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DIE ENERGIE

 

Wir brauchen Energie nicht nur, um eine totale Revolution in uns hervorzubringen, sondern auch, um zu forschen, zu schauen, zu handeln.

Jiddu Krishnamurti


Bei näherer Betrachtung entpuppt sich die Energie als wichtigstes Bindeglied zwischen den verschiedenen Lebensbereichen. Sie nimmt heute sogar eine ganz besondere Schlüsselstellung ein, da sie unsere gesamte großtechnische Zivilisation überhaupt erst ermöglicht. Vermehrte Freisetzung von Energie erlaubt u.a. einen größeren Güterausstoß, ermöglicht die Spezialisierung und das Entstehen komplexerer Organisationsstrukturen.

Andererseits bringt das Bereitstellen der heute benötigen riesigen Energiemengen aber auch all die Kontraproduktivität mit sich, all die Leerläufe und Sachzwänge, welche in unserer Zivilisation immer bedrohlicher überhand nehmen. Das Wort Energie selbst wurde übrigens im Jahr 1853 von einem inzwischen weitgehend vergessenen Glasgower Mathematikprofessor namens Rankins eingeführt.

Der Mensch nützt die vorhandenen Energien der Natur auf vielfältige Weise. Das Leben insgesamt hat den Aufbau der organischen Stoffe durch die grüne Pflanze zur Grundlage, und diese benutzt dabei als Energiequelle die Sonnenstrahlung. Auf 1 m2 Boden fallen pro Tag durchschnittlich 5.000 kcal Energie. Man schätzt, daß von dieser Energie maximal 3,5 % genutzt werden können; bei landwirtschaftlicher Nutzung, z.B. dem Weizen­anbau, werden tatsächlich nur rund 0,3 % ausgenutzt (85). Doch bei der Überfülle des Angebots kommt es ja nicht so sehr auf den Wirkungsgrad an sich an.

Komplexe und weitgestreute Systeme (wie lebende Dinge) sind weitaus fähiger, die Sonnenenergie zu nutzen, als einfache. Und das verkettete System der Pflanzen und Tiere, das im Laufe der Evolution entstand, ist hier eines der effektivsten Systeme überhaupt.

Der Mensch ist Glied des Naturganzen, sein Übergang vom Sammler und Jäger zum Ackerbauer ist der Beginn der zielgerichteten Anwendung der Sonnenenergie. Und die tiefgreifendste Verschiebung in der sozialen Struktur war die Ablösung der Muskelkraft durch die Energietechnik, obwohl erstere auch heute noch eine große Rolle spielt. Vor allem in Asien und Afrika sind noch immer 85 - 90 % der Menschen von tierischer und menschlicher Muskelkraft abhängig. Anfang der 1980er Jahre rechnet die UN-Landwirtschaftsorganisation FAO mit 400 Millionen Zugtieren in der Dritter Welt, dreiviertel davon Rinder, Büffel und Yaks, von denen 300 Millionen arbeiten, während der Rest Nachwuchs und hochträchtige Tiere sind. Diese Zug- und Tragtiere hatten der damaligen Rechnung zufolge eine gemeinsame Leistung von 150 Millionen Pferdestärken und einen Wert von 100 Milliarden Dollar. Schließlich sind diese Tiere eine fast ideale Energiequelle: Sie pflanzen sich von ganz alleine fort - und fressen außerdem kein Öl! Hätte man sie mit Traktoren gleicher Leistung ersetzen wollen, dann hätte dies eine Investition von mindestens 250 Milliarden Dollar erfordert - von den laufenden Betriebskosten einmal ganz zu schweigen. (86)

Im Iran beispielsweise bildete die menschliche Muskelkraft im Jahr 1980 immerhin noch 65 % der in der Landwirtschaft eingesetzten Energie, während 8 % durch tierische Muskelkraft und nur 27 % durch mechanische (bzw. fossile) Energieträger gedeckt wurde. Und selbst hier gibt es der UNO zufolge noch ein großes Entwicklungspotential: Besser konstruierte Wagen mit optimalem Schwerpunkt und Kugellagern, Gummireifen und Federung könnten die bisherige Arbeitskapazität der Tiere verdreifachen. Außerdem könnten in den Industriestaaten bereits in Vergessenheit geratene und in der Dritten Welt unbekannte optimale Geschirre nicht nur die Leistung, sondern auch das Wohlbefinden der Tiere erhöhen.

Fast alle Seiten, die sich mit dem Thema der Erneuerbaren Energie beschäftigen, ignorieren jedoch einen wesentlichen Fakt: Unter allen Energieformen zeichnet sich die Muskelkraft - global gesehen - noch immer mit dem absolut höchsten Energieumsatz aus ... der weit mehr ausmacht als alle fossilen und nuklearen Energien zusammen!

In den entwickelten Ländern benützen wir heute zur Energieerzeugung verschiedene Systeme, die sehr unterschiedlich sind in Bezug auf ihre erforderlichen Investitionen, ihre Effizienz, ihre Sicherheit und die von ihnen ausgehenden ökologischen Einflüsse. Die Ausnutzung der Wasserenergie beispielsweise ist schon immer praktiziert worden, doch erst in unserer Zeit werden weltweit derart immense Mengen an Wasser gestaut um Land zu bewässern, Strom zu erzeugen und Überschwemmungen zu verhindern. Der wichtigste wirtschaftliche Faktor der Wasserenergie ist, daß diese Energieform brennstoffunabhängig (oder richtiger: brennstofflos) ist. Denn dieser Faktor ist ja ein we­sentlicher Bestandteil aller Energie-Kosten-Nutzenanalysen. Hinzu kommt, daß sich diese Primärenergie sehr leicht und umweltfreundlich in elektrische Energie umwandeln läßt: bei Wasserfällen, Flüssen und sogar bei Bächen, durch Wasserräder, Wasserturbinen oder auch Gezeitenkraftwerke am Meer.

Die elektrische Energie kann ihrerseits unterschiedslos und rasch für viele verschiedene Aufgaben verwendet werden (daher ihre Bezeichnung als Exergie). Außerdem macht sie den Ort des Energieverbrauchs unabhängig vom Ort der Energiequelle. Und es ist klar, daß Personen die um ein Feuer herum stehen um sich zu wärmen, oder um eine Kerze herum sitzen um Licht zu haben, weniger leicht eigenen Beschäftigungen nachgehen können, als Leute, die elektrisches Licht haben.

Die Hauptmengen des elektrischen Stroms den die Menschheit heute verbraucht, wird allerdings noch immer durch die Verbrennung fossiler Energieträger erzeugt (Kohle, Öl, Erdgas, Uran). Eigentlich kosten diese fossilen Energieträger nichts; nur ihre Exploration, ihre Förderung, ihr Transport und die Aufbereitung verursachen Kosten. Dazu kommen die oft und gerne verdrängten Abfall-Beseitigungs-Kosten. Vielleicht resultieren hieraus ja die geringe Wertschätzung und die bekannte Verschwendung von Energie.

Bei diesen Formen der Energiegewinnung haben wir jedoch feststellen müssen, daß sich die Summierung der Schädigungen des Naturhaushaltes nicht nur addiert, sondern sogar multipliziert. Nicht genug damit, daß die Ozeane mit Öl und Nuklearabfällen verseucht werden, auch die Luft, die Erde und der Mensch selbst entgehen nicht den Auswirkungen der resultierenden Emissionen. Trotzdem zerstört der Mensch auch weiterhin seine Lebensgrundlage durch fortwährende Gier nach mehr Energie - obwohl er genau weiß, daß ihm derzeit nur unzulängliche Möglichkeiten zur  Energieumwandlung zur Verfügung stehen, und daß die negativen Wirkungen dieser Techniken sogar weit entfernt und verzögert auftreten können, und sich damit seiner direkten Kontrolle entziehen.

Bei einer Betrachtung des Autos, dem weitest verbreiteten motorbetriebenen Transportmittel unserer Zeit, sehen wir einen klaren Mangel an integraler Planung und Konstruktion, welcher letztlich zu den problematischen Resultaten giftiger Abgase, unausgenutzter Transportleistungen und Verplanung der Landschaft geführt hat. (87)

Die Tiere die der Mensch früher als Transportmittel genutzt hat, die Segelschiffe oder die Flöße, das alles waren (und sind) Dinge, die gesund in die Umwelt integrierbar sind, die keine Abgase und keine Umweltbelastung durch Abwärme hervorrufen, und die auch das Landschaftsbild nicht so beeinflussen, wie das Auto, die Eisenbahn oder das Flugzeug. (Ich möchte anfügen, daß ich selbst gerne Auto fahre, noch lieber Motorrad, und ebenso auch mit der Bahn oder dem Flugzeug von Ort zu Ort eile. Allerdings bin ich mir auch dessen bewußt, was dies für die Umwelt bedeutet. Am liebsten hätte ich daher ein Elektromotorrad und würde mit solar betriebenen Luftschiffen fliegen. Träume, jawohl, aber es wird bereits daran gearbeitet!)

Wir sollten auch nicht vergessen, daß ein Auto in grober Annäherung auf 1.000 km Fahrt genauso viel Sauerstoff verbraucht, wie ein Mensch in einer ganzen Woche! Die diesbezügliche Berechnung befindet sich am Ende der Quellenangaben. Und seit der Erfindung dieses Transportmittels sind ca. 30 Millionen Menschen direkt daran gestorben (Stand 1980). Alleine in Deutschland sterben ca. 6.000 Personen pro Jahr im Straßenverkehr, weltweit sind es ca. 1,2 Mio. (Stand 2006). Die gesundheitlichen und volkswirtschaftlichen Folgeschäden sind statistisch kaum zu erfassen.

Nach Angaben sowjetischer Wissenschaftler aus dem Jahr 1978 verschmutzen Kraftfahrzeuge mit Verbrennungsmotoren jährlich die Atmosphäre mit rund 115 Millionen Tonnen Kohlenmonoxid. Hinzu kommen mehr als eine Million Tonnen Schwefeloxide und viele Millionen Tonnen nicht verbrannter Kohlenwasserstoffe sowie Stickoxide (88). Kohlenwasserstoffe wirken leberschädigend und krebserregend, während Kohlenmonoxyd eine feste Verbindung mit dem roten Blutfarbstoff eingeht, so daß dieser seine Funktion, Sauerstoff zu transportieren, nicht mehr erfüllen kann. Und aus Stickstoff- und Schwefeldioxyden entstehen unter vielen anderen Stoffen auch Säuren, die bei längerem Einatmen den Kreislauf belasten, Atmung, Herztätigkeit und Nierenfunktion beeinträchtigen und in schweren Fällen zu Blutarmut führen. (89)

Zu alledem kommt die Warnung amerikanischer Wissenschaftler der Universität von Kalifornien vor einem weiteren Ausbau von Kohlekraftwerken hinzu. Bei Versuchen mit Bakterien fanden die Forscher nämlich heraus, daß die Flugasche, die Kohlekraftwerke zu Millionen Tonnen aus ihren Schornsteinen pusten, genetische Veränderungen verursachen kann. Die Analyse winzigster Aschepartikel, die vom Menschen unbemerkt eingeatmet werden ergab, daß auf diesem Weg Schadstoffe wie Cadmium, Kobalt und Nickel in den menschlichen Körper gelangen. (90)

Die folgende Tabelle umfaßt als quantitatives Beispiel die Tagesproduktion der Stadt Los Angeles (im Jahre 1967): (91)

Kohlenmonoxid

10.220 t

Kohlenwasserstoffgase und Gase

von organischen Lösungsmitteln

2.700 t

Stickoxid

920 t

Schwefeldioxid

630 t

Staubpartikel (Aerosole)

140 t

Es besteht aller Grund zur Annahme, daß diese Werte inzwischen auch in europäischen Städten, und noch weitaus gravierender in vielen Städten der 3. Welt erreicht, wenn nicht sogar übertroffen wurden. Herbert Gruhl beschrieb die Situation der Erdöl-Energieerzeugung im Rahmen einer nachhaltigen zeitlichen Matrix:

„Rund 500 Millionen Jahre waren nötig, damit sich rund 500 Milliarden Tonnen Erdöl bilden konnten. Bisher wurden davon 44,5 Milliarden Tonnen ausgebeutet; das ist der Ertrag von 44 1/2 Millionen Jahren. Allein im Jahre 1973 wurde demnach das Ergebnis von 2.800.000 Jahren verbrannt! (92)


Und eine Meldung des Deutschen Forschungsdienstes wies noch 1978 darauf hin, daß uns längst nicht alle Risiken der Feuertechnologie bekannt sind (93). Und deshalb auch stimmt immer noch, was der Schweizer Astronom und Physiker Fritz Zwicky, der Erfinder des morphologischen Kastens, bereits 1971 konstatierte:

„Der Mensch griff in die Entwicklung ein, benützte dabei das Feuer, und wundert sich heute, ohne eine Lösung zu wissen, darüber, wie er in diese Zwickmühle gekommen ist. (94)


Professor Zwicky würde zur Lösungsfindung topologische Leistungsdiagramme der thermopulsiven Wirkungsgrade erstellen oder eben einen morphologischen Kasten installieren: um herauszufinden was wir brauchen, um feststellen zu können, was wir wirklich wissen müssen um zu klären, was wir eigentlich brauchen. Oder so ähnlich. Jedenfalls äußerst zielorientiert.

Es geht also um Ziele...!


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