutzt zusammen mit dem belgischen Konstrukteur Jean-Joseph Merlin (der u.a. auch einen Rollschuh erfindet) in den 1760er Jahren Luftdruckschwankungen als Antrieb für eine Bodenstanduhr, die unter dem Namen Cox’s Timepiece (o. Cox’s perpetual motion) bekannt wird.

Sie soll zur Erfassung der Luftdruckveränderungen 68 kg Quecksilber enthalten haben.


Die erste rein durch den Luftdruck betriebene Uhr gelingt rund einhundert Jahre später dem österreichischen Ingenieur Friedrich Ritter von Lössl. Im Jahr 1880 wird die erste von Lössl angefertigte autodynamische Uhr im Cottagegarten in Wien aufgestellt. Die Werke und Aufzugsvorrichtungen seiner Uhren sind bald so ausgefeilt, daß er ihre Betriebssicherheit über Jahrzehnte garantiert.

Die sich selbst durch die Luftdruckschwankungen aufziehende Lössl-Uhr auf dem Foto steht bis 1894 in Wien, muß dann aber dem Stadtbahn-Bau am Währingergürtel weichen. Lössl schenkt sie daraufhin 1897 der Gemeinde Aussee (heute Bad Aussee), wo sie noch immer steht – inzwischen aus unerfindlichen Gründen allerdings elektrisch betrieben, so als ob es heutzutage keine Luftdruckschwankungen mehr gäbe.


Der Schweizer Ingenieur Jean-Léon Reutter entwickelt 1928 die ersten Prototypen einer Tischuhr, die ihre Energie aus kleinsten atmosphärischen Veränderungen schöpft, und erhält bereits ein Jahr später das französische Patent dafür. Im Gegensatz zu der rein mit Umgebungsluft funktionierenden Lössl-Uhr verwendet Reutter als Arbeitsmittel für seine Uhr ein Flüssigkeitsgemisch, das ebenso auf Temperatur- wie auch auf Luftdruckschwankungen reagiert.

Weitere Konstrukteure, die an dem Konzept weiterarbeiten sind C. Paganini und T. Dieden.


Seit Antoine LeCoultre im Jahr 1833 seinen ersten Uhrenladen in Le Sentier eröffnet hat, und bis heute, profiliert sich die Genfer Uhrenmanufaktur Jaeger Le Coultre mit der genialen Erfindung Reutters, schon minimale Temperaturunterschiede dienstbar zu machen - beispielsweise mit der Tischuhr Atmos. Diese Technik kann als eine der ersten neueren praktischen Umsetzungen auf dem Feld des Energy-Harvesting betrachtet werden.

Standuhr Atmos Classique

Atmos Classique

Die anfänglichen Entwürfe arbeiten noch mit der Ausdehnung einer Quecksilbersäule, später wird ein Gasgemisch eingestzt. In den 1930er Jahren übernimmt Jaeger LeCoultre den Entwurf von Reutter, patentiert die Uhr und baut sie seitdem in Serie. Heute verwendet man bei Jaeger LeCoultre Äthylchlorid, das bereits bei 12°C verdampft. Das Geheimnis liegt in den Stoffwerten des Arbeitsmittels, das Ärzten auch als Anästhetikum bekannt ist.

Die Technologie ist an sich recht einfach: In einer Druckdose befindet sich ein Gasgemisch, das sich bei steigender Temperatur ausdehnt und bei sinkenden Temperaturen zusammenzieht. Diese Bewegung wird ausgenutzt, um die Antriebsfeder der Uhr aufzuziehen. Da es diese Schwankung schon zwischen Tag und Nacht gibt, kommt die Uhr ohne jede Batterie und ohne jedes Aufziehen aus. Ihr genügt ein Temperaturunterschied von nur einem Grad, um 48 Stunden lang zu laufen.

Das wirklich geniale an der Atmos-Uhr ist jedoch, daß man sie kaufen kann, daß sie funktioniert, und daß sie außerdem noch zwei gemeinhin als gültig erscheinende Annahmen widerlegt: erstens, daß die Umwandelbarkeit der Wärme in Arbeit unabhängig von Stoffeigenschaften sein soll, und zweitens, daß eine Maschine, die aus der Wärme der Umgebung Arbeit gewinnt – also ein Perpetuum mobile zweiter Art – unmöglich sei.

Thermodynamisch gesehen ist zwar nur ein Perpetuum mobile erster Art unmöglich, aber die tatsächliche, bereits langjährige Existenz eines Perpetuum mobile zweiter Art erstaunt zumindest.

In dem Moment jedoch, in welchem das Reservoir der genutzten Energie bekannt ist, kann man auch getrost auf derart irreführende Bezeichnungen verzichten – denn die Energiequelle der Atmos-Uhren liegt ja im wahrsten Sinne des Wortes in der Luft.

Da diese Uhr in der Schweiz einen großen symbolischen Wert besitzt und als Aushängeschild für die andauernde Funktion und exakte Präzision eines schweizer Uhrwerks dient, wird sie von der Schweizer Regierung noch heute an Staatsgäste und Prominente verschenkt. Dabei wird es sich möglicherweise um eines der 76 Exemplare des Modells Atmos 566 handeln, das von dem Designer Marc Newson aus durchsichtigem und blauem Baccarat-Kristall entworfen wurde und neben der Zeit auch die aktuelle Sternkarte anzeigt – und zwischen 2.600 $ und 70.600 $ kostet.


Als ein weiterer Vorreiter des Energy-Harvesting muß der Elektroingenieur und Erfinder Nikola Tesla betrachtet werden, der sich neben der drahtlosen Übertragung von Elektroenergie durch Induktion auch mit Vorrichtungen zur Nutzung und Verwendung von Strahlungsenergie beschäftigt und 1901 zwei entsprechende Patente dafür erhält (US-Nr. 685.957 und 685.958). Darin zählt er im Einzelnen UV-Licht, Kathoden- und Röntgenstrahlen auf, die in Strom umzuwandeln sind.

Zudem berechnet Tesla die Resonanzfrequenz der Erde, wobei er davon ausgeht, daß die elektromagnetischen Wellen mit dieser Frequenz (6 – 8 Hz) von dem Planeten durch Blitze erzeugt werden. ,Offiziell’ entdeckt wird das Phänomen der Erdresonanzfrequenz allerdings erst im Jahr 1952 von den Physikern Winfried Otto Schumann und Herbert L. König, die es in den Folgejahren an der TU München experimentell weiter untersuchen. Als sie es 1960 auch nachweisen können, verbreitet sich dafür bald der neue Name Schumann-Resonanz.

Die Grundwelle der Schumann-Resonanz liegt bei 7,8 Hz, dazu kommen noch verschiedene Oberwellen zwischen 14 und 45 Hz. Die elektromagnetischen Wellen dieser Frequenzen bilden stehende Wellen entlang des Umfangs der Erde, die durch Blitze und andere Vorgänge in der Atmosphäre und der Ionosphäre ,angeheizt’ werden. Über einige Ansätze und Methoden, diese Energien zur Stromerzeugung zu nutzen, werde ich weiter unten noch ausführlich berichten.


Inzwischen gibt es bereits eine ganze Reihe von Produkten aus der Sparte des Energy-Harvesting. Hierzu ein Beispiel:

Im Jahr 2001 wird als Spin-off der Siemens AG die EnOcean GmbH gegründet, mit Sitz in Oberhaching bei München, die eine wartungsfreie und flexible ‚batterielose Funksensorik’ entwickelt und vermarktet. Die Grundidee beruht auf einer einfachen Beobachtung: Wenn Sensoren Meßwerte erfassen, ändert sich dabei auch immer der Energiezustand. Wird ein Schalter gedrückt, oder ändert sich die Temperatur oder variiert die Beleuchtungsstärke, dann wird dadurch stets genug Energie erzeugt, um Funksignale über eine Entfernung von bis zu 300 m zu senden. Diese Technologien werden inzwischen unter dem Stichwort Low-power design vermarktet. Ich werde später noch weitere Beispiele und Umsetzungen präsentieren.


Über das immense Energiereservoir der Umgebungswärme, welche oftmals als Anergie bezeichnet wird – im Sinne von Abfallenergie bzw. (bislang) nicht nutzbarer Energie –, habe ich schon in den Teilen A und B berichtet. Im Kapitel Wärmeenergie dieses Teiles C werden außerdem diverse Methoden vorgestellt, wie man mit geringen Temperaturunterschieden trotzdem wirkungsvoll Nutzenergie bzw. Exergie bereitstellen kann. In Bezug auf das Energy-Harvesting werde ich den aktuellen Stand der Technik ebenfalls weiter unten ausführlich vorstellen. Diese Nutzungsform des MEH ist eine derjenigen, die das größte wissenschaftliche und kommerzielle Interesse wecken.


Seitdem es den übergeordneten Fachbegriff des Energy Harvesting (EH) gibt, geht alles sehr viel schneller voran. Erstmals wird ernsthaft davon ausgegangen, daß es tatsächlich eine Überfülle unterschiedlichster nutzbarer Energieformen um uns herum gibt.

Mit Förderung der DFG und Industriepartnern nimmt im Oktober 2006 an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg das neue Graduiertenkolleg Micro Energy Harvesting seine Tätigkeit auf, als deutschlandweit erstes großes Forschungsvorhaben zum Thema Energy Harvesting. Sein Ziel ist die systematische Erforschung, Entwicklung und Anwendung von Methoden zur Energiewandlung, Energiespeicherung und -verteilung für autonome Mikrosysteme.

Neun Professoren und vier Nachwuchswissenschaftler aus dem Institut für Mikrosystemtechnik (IMTEK) und dem Freiburger Materialforschungszentrum (FMF) werden gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (FhG-ISE) als assoziierter Partner zukünftig Forschungsarbeit leisten, wobei 16 DFG-finanzierte Stipendien sowie ein wissenschaftlicher Koordinator zur Verfügung stehen. Der Etat beträgt 2,4 Mio. € über 4,5 Jahre Laufzeit (andere Quellen nenen einen Förderzeitraum bis 2015). Weitere fünf Industriestipendien stammen vom Forum für Angewandte Mikrosystemtechnik (FAM) sowie von überregionalen Industrieunternehmen.

Für die Wissenschaftler stellt das ‚Ernten’ von thermischer, mechanischer, optischer oder chemischer Energie aus der Umgebung eines Mikrosystems ein neues, hochinnovatives und aussichtsreiches Konzept dar, um verteilte Systeme ohne Stromkabel oder Batterien mit Energie zu versorgen. Diese dezentralisierten Mikrosysteme verbreiten sich im Moment in rasch wachsender Zahl in unterschiedlichen Bereichen. Im Kraftfahrzeug z.B. erfaßt eine große Zahl von Sensoren den Reifendruck, die Öltemperatur und wichtige Motorkennzahlen, während in der Medizintechnik portable und implantierte Meßsysteme für Blutdruck, Puls oder Blutzuckergehalt im Einsatz sind. Verteilte Sensor- und Aktorsysteme der Gebäudetechnik bestimmen Temperatur, Feuchte, CO2-Gehalt und Beleuchtungsstärke und steuern Licht-, Heizungs- und Klimatechnik. In der Produktionstechnik kontrollieren Netzwerke von Sensoren und Aktoren den Ablauf der Fertigungsverfahren.

Der Einsatz von Mikrosystemen erfordert jedenfalls hoch zuverlässige, technisch einfache und langlebige Energieversorgungsmethoden, die außerdem eine vollständige Wartungsfreiheit aufweisen müssen. Wie sinnvoll die Entwicklungen dieses Sektors sind, der versucht, den Einsatz von Batterien zu reduzieren, geht aus einer Schätzung hervor, die während der Konferenz IDTechEx Energy Harvesting Europe in München im Mai 2010 bekannt wird, und der zufolge in Europa in den nächsten 50 Jahren 253 Milliarden nicht recycelbare Batterien auf Deponien landen werden, falls es nicht gelingt, bessere Alternativen zu finden.


Wie wichtig die Sparte inzwischen geworden ist, zeigt der Verkaufspreis einer entsprechenden Studie vom Februar 2009. Für die detaillierte Fachinformationen Energy Harvesting, Micro Batteries and Power Management ICs: Competitive Environment verlangt die irische Firma Research and Markets den stolzen Preis von 1.593 €. Genau zeitgleich geht auch das Energy Harvesting Journal online. Ein im Oktober 2010 aktualisierter 357-Seiten-Bericht Energy Harvesting and Storage for Electronic Devices 2010-2020 kostet dort als elektronische Ausgabe 3.750 $, der Papierausdruck schlägt mit zusätzlichen 250 $ zu Buche. Die Ausgabe von 2012 wird bereits mit 3.995 $ berechnet.


Eine Dekade später wird noch immer fleißig geforscht. Als Beispiel sei das Projekt FAST-SMART (FAST and Nano-Enabled SMART Materials, Structures and Systems for Energy Harvesting) genannt, bei dem preiswerte und nachhaltige Materialien und Systeme für das Energy Harvesting entwickelt werden sollen, die einen höheren Wirkungsgrad erzielen. Dabei liegt das Augenmerk primär auf piezoelektrischen und thermoelektrischen Systemen, die in dieser Übersicht noch ausführlich präsentiert werden.

Das von der Europäischen Kommission mit knapp 7 Mio. € geförderte Projekt läuft vom April 2020 bis zum März 2024, umfaßt 13 internationale Kooperationspartner aus acht Ländern und wird von der University Strathclyde in Glasgow koordiniert. In Deutschland ist ein Team um Prof. Christoph Hartl an der TH Köln für die Implementierung der neuen Komponenten in konventionelle Photovoltaiktechnik zuständig.

Durch die Integration der Energie Harvesting-Systeme soll die Erwärmung der Solarpaneele reduziert werden, die deren Wirkungsgrad verringert. Man erhofft sich eine Steigerung der Energieeffizienz des Gesamtsystems um 20 – 25 %. Einer Pressemitteilung vom Mai 2022 zufolge wird inzwischen an hybriden Solarkollektoren gearbeitet, auf deren Rückseite MEH-Elemente verbaut sind, die die Restwärme nutzen sollen. Kommerzielle Umsetzungen gab es bislang aber noch nicht.


Im Folgenden präsentiere ich den aktuellen Stand der Forschungen auf diesem zukunftsträchtigen Sektor nebst sehr vielen verschiedenen Umsetzungsformen - und zwar ganz ohne Kosten.

Im Zuge der Updates habe ich mich für eine alphabetische Reihenfolge entschieden, auch wenn dies in einigen Fällen zu Überlappungen führt. Das Umwandeln der Bewegungen des menschlichen Körpers in Nutzenergie behandle ich ausführlich unter Muskelkraft, da es nicht dem Micro Energy Harvesting zugeordnet wird. Eine Ausnahme bilden Systeme, die auf mikromuskulären Bewegungen wie die des Augenlieds, der Finger (beim Tippen beispielsweise) oder des Herzens basieren, und die hier im Bereich der biologischen Wandler bzw. muskulären Systeme aufgeführt werden.

In vielen Fällen haben die Technologien eine lange Geschichte und diverse Vorläufer, deren Erwähnung dabei helfen soll, die Nutzung der unterschiedlichen Energiereservoirs in einen sinnvollen Kontext zu bringen.

Im Einzelnen geht es in diesem Kapitel um die folgenden Themen und Umsetzungen:

 

Atmosphärische Systeme

Atmosphärische Elektrizität
Blitze
Hygroelektrizität
Luftdruck
Luftfeuchtigkeit
Verdunstungsenergie


Biologische Systeme

Bakterielle Systeme
Flüssigkeiten
Insekten und Weichtiere
Muskuläre Systeme
Pflanzen
ph-Wert
Tiere

Weitere Technologien


Felder und Wellen

Elektromagnetische Induktion
Elektrostatik
Funkwellen
Licht, UV, Infrarot und Laser
Magnetfeld
Schall
Triboelektrizität
Wärme


Mechanische Systeme

Druck
Piezoelektrizität
Piezoelektrische Zinkoxid-Nanodrähte
Piezomagnetismus
Regentropfen
Stoßdämpfer
Straßengeneratoren
Strömungen
Vibration


Weitere Technologien

Bionische Kontaktlinsen


Atmosphärische Systeme


Atmosphärische Elektrizität (I)


Bereits im 19. und frühen 20. Jahrhundert untersuchen diverse Forscher die Möglichkeit, aus dem die Erde umgebenden elektrischen Feld nutzbare Elektrizität zu extrahieren. Das elektrostatische Feld der Erde (o. elektrisches Erdfeld) resultiert aus der elektrischen Überschußladung der Erdoberfläche, die durch ionisierende Strahlung aus dem Weltraum entsteht (Sonnenwind).

Der globale atmosphärische elektrische Kreislauf wiederum ist die kontinuierliche Bewegung des elektrischen Stroms zwischen der Ionosphäre und der Erdoberfläche. Dieser Fluß wird durch Gewitter angetrieben, die vor allem mit Hilfe von Blitzen eine elektrische Potentialdifferenz zwischen der Erdoberfläche und der Ionosphäre erzeugen.

Franklin-Motor Nachbau

Franklin-Motor
(Nachbau)

Die ersten Untersuchungen der Atmosphärische Elektrizität lassen sich bis in die 1740er Jahre zurückverfolgen, als Benjamin Franklin und der mit ihm befreundete Thomas-François Dalibard ihre berühmten Gewitter-Experimente beginnen.

Und auch der erste Elektromotor der Welt ist ein elektrostatischer, der im Jahr 1748 von Franklin erfunden wird - und der damit ein Glockenspiel betrieben haben soll. Der Erfinder behauptet sogar, einen Röstspieß mit einem Truthahn gedreht zu haben, wofür es aber keine Belege gibt. In diesem Kontext ist zu erwähnen, daß das weltweit erste Patent für einen elektromagnetischen mit Batterien betriebenen Motor im Jahr 1834 von dem Schmied Thomas Davenport eingereicht und nach anfänglicher Ablehnung 1837 erteilt wird.

Die einfachste Version des elektrostatischen Motors von Franklin besteht aus einer horizontal liegenden Holzscheibe, aus der ringsumher schmale Glasstreifen mit Messing-Fingerhüten an den Enden ragen. Die Scheibe ist zwischen zwei Leidener Flaschen mit entgegengesetzter Polarität plaziert.

Franklin ist mit seinem Motor aber nicht ganz glücklich, da es erforderlich ist, die Flaschen durch eine zusätzliche Kraft zu reiben. Er baut daraufhin eine zweite Version der Maschine ohne Leidener Flaschen, deren Rotor aus einer gläsernen 17-Zoll-Scheibe besteht, die sich horizontal auf reibungsarmen Lagern dreht. Beide Oberflächen der Scheibe sind mit einem Goldfilm überzogen, mit Ausnahme einer Grenze um den Rand. Der Rotor ist damit aufgebaut wie ein moderner Flachplattenkondensator. Mit einer einzigen Ladung läuft diese Maschine 30 Minuten lang mit bis zu 50 U/m.


Der französische Arzt, Botaniker und Enzyklopädist Louis Guillaume Le Monnier (o.  Lemonnier) beobachtet 1752 eine atmosphärische Elektrifizierung auch bei schönem Wetter. Mit seinen elektrophysikalischen Versuchen, bei denen er von einer Leidener Flasche erzeugten elektrischen Strom durch ein Kabel von etwa 1.850 m Länge transportieren läßt, beweist er als erster, daß Strom durch einen Leiter bewegt werden kann.

Lemonniers Experimente mit der atmosphärischen Elektrizität werden von dem italienischen Naturphilosophen Giovanni Battista Beccaria wiederholt und erweitert – der auch für die Verbreitung von Blitzableitern in Italien sorgt, die sich deshalb dort früher als im übrigen Europa durchsetzen. Beccaria sammelt eine große Anzahl von Beobachtungen, bei denen er einen einfachen Kugel-Elektrometer mit Eisendrähten, Drachen und sogar Raketen verbindet.


Der Schweizer Naturforscher Horace Bénédict de Saussure, der 1762 im Alter von nur 22 Jahren als Professor der Philosophie an die Akademie Genf berufen wird, erfindet verschiedene Arten von Instrumenten zur Erkundung der atmosphärischen Elektrizität – ebenso wie der englische Physiker John Canton, der unter anderem ein Elektroskop konstruiert und die in Leidener Flaschen gesammelte elektrische Ladung bestimmt.

Auf Grundlage der von Canton entwickelten Instrumente macht ab 1775 der italienische Physiker Tiberius Cavallo umfangreiche Beobachtungen im Bereich der amosphärischen Elektrizität und experimentiert auch mit Franklins Drachen.


Etwa um 1787 entdecken unabhängig voneinander der italienische Wissenschaftler Alessandro Volta und der britische Forscher Abraham Bennett erfolgreiche Verfahren zum Nachweis und zur Messung der atmosphärischen Elektrizität. Im selben Jahr ermittelt Charles Augustin Coulomb als erster die Verteilung der Elektrizität in der Luft.

Vion-Patent Grafik

Vion-Patent
(Grafik)


Um die elektrischen Spannungen in der Atmosphäre zu untersuchen, entwirft der italienische Meteorologe, Seismologe und Vulkanologe Luigi Palmieri im Jahr 1845 verbesserte Meßgeräte. 1884 erscheint die deutsche Übersetzung seines Buches ,Die atmosphärische Elektricität’.


Die Verteilung der Elektrizität in der Luft wird im Jahre 1850 auch von dem italienischen Physiker und Neurophysiologen Carlo Matteucci untersucht, der hierfür eine verbesserte Coulomb-Drehwaage verwendet. Zudem ist er der Erste, dem es gelingt, den elektrischen Strom eines Muskels direkt zu messen.


Aus den 1850er und 1860er Jahren datieren Vorschläge des Ingenieurs Charles Hippolyte Vion aus Paris, das elektrisches Erdfeld technisch zu nutzen. Für ein Verfahren zur Nutzung der atmosphärischen Elektrizität erhält er 1860 das US-Patent Nr. 28.793.


Einen weiteren Versuch zur praktischen Nutzung der atmosphärischen Elektrizität führt ab 1864 der amerikanische Zahnarzt und Erfinder Mahlon Loomis aus Washington, Columbia, durch. Loomis, der davon träumt, diese Energiequelle in den Dienst der Menschheit zu stellen, schlägt verschiedene Geräte für das Sammeln vor – zudem gelingt es ihm in einer Reihe von Experimenten, erfolgreich eine primitive Form der drahtlosen Telegraphie zu realisieren.

Das Grundprinzip seines Systems ist einfach. In Virginia läßt er 1866 von zwei Berggipfel aus, die ca. 22,5 km von einander entfernt sind, mit Kupfer-Gaze bedeckte Drachen steigen, die von jeweils 180 m langen dünnen Leinen aus Kupferdraht gehalten werden. Dabei läuft jeder Draht durch einen Galvanometer. Sobald einer der Drähte geerdet bzw. wieder aus dem Boden entfernt wird, gibt es eine Störung des atmosphärischen elektrischen Feldes, die durch den Galvanometer des anderen Drachens registriert wird.

Jedes Mal, wenn die Aktion wiederholt wird, schlägt die Nadel der Galvanometers aus. Nachdem Loomis 1872 ein Patent für seine Erfindung erhält (US-Nr. 129.971), versucht er mehrere Jahre lang sein System zu verbessern und Unterstützung dafür zu finden, doch letztlich stirbt sein ,Antennen-Telegraph’ mit ihm im Jahr 1886.


Ironie des Schicksals: Genau 1886 gelingt dem deutschen Physiker Heinrich Rudolf Hertz erstmals die Übertragung elektromagnetischer Wellen von einem Sender zu einem Empfänger. Im Jahr 1897 soll Hertz zudem vorgeschlagen haben, ein 300 m langes Metallnetz mit etwa 3,6 Millionen Sammler-Nadeln zu installieren, das von Drachen in die Luft gehoben wird. Mittels eines speziellen Kollektors soll die atmosphärische Elektrizität eine Batterie aus 20.000 Akkus aufladen.

Bislang konnte ich diese Angaben aber noch nicht verifizieren, ebensowenig wie die Information, daß Hertz (in der angelsächsischen Literatur manchmal nur als Heinrich Rudolph geschrieben), 1898 als optimierten Sammler ein elliptisches Luftfahrzeug mit facettierten Oberflächen entwirft, das zudem den Coanda-Effekt verwendet um die Wirkung des Windes zu minimieren.


Im Jahr 1870 baut der deutsche Physiker Johann Christoff Poggendorff einen sehr einfachen Motor, der aus kaum mehr als einer Glasscheibe und zwei Elektroden besteht. Obwohl er einen Wirkungsgrad von mehr als 50 % messen kann, wird die Meinung des Erfinders, daß sich mit dem Prinzip niemals effektive Antriebe werden bauen lassen, von vielen Wissenschaftlern seiner Zeit geteilt. Der Reiz dieser Motoren - dem sich trotzdem niemand entziehen kann - liegt in der Tatsache, daß sie, auch ohne viel Leistung zu erreichen, im Prinzip für immer laufen können.


Mit der Elektrizität in der Atmosphäre befaßt sich auch der österreichische Physiker Franz-Serafin Exner, der 1887 einen einfachen und kompakten Aluminium-Blatt-Elektrometer erfindet, welcher später von den Physikern Julius Elster und Hans Geitel weiterentwickelt wird, die damit das Vorhandensein von Ionen in der Atmosphäre nachweisen können.

Exner weckt auch das Interesse seines Schülers Victor Franz Hess für das Thema der Luftelektrizität. Der spätere Nobelpreisträger entdeckt im Jahr 1912 bei einem seiner Ballonaufstiege die Kosmische Strahlung, die er damals Höhenstrahlung nennt. Im frühen 20. Jahrhundert liefern Ballonaufstiege erstmals nähere Informationen über das elektrische Feld in der oberen Atmosphäre.


Mark W. Dewey
aus Syracuse, New York, erhält 1889 das Patent für ein turmartiges Gerät, das die atmosphärischen Elektrizität nutzen soll (US-Nr. 414.943).

Palencsár-Patent Grafik

Palencsár-Patent
(Grafik)


Im Jahr 1901 läßt sich der Ingenieur Andor Palencsár aus Budapest, Ungarn, unter dem Titel ,Apparatus for collecting atmospheric electricity’ ein kompliziertes System patentierten, das aus einem doppelwandigen, beheizten Ballon besteht, der von einem beweglichen Netz aus spitzen Kollektoren bedeckt ist (US-Nr. 674.427, beantragt 1900).

Bei diesem Projekt soll die Elektrizität einer rheostatischen Maschine zugeführt werden, einer mechanischen Vorrichtung zur Entwicklung eines Funkenstroms nach Art einer Flaschenbatterie, die auf den französischen Physiker Raymond Louis Gaston Planté zurückgeht. Dieser hatte die Maschine erfunden, als er die Unterschiede zwischen statischer Elektrizität und dynamischem Strom (d.h. aus Batterien) untersuchte.


Weitere Patente dieser Zeit stammen von J. Gallegos aus San José in Guatemala (Static electric Machine, US-Nr. 633.829, erteilt 1899); Elihu Thomson aus Swampscott, Massachusetts (Electrostatic motor, US-Nr. 735.621, angemeldet 1901, erteilt 1903); Harold B. Smith aus Worcester, Massachusetts (Apparatus for transforming electrical energy into mechanical energy, US-Nr. 993.561, angemeldet 1908, erteilt 1911); und Walter G. Cady aus Hiddletown, Cnnecticut (US-Nr. 1.693.806, angemeldet 1925, erteilt 1928).

 

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