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Die Alkohol-Treibstoffe


Die frühesten Formen einfacher Gärungsprozesse zur Alkoholherstellung (Ethanol) lassen sich im Mittleren Osten bereits im 5. Jahrtausend vor Chr. nachweisen. Wahrscheinlich waren die Chinesen, die um 800 v. Chr. Alkohol erstmals direkt aus fermentiertem Reis destilliert haben. Um 500 n. Chr. hatte die Destillationstechnologie einen Punkt erreicht, an dem relativ reine Formen von Alkohol für die Herstellung kosmetischer Artikel und Parfümen sowie für medizinische Zwecke produziert wurden. 900 n. Chr. erzeugen arabische Chemiker alkoholischen Brennstoff durch die Destillation von Wein.

Der vermutlich erste mit Alkohol betriebene Motor wurde von 1797 von Edmond (o. Edmund) Cartwright (1743 – 1823) erfunden, einem Geistlichen mit Doktorwürde, der für seine Erfindung der mechanischen Webmaschine ‚Power Loom’ bekannt geworden ist. Auch das ‚Model T’ von Henry Ford fuhr 1880 mit Ethanol, und der Autobauer versuchte noch in den 1920er Jahren Alkohol als Kraftstoff zu propagieren – immerhin konnte ihn jedermann selber vom Acker ernten – doch die mächtigen Rockefellers setzen das leicht monopolisierbare Erdöl durch. Das ‚Model T’, das ab 1908 gebaute erste Massenauto der Welt, konsumierte daher ca. 20 l Benzin pro 100 km, wobei es gleichzeitig pro Kilometer 450 g CO2 ausstieß.

[Bei gegenwärtigen Kompaktwagen liegen die entsprechenden Werte übrigens nur rund zwei Drittel niedriger – ein wahrlich überzeugendes Ergebnis nach hundert Jahren unermüdlicher Forschung...! In dessen Folge die in 2006 geschätzten 800 Millionen Fahrzeuge weltweit gut 10 Millionen Tonnen Öl pro Tag schlucken.]

Die britischen Rohstoffexperten von F. O. Licht erwarten, daß im Jahr 2010 weltweit 57 Mrd. Liter Alkohol zum Antrieb von Motoren benutzt werden, also fast doppelt so viel wie heute. Und die Internationale Energie-Agentur (IEA) rechnet sogar damit, daß bis 2020 bereits ein Drittel des global verbrauchten Treibstoffs agrarisch gewonnen wird. Derzeit (2005) sind es weltweit gerade mal 2 %.

Da man heute hauptsächlich zwischen zwei Alkoholen unterscheidet - dem Ethanol (o. Äthanol) und dem Methanol (o. Methylalkohol) - werde ich die beiden nun in dieser Reihenfolge und in Verbindung mit den jeweiligen länderspezifischen Aktivitäten darstellen.

Ethanol (Äthanol)


Dieser Äthyl-Alkohol, der auch Agraralkohol, Bioethanol, Weingeist oder Trinkalkohol genannt wird, gilt als wichtigster Alkohol überhaupt und trägt bereits Markennamen wie z.B. GASOHOL oder CropPower85 (USA).

Neben seiner bisherigen – hier allerdings nicht berücksichtigten – Herstellung durch Kohleveredelung, aus Erdgas oder als Synthesegas läßt sich Ethanol auch aus der Biomasse separieren. Dabei wer­den zucker- und stärkehaltige Pflanzen zermahlen und zu Brei zerquetscht, ihr Zuckeranteil wird herausgewaschen und der Rest vergoren. Nutzbar sind Runkel- und Zucker­rüben, Zuckerrohr, Zuckerhirse, Mais, Maniokknollen, Süßkartoffeln, Palmöl, Getreide, Sorghum, Holz und kohlenwasserstoff­haltige Abfälle. Der Ertrag eines Hektars Runkelrüben z.B. entspricht dem Brennwert von 4.200 l Superbenzin. Bei Zuckerhirse, die wegen ihres dichten Wuchses den Boden besonders gut vor Erosion schützt, lassen sich pro Hektar und Jahr sogar zwischen 4.500 und 5.500 l Ethanol gewinnen. Die beim Gärungsprozeß zurückbleibenden Mineralsalze kann man außerdem als Dünger wiederverwenden. Der Wirkungs­grad des Gesamtverfahrens beträgt etwa 30 %.

Es wird inzwischen versucht, statt des derzeitigen ener­gieaufwendigen Destillationsverfahrens eine Membrantren­nung des Alkohol-Wasser-Gemischs zu entwickeln. Eine an­dere Methode ist die Abtrennung mit hochkomprimierter Kohlensäure. Außerdem steht auch ein sogenanntes ‚Molekular-Siebverfahren’ zur Diskussion.

Die Anwendung des Alkohols als Treibstoff (mit einer Oktanzahl von 110) kann entweder dadurch geschehen, daß er zu 15 bis 20 % dem konventionellen Benzin beigemischt wird, oder daß er im Reinbetrieb genutzt wird. In diesem Fall müssen aber am Motor bestimmte Gummi- und Plastikteile und -schläuche ausgewechselt werden.

In einer Studie des Umweltbundesamtes von 1992 wird allerdings festgestellt, daß Bioethanol eigentlich eine negative Energiebilanz aufweist: Für den Anbau der Biorohstoffe und ihre Umwandlung in Alkohol wird mehr Energie verbraucht, als hinterher dabei herauskommt.

Im Wirtschaftsjahr 2006/07 werden weltweit bereits rund 65 Mio. t Mais sowie 5 Mio. t andere Getreidearten wie Weizen, Roggen und Gerste zu Bioethanol verarbeitet, etwa 4,4 % der globalen Getreideproduktion. Für Mais erreicht der Anteil der energetischen Verwertung vermutlich sogar knapp 10 %, da die USA weltweit größtes Maiserzeugungsland ist und die Herstellung von Bioethanol aus Mais auch am stärksten vorantreibt.

Ausgewählte Länder (I)

Australien


Dieses Land will seine Weizenüberschüsse zur Ethanol­produktion nutzen. In Sydney wurde bereits eine alte Brauerei zu einer entsprechenden Pilotanlage umgerüstet.

2006 stellt Australien Alkohol aus Zuckerrohr für 32 US-Cent her (zum Vergleich: US-amerikanischer Alkohol aus Mais kostet 47 US-Cent pro Liter).

Brasilien


Schon 1924 fuhr der Ingenieur Heraldo de Sousa Matos im einem selbst gebauten Alkoholauto.

1975 wird – als Antwort auf den Ölschock von 1973 – das Nationale Alkoholprogramm ‚Proálcool’ aufgelegt, dessen Ziel man im Jahre 1979 auch erreicht, denn seitdem wird überall im Land dem zumeist importierten Benzin 22 % Alkohol beigemischt. Bis zu dieser Marge sind keinerlei technische Veränderungen an den Motoren erforderlich. Außerdem rollt 1979 das erste rein mit Alkohol betriebene Auto vom Band.

Der biologische Rohstoff für das Ethanol war schnell gefunden: Zuckerrohr-Pflanzen mit ihrem durchschnittlichen Zuckergehalt von 12 %. In einer Brennerei, in der aus Zuckerrohr ausschließlich Alkohol hergestellt wird, können aus einer Tonne Zuckerrohr 70 l Alkohol gewonnen werden. Bei durchschnittlichen Erträgen von 50 t Zuckerrohr pro Hektar liegt die jährliche Produktion pro Hektar angebauter Fläche bei 3.500 l Alkohol. Für die Produktion der 9 Mrd. l Ethanol in der Ernteperiode 1984/1985 wird daher eine Fläche von der Größe Hessens ausschließlich mit Zuckerrohr bepflanzt.

Folgerichtig wird auch der Bau von Fermentierungs-Anlagen staatlich unter­stützt, ebenso – durch längerfristige Finanzierung und geringere Kraftfahrzeugsteuern – der Erwerb und Unterhalt von Alkohol­-Autos. Außerdem kostet der reine Alkohol umgerechnet nur 1,50 DM pro Liter – im Vergleich zu den 2,00 DM pro Liter beim Benzin-Alkohol-Gemisch (Stand 1981).

Die Gruppe IPAT der TU-Berlin (Interdisziplinäre Projektgruppe Angepaßte Technologie), die sich in Brasilien ei­gentlich mit der Entwicklung eines dezentralen ‚Ein-Topf-Verfahrens’ zur Erzeugung von 100 l Ethanol täglich beschäftigen wollte, hilft stattdessen auch bei dem Mammutprogramm mit.

Die Umsetzung dieses Großprojekts beginnt mittels einem Großversuch mit 500 VW-Käfern der nationalen Telefonge­sellschaft, sowie mit dem Umrüsten von Taxis und Behördenwagen. Die Umrüstung von Privatfahrzeugen kostet offiziell 1.000 US-$, wird aber in kleinen Werkstätten und illegal bereits für 250 US-$ durchgeführt.

Am 01.04.1980 beginnt dann die Auslieferung von Kraftfahrzeugen, die mit einem Reinalkohol-Motor ausgerüstet sind; die Betriebs­mischung besteht bei diesen Fahrzeugen aus 96 % Ethanol und 4 % Wasser. Da es bei kaltem Wetter mit diesem System Startschwierig­keiten gibt, haben die Wagen einen be­sonderen 2-Liter-Benzintank zum Starten. Als Hersteller treten auf: VW, Fiat, Ford und Chrysler, die ihre Fahrzeuge dort alle in Lizenz bauen. Im März 1981 fahren laut Pressemeldungen bereits 400.000 Wagen mit Alkohol, in den darauf folgenden drei Jahren erhöht sich diese Zahl auf über eine Million Fahrzeuge – wobei auch die umgebauten Fahrzeuge mitgezählt sind. 1982 werden 5,2 Mio. m3 Ethanol aus Zuckerrohr produziert, und es ist geplant, die Menge bis 1987 zu verdoppeln. Bis 1982 waren schon 8 Mrd. $ in das gesamte Proálcool-Programm geflossen.

Da für 1985 bis zu 2 Mio. Alkohol-Fahrzeuge erwartet werden, sollen etwa 7 Mio. Hektar Land dem Zuckerrohr­anbau dienen, fast 14 % des gesamten Acker­landes. Da sich aber auch schon die ersten Anzeichen der Gefahren großer Monokulturflächen zeigen, werden auch Versuche mit schnellwachsenden Bäumen wie dem Eukalyptus unternommen. Als besonders aussichtsreich erweisen sich neben Maniok-Wurzeln auch der Erdnuß-Anbau mit drei Ernten im Jahr, desgleichen die Nutzung der Öle der Afrikanischen Palme und der Sonnenblume.

Allerdings reduzieren sich bereits 1981 die Neuzulassungen von Alkohol-Fahrzeugen auf unter 15 %, Grund sind die überhöhten Preise für die Fahrzeuge und den Treibstoff ‚Bioalkohol’ sowie technische Unzulänglichkeiten an den Motoren. Erst im März 1983 liegt der Anteil der Alkoholfahrzeuge bei den Neuzulassungen wieder bei 80 % (wie schon 1980), und nach 1984 kletterte er sogar auf über 95 %.

1984 fahren dann statt der geplanten 2 Mio. jedoch insgesamt erst 1,2 Mio. Autos mit dem Synthesetreibstoff. In einer Studie der FU Berlin von 1984 wird außerdem festgestellt: „Proálcool ist für Brasilien eine Fehlinvestition.“ In der ausführlichen Begründung wird u.a. auch auf die 60 % der brasilianischen Bevölkerung hingewiesen, die noch immer an Unterernährung leiden.

Trotzdem wird bis 1986 erreicht, daß 95 % der rund 10 Mio. im Land fahrenden Autos Biosprit tanken. Zu diesem Zeitpunkt nutzen fast 2 Mio. Fahrzeuge den reinen Bioalkohol, während alle anderen die Benzin-Mischung tanken, die zu 22 % mit Ethanol versetzt ist. Die für den Zeitraum 1985 bis 1990 vorgesehene Jahresproduktion von 20 Mrd. l Ethanol pro Jahr erfordert eine Zuckerrohr-Anbaufläche von fast 6 Mio. Hektar – soviel wie Hessen und Baden-Württemberg zusammen. Aus diesem Grund wird in der Agrarforschung Brasiliens auch in erster Linie Zuckerrohrforschung betrieben, und schon Mitte der 1980er Jahre hat man erste Experimentalsorten, die einen Jahres-Hektar-Ertrag von 250 t erbringen können.

Die Bilanz nach zehn Jahren zeigt, daß das Projekt dazu beigetragen hat, die Devisenlast des Landes mit seinen 130 Mio. Einwohnern merklich zu senken. Außerdem sind direkt oder indirekt über zwei Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen worden.

Der Anteil der Alkoholfahrzeuge bei den Neuzulassungen liegt 1988 bei über 90 %. Doch dann fallen die Ölpreise und Brasilien kann sein ehrgeiziges Alkohol-Projekt nur noch mit Milliarden-Zuschüssen über Wasser halten. Durch die Schuldenkrise so gut wie bankrott, beschließt der Staat, die Subventionen auslaufen zu lassen. 1990 kommt zu ernsten Engpässen bei der Treibstoffversorgung, denn aufgrund des gestiegenen Weltmarktpreises für Zucker exportierten die Produzenten ihre Ware lieber, als sie in Alkohol umzuwandeln. Und dies, obwohl die ‚Zucker-Barone’ seit 1975 Regierungszuschüsse von durchschnittlich 1,78 Mrd. $ pro Jahr bekommen haben – keineswegs auch immer berechtigt. Alleine die fünf größten Alkoholproduzenten sollen 9 Mrd. $ veruntreut haben, mußten sich aber nie vor Gericht dafür verantworten. Nun verlangen sie einen 50%igen Preisaufschlag für Zuckerrohralkohol.

Die Weltbank, einer der wichtigsten Kreditgeber von 1980, plädiert daraufhin für einen möglichst raschen Ausstieg aus dem Alkohol-Programm.

Die Probleme, die sich in Brasilien mit dieser Energielösung eingestellt haben, sind insbesondere die folgenden:

  • Alkoholautos verbrauchen bis zu 50 % mehr Treibstoff, verglichen mit fossilen Brennstoffen.
  • Die rund 200 gigantischen Zuckerrohrplantagen und Fabriken verdrängen den Anbau von Lebensmitteln wie Reis, Mais und Bohnen.
  • Tausende von Bauern und Kleinpächtern werden durch die Großfarmen ebenfalls verdrängt.
  • Der Zuckerrohranbau erfordert den breiten und kostspieligen Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden.
  • Die Zuckerrohr-Alkoholindustrie gehört zu den größten und rücksichtslosesten Umweltzerstör­ern Brasiliens, die Zuckerschlempe verwandelt Flüsse in stinkende Kloaken. In den Ernteperioden erfolgen schwere Schädigungen von Binnen- und Küstengewässern durch die Brennerei-Abwässer, zeitweise muß die Trinkwasser-Versorgung ganzer Städte stillgelegt werden, tote Fische werden tonnenweise an die Ufer gespült.

  • Zur Quantifizierung sei als Beispiel die Alkohol-Brennerei Alvorada im Bundesstaat Minas Gerais angeführt: Die Anlage produziert täglich 100.000 l Ethanol, wofür sie fast 1.500 t Zuckerrohr benötigt. Bei der Produktion fallen 10 Mio. l Waschwasser und 1,3 Mio. l Schlempe an, was der Abwasserbelastung einer Stadt mit 400.000 Einwohnern entspricht!

    Schon 1986 hoffte man, innerhalb von ein bis zwei Jahren bereits entwickelte und zuverlässige Methoden  und Verfahren umsetzen zu können, mit denen die Schlempe gefahrlos beseitigt und die Waschwässer im geschlossene Kreisläufe eingebunden werden können. Man beschäftigte sich außerdem damit, aus den organischen Schadstoffen Dünger und Futtermittel herzustellen, oder den Klärschlamm zur Erzeugung von Biogas zu nutzen (s.d.).

    Da sich der damalige brasilianische Energieminister Vincente Fialho bereits 1989 öffentlich darüber äußert, ob es nicht sinnvoller sei, wieder zum Benzin zurückzukehren, verstehen Brasiliens Autofahrer den Wink und beginnen damit, ihre Fahrzeuge wieder ‚abrüsten’ zu lassen – obwohl sie dafür bis zu 20 % des Kaufpreises zahlen müssen. Doch die steigenden Ölpreise der späteren Jahre stellen diese Entscheidung wieder in Frage.

    Die zweite Alkohol-Revolution führt dann ein großer deutscher Konzern an: Volkswagen. Der Autobauer bringt 2003 in Brasilien sein erstes Flex-Fuel-Modell auf den Markt, einen ‚VW Fox’ mit einem Motor, der mit Alkohol, Normalbenzin oder mit jeder Mischung der beiden Treibstoffe läuft. Ein im Tank eingebauter Sensor signalisiert dem Total-Flex-Motor den jeweiligen Mix. Zulieferer wie Robert Bosch (Deutschland), Magneti Marelli (Italien) und Delphi (USA) machten sich bei der Entwicklung der neuen Antriebstechnik heftig Konkurrenz und entwickelten eigene Modelle. Die Begeisterung, mit der die Brasilianer auf die Einführung der Flex-Fuel-Autos reagieren, setzt die anderen Autofabrikanten in Zugzwang, und bald bieten fast alle Hersteller solche Modelle an, die nicht einmal teurer sind als Benziner.

    Von 2003 auf 2004 verdreifacht sich der Alkohol-Export Brasiliens. Indien, die USA, Südkorea und Japan sind die größten Importeure.

    Im ersten Halbjahr 2005 werden über 300.000 Flex-Autos verkauft, und im Juni übertrifft die Zahl der neu gekauften Flex-Autos erstmals die anderer Modelle. Ende 2005 verfügen bereits 80 % der in Brasilien neu zugelassenen Autos über die Flex-Fuel-Technik. Und General Motors bietet inzwischen sogar einen Triflex-Motor an, der zusätzlich auch mit Flüssiggas betankt werden kann.

    In diesem Jahr werden in Brasilien 20 Mio. t Zucker und 12,5 Mrd. l Ethanol produziert, und die EU verhandelt mit dem Land über die Möglichkeit des Imports von Alkohol von dort. Brasilien bietet 99%igen Alkohol, der in jedem Verhältnis mit Benzin mischbar ist, zu 25 Eurocent pro Liter an – was konkurrenzlos billig ist.

    Im November 2005 verbrennt sich der 65jährige brasilianische Journalist und Umweltschützer Francisco Anselmo Gomes de Barros öffentlich aus Resignation und Protest gegen die weitere Zerstörung und Vergiftung von Brasiliens Naturressourcen durch Ausweitung des Zuckerrohranbaus und den Bau noch weiterer Ethanolfabriken. ‚Francelmo’, Gründer und Präsident einer der ältesten Naturschutzorganisationen des Landes, sah in seinem schrecklichen Tod die einzige Chance, den geplanten Bau von 23 Bioalkoholfabriken im Wassereinzugsgebiet des Pantanal, des größten Feuchtgebiets der Erde, zu verhindern.

    1982 hatte Francelmo im Verbund mit anderen brasilianischen Umweltschützern noch ein Gesetz durchsetzen können, das weitere Ethanolfabriken im Bereich der rund 180.000 Quadratkilometer großen Süßwasserwildnis im Länderdreieck Brasilien, Bolivien und Paraguay verbietet, um eine Vergiftung dieses einzigartigen Ökosystems durch Abwässer zu verhindern. Und genau dieses Gesetz will der Gouverneur des brasilianischen Bundesstaates Mato Grosso nun kippen, um ebenfalls am nationalen und globalen Boom des Biosprits profitieren zu können.

    Doch elf Tage nach dem Freitod lehnt eine Regierungskommission den Bau der geplanten Ethanolfabriken im Becken des oberen Rio Paraguay ab. Der zum Teil zum Unesco-Biosphärenreservat erklärte Pantanal mit seinem extremen Tierreichtum bleibt vom Biotreibstoffboom vorerst verschont

    Im Oktober 2006 jubelt die Fachpresse über den ‚Durchbruch für Alkohol als Kraftstoff’, denn kurz nacheinander geben zwei der reichsten Männer der Welt, Bill Gates, Gründer und Chef von Microsoft, sowie der US-Multimilliardär George Soros bekannt, daß sie wesentliche Summen in Ethanol-Firmen investiert haben. Bei Bill Gates handelt es sich um einen Anteil von 25% der Pacific Ethanol, die in den USA Alkohol aus Mais herstellt, wobei Gates auch planen soll, eine Alkohol-Fabrik in Brasilien zu kaufen. Soros kauft dagegen die Zucker- und Alkoholfabrik Usina Monte Alegre im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais, die auf der Grundlage Zuckerrohr arbeitet. Zwei große internationale Banken. die Credite Suisse Group und die UBS/Pactual, sind zu dieser Zeit dabei, die Interessenten und die vielen Alkoholfabriken Brasiliens zusammenzubringen. In São Paulo gehen reihenweise Alkoholfabriken an die Börse. Der erste Private Equity Fond hat über die französische Societé Général bereits die Größenordnung von 200 Mio $ investiert und will bis zum Ende des Jahres auf 1 Mrd. $ kommen. Auch die beiden japanischen Handelsriesen Mitsui und Mitsubishi sind im Landesinneren von Brasilien unterwegs, um Geschäfte mit Alkohol zu machen.

    Die Jahreskapazitäten der wichtigsten Alkoholproduzenten Brasiliens betragen zu Zeit:

    Copersucar
    2.700 Mio. l
    Crystalsev
    1.030 Mio. l
    Cosan
    1.000 Mio. l
    São Martinho
     440 Mio. l
    Irmãos Biagi
     403 Mio. l
    João Lyra
     251 Mio. l
    Tércio Wanderley
    230 Mio. l
    Nova América
    200 Mio. l
    Carlos Lyra
    196 Mio. l

    Der Preis von Alkohol an der Tankstelle schwankt stark von Bundesland zu Bundesland. Während im Bundesstaat São Paulo die Alkohol-Preise bei der Hälfte der Benzinpreise liegen, also einen enormen Vorteil darstellen, sind sie im Bundesstaat Minas Gerais fast gleich den Benzinpreisen, so daß es sich dort kaum lohnt, Alkohol zu fahren. Im Bundesstaat Rio de Janeiro liegen sie unter dem Benzinpreis, gerade so viel, wie man Mehrverbrauch hat.

    Die in Brasilien vorliegenden Erfahrungen haben mit 6.800 Liter jährlich auch zur höchsten Ausbeute von Alkohol pro Hektar Anbaufläche geführt, denn auf den riesigen Feldern wird das Zuckerrohr bis zu fünfmal im Jahr geerntet. Die reinen Kosten (ohne Transport, Verkauf, Steuern) betragen für den Liter reinen Alkohols nur 20 US-Cent.

    Dedini Ethanol-Anlage

    Dedini Ethanol-Anlage

    Der bereits seit 1920 aktive Anlagenbauer Dedini ist der größte Hersteller fertiger Alkoholfabriken der Welt und hat in Brasilien bereits 700 Anlagen zur Alkoholerzeugung verkauft. Ab Anfang 2006 vermehren sich Anfragen nach schlüsselfertigen Alkoholfabriken aus dem Ausland.

    In Brasilien rollt Mitte 2006 das letzte Auto mit reinem Benzinmotor vom Band, ab diesem Zeitpunkt stattet Volkswagen im Werk São Bernardo als eines der letzten Modelle sogar den legendären ‚Bully’ mit einem Total-Flex-Antrieb aus.

    2006 ist Brasilien der weltweit größte Produzent von Ethanol. Seine Zuckerrohranbaufläche ist auf rund 5,7 Mio. ha angewachsen, womit jährlich 26,5 Mio. t Zucker sowie über 15 Mrd. l Ethanol produziert werden, die bereits mehr als 44 % des gesamten Kraftstoffbedarfs decken. Der Bio-Treibstoff, der an fast allen Tankstellen in dem Riesenland erhältlich ist, kostet umgerechnet etwa 45 Cent, und damit nur etwas mehr als die Hälfte des Preises für Benzin. Rund 2,5 Mrd. l der Ethanolproduktion wird exportiert, vor allem in die USA und nach Indien.

    Die EU sperrt sich noch, denn Brasilien kann den Biosprit um mehr als 50 % billiger produzieren als Europa.

    Der staatliche Ölmulti Petrobras, der Brasiliens größtes Tankstellennetz betreibt, beginnt 2006 mit dem Bau der ersten Alkohol-Pipeline der Welt, unter anderem von São Paulo nach Rio, und rechnet mit guten Geschäften mit dem Bio-Treibstoff.

    Gleichzeitig kommt eine neue Vorgabe der brasilianischen Regierung – überraschenderweise heißt sie diesmal Biodiesel!


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